Leser-Umfrage zu GrosszügigkeitSo viel Trinkgeld geben Zürcherinnen und Zürcher
Junge geben weniger als Alte, und Zürcher Restaurants leiden unter einem mysteriösen «Gruppeneffekt»: Das sind die Resultate unserer Umfrage zum Trinkgeld.
Für manche ist die Sache mit dem Trinkgeld ganz einfach. 1974 erklärte der Bundesrat das Trinkgeld für inbegriffen. Entsprechend deutlich haben einige Leserinnen und Leser die Tagi-Trinkgeld-Umfrage kommentiert: «Was soll überhaupt die Frage?» «Trinkgeld ist Overtipping!» «Das Trinkgeld wurde abgeschafft. Es ist nicht mehr zeitgemäss.»
In der Realität sieht das für Sascha Lagrebi, Schichtleiter im Restaurant Butcher’s Table beim Hegibachplatz, so aus: «Da hast du eine Gruppe, die isst für 6000 Franken Fleisch, hat einen guten Abend, lässt einen das spüren und lässt dann keinen Rappen Trinkgeld liegen.» Das müsse man allerdings «schlucken» können. «Trinkgeld ist eine Honorierung, die ich gern sehe, aber nicht erwarte – so wie geschenktes Geld.» Dass Leute bei so hohen Beträgen gar nichts gäben, sei aber eher selten.
Sascha Lagrebi hat bei unserer Umfrage im November mitgemacht und sich bereit erklärt, über das Thema Trinkgeld zu reden. Was er erlebt, deckt sich mit den Ergebnissen der Umfrage. Diese ist zwar nicht repräsentativ, lässt aber doch Muster erkennen. Nur 3 Prozent sagen, dass sie üblicherweise kein Trinkgeld geben. Es ist also eine kleine Minderheit. Für die Übrigen ist die Sache weniger klar.
Ein Zeichen der Wertschätzung
Fast zwei Drittel der 7781 Leserinnen und Leser aus dem Kanton Zürich, die an der Umfrage teilgenommen haben, sagen, sie würden im Durchschnitt jeweils zwischen 6 und 10 Prozent Trinkgeld geben. Jede Fünfte gibt etwas weniger und begnügt sich mit 1 bis 5 Prozent. Etwa jeder Siebte gibt mehr als 10 Prozent.
Zu letzterer Kategorie zählt sich der Umfrageteilnehmer Sven A. Hürlimann aus Wollishofen. Für den 43-jährigen Ingenieur ist klar: «Wenn es ein gelungener Abend war und wir uns aufgehoben gefühlt haben, runde ich grosszügig auf.» Er sei sich bewusst, dass das Trinkgeld nicht obligatorisch sei. «Es ist eine wertschätzende Geste.»
Entsprechend mache er die Höhe des Trinkgelds auch von der Service- und Essensqualität abhängig. «Wenn mich die Bedienung den ganzen Abend kaum angeschaut hat und das Essen noch versalzen war, gibt es halt auch mal nichts.»
Hürlimann ist nicht allein. Die Teilnehmerinnen der Umfrage sind sich einig: Ausschlaggebend sind die Qualität von Essen, Trinken und Service, aber auch Aufmerksamkeiten wie offerierte Kaffees und Grüsse aus der Küche. Hingegen hätten das Geschlecht der Bedienung oder der eigene Alkoholpegel kaum einen Einfluss.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind keine erkennbar. Die Jüngeren geben aber offenbar tendenziell weniger als die Älteren.
Das Servicepersonal muss sich allerdings damit abfinden, dass das Trinkgeld anteilsmässig sinkt, wenn der Rechnungsbetrag steigt. 47 Prozent sagen, sie seien weniger grosszügig, wenn die Rechnung teurer sei. Beispiele zeigen, dass die abstrakte Selbstreflexion auch den Alltagstest besteht. So lassen unsere Leserinnen und Leser anteilsmässig mehr Trinkgeld bei einer 17.70-Franken-Rechnung in einer Bar liegen (fast die Hälfte sagt: «Mached Sie 20!», was knapp 13 Prozent entspricht) als beim Abendessen für 232 Franken (rund die Hälfte sagt: «Mached Sie 250!», was etwa 8 Prozent sind).
Das deckt sich zumindest mit dem Eindruck von jenen, die am Abend selbst Gäste bewirten. Christoph Homberger stellt fest, dass gerade bei grossen Gruppen und bei höheren Beträgen, die sich durch mehr Leute ergeben, gutes Trinkgeld eher die Ausnahme ist. Auch er teilt als Gastgeber Erfahrungen zum emotionalen Thema.
Der «Gruppeneffekt»
Der 61-jährige Homberger betreibt Hombis Salon, einen Minigastrobetrieb mit Tavolata und Konzerten in Oerlikon. «Für Rechnungen über mehrere Hundert Franken erhalte ich manchmal einen Fünfliber. Das ist dann schon eher lächerlich.» Genauso lächerlich finde er, wenn eine Zwölfergruppe bezahle und ihm «der Chef» dieser Gruppe bedeutungsschwanger ein Fünfzigernötli zustecke. «Pro Kopf sind das dann auch nicht mehr als rund vier Franken.»
Sowieso scheint der «Gruppeneffekt» eine negative Auswirkung auf die Grosszügigkeit zu haben.
Der 73-jährige Rentner und Umfrageteilnehmer Giuliano Moret, der laut eigenen Angaben eher selten auswärts essen geht, berichtet von einem kürzlichen Abendessen mit Freunden in einem Lokal in Hottingen. «Die Rechnung hat 500 Franken gekostet, wir haben dann auf 510 Franken gerundet, weil wir den Betrag so bequem durch drei teilen konnten – wir waren drei Parteien und zahlten je 170 Franken.» In Nachhinein müsse er zugeben, dass das zu wenig gewesen sei.
Nur 11 Prozent sagten in der Umfrage, sie würden bei höheren Beträgen mehr Trinkgeld entrichten. Diese gehören zum Typus «wennschon, dennschon». Sascha Lagrebi erzählt von einer Männergruppe, die alle paar Wochen bei ihm einkehrt. Jeder Gast konsumiere für hohe Beiträge und zahle unverhältnismässig hohes Trinkgeld. Dieses kommt dann in einen Topf, der unter dem Personal aufgeteilt wird.
Und wie beurteilen die Gäste und das Servicepersonal die Gesamtsituation? Wie zufrieden sind sie mit der Servicequalität, wie zufrieden sind sie mit dem Trinkgeld-Verhalten der Gäste? Es herrscht Einigkeit. Es gibt von beiden Seiten eine 4. Knapp genügend – mit Verbesserungspotenzial und Gesprächsbedarf.
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