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Touristen-Hotspot
Und plötzlich geht die Post ab in Grindelwald

Justine und Jan Pyott vor ihrem Hotel Glacier in Grindelwald. Der Whirlpool rechts im Bild ist vor allem in Südkorea ein Star.
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Ein junges Paar läuft vom Zimmer auf die Terrasse und steigt in den blubbernden Whirlpool. «Dieses südkoreanische Influenzer-Video auf Instagram holte 140 Millionen Klicks», wundert sich Jan Pyott noch heute. Zusammen mit seiner Frau Justine besitzt und führt er das Boutique-Hotel & Restaurant Glacier in Grindelwald.

Die Pyotts hatten 2016 das historische Dreisternhaus gekauft, investierten, bauten um und feierten im April 2018 Eröffnung. Bald machten sie die ersten Erfahrungen mit der digitalen Wucht. Jan Pyott: «Der Besitzer der grössten koreanischen Suchmaschine wollte uns nicht nur 20 Prozent der Aktien abkaufen, er platzierte auch ein Filmchen über das Glacier auf seiner Startseite.»

«Kaum ging das Glacier viral, brachen alle Dämme. Halb Südkorea wollte nach Grindelwald kommen», erzählt Justine Pyott. «Wir mussten einem Gast schon mal per Mail klarmachen, dass es im August hier keinen Schnee gibt.»

Der Tourismus in Grindelwald läuft gerade heiss. Auf der Dorfstrasse drängen sich sogar in der Zwischensaison Reisende aus Übersee. Im Glacier-Gästebuch stehen Namen aus 120 Nationen, von den Cook Islands bis Usbekistan.

Nun könnte man sich das Hotelierleben in einem derart einträglichen Markt leicht machen und die Kundschaft, die mehrheitlich aufs Jungfraujoch will, mit ödem Durchschnitt abspeisen. «Da machen wir nicht mit, zudem ist uns auch der heimische Markt sehr wichtig», betont Justine Pyott.

Das Vierstern-Superior-Hotel hat 28 Zimmer und Suiten, fünf mit den eingangs erwähnten Outdoor-Sprudelwannen, und eine schöne Sonnenterrasse mit direktem Blick auf die Eigernordwand. Dazu das mit 16 Punkten dekorierte Restaurant, in dem seit Frühjahr die «‹Gault-Millau›-Entdeckungen des Jahres» Paul Cabayé und Stephanie Zosso am Herd stehen, auch privat ein Paar.

Zwei Quereinsteiger und das gemeinsame Projekt

Justine und Jan inszenieren im Hotel mit Verve das Thema Eis – mit der Leitfarbe Blau in Formen und Objekten. Die Wassergläser im Restaurant gleichen Eiswürfeln, ein künstlicher Eiswasserfall stürzt sich im Treppenhaus in die Tiefe, und in der Bibliothek ist historische Gerätschaft ausgestellt, etwa ein Eispickel. Die 33-jährige Justine und der 41-jährige Jan haben Wirtschaft studiert und sind Quereinsteiger in der Hotellerie.

Der Bieler war Profi-Triathlet und verdiente sein erstes Geld während des Studiums in Los Angeles, indem er private Schwimmtrainings im grossen Stil für College-Abgängerinnen anbot. Justine arbeitete bei der Eurovision in Genf, kam zum Basejumping ins Lauterbrunnental und blieb in Grindelwald hängen, wo sie im lokalen Tourismusbüro als Eventmanagerin arbeitete.

Justine und Jan Pyott haben mit dem Hotel Glacier ihr «gemeinsames Projekt» gefunden.

«Wir suchten ein gemeinsames Projekt», erklärt die gebürtige Französin und zweifache Mutter. «Ich träumte von einer Berghütte, Jan von einem Café für Velofahrer. Und nun besitzen wir ein Hotel.» Das Glacier ist erfolgreich, bereits steckt das nächste Pyott- Projekt in der Pipeline: Direkt am Terminal der V-Bahn soll das Grindelhuus mit 62 Zimmern entstehen. Die Gemeinde und das kommunale Stimmvolk haben ihren Segen erteilt, der Kanton zögert noch.

Mit dem Fiescherblick der Gebrüder Michel gabs zwar auch im letzten Jahr eine schöne Hotel-Neueröffnung in Grindelwald, trotzdem fehlt es angesichts der Nachfrage weiterhin an Gästebetten. Patrik Scherrers Befund ist eindeutig: «Die Eröffnung der V-Bahn mit dem Eiger-Express hat dem Tourismus in Grindelwald einen kräftigen Schub verliehen.»

Der Berner Unternehmer pachtet und betreibt mit seinem Kompagnon Luzius Kuchen unter dem Dach der Swiss Design Collection AG das Vierstern-Superior-Hotel Bergwelt, ein paar Hundert Meter vom Glacier entfernt. Nach etwas holperigem Start 2021 und einem überschaubaren Gastspiel von Starkoch Markus G. Lindner mutierte auch das Bergwelt zur Erfolgsgeschichte, mit einer Jahresauslastung von 85 Prozent.

Selbst im November herrscht Betrieb

«Wir positionieren uns als alpines Designhotel und sprechen auch eine urbane Klientel an», umreisst Tanja Münker, General Manager des 90-Zimmer-Hauses. Selbst im trüben November herrscht Betrieb im Bergwelt – dank der hübschen Wellnesszone und den internationalen Gästen. «Die Touristen aus den Fernmärkten fahren auch im November aufs Jungfraujoch», erklärt Tanja Münker. Die gebürtige Frankfurterin mit einem Flair für die Berge hatte zuletzt in Diensten von Sheraton in Zürich gearbeitet.

«Wir positionieren uns als alpines Designhotel», sagt Tanja Münker vom Hotel Bergwelt.

Neben dem edlen Design mit viel Holz, Stein und roten Farbtupfern spielt das Bergwelt das Thema «James Bond» aus. Obwohl der Agent eher in Mürren als in Grindelwald unterwegs war, steht auf dem Schild über der Bürotür der Spa-Leiterin «Miss Moneypenny». Im Spa selbst gibt es eine 007-Behandlung und ein Garderobenkästchen mit der Nummer 007.

Kulinarik ist seit einigen Jahren ein grosses Thema in Grindelwald. Mit 14 Punkten im «Gault Millau» reiht sich Bergwelt-Küchenchef Urs Gschwend in die Riege der lokalen Topköche ein. Der Ostschweizer legt den Fokus auf hochwertige Produkte. «Ob Rüebli oder Rindsfilet», sagt Gschwend, «ich dulde in Sachen Qualität keine Kompromisse, übertreibe es aber nicht mit Kunst auf dem Teller.»

Bergwelt-Küchenchef Urs Gschwend duldet in Sachen Qualität keine Kompromisse.

Zu Tanja Münkers Reich gehört auch die Bergwelt-Dépendance: Die Pinte an der Dorfstrasse gilt als Grindelwalds ältestes Gasthaus – mit der rustikalen Ambiance das pure Gegenstück zur hippen Bergwelt.

In Grindelwald machen immer noch Erzählungen vom legendären Pinten-Fritz die Runde. Der wilde Wirt, nach dem der Schlittelrun am Faulhorn benannt ist, gab zu Lebzeiten seine eigene Todesanzeige im Lokalblatt auf. Auch das ist Grindelwald: Lokalkolorit neben Designhotels und blubbernden Whirlpools.