Anschlag mit mindestens 133 Toten «Alle rannten los, Panik, ein schreckliches Gedränge»
Mehrere Männer schossen am Freitagabend in einer Konzerthalle bei Moskau um sich und töteten Dutzende Menschen, der Gebäudekomplex stand in Flammen. Vor Ort herrschten chaotische Szenen.
Die Täter haben sich ihren Weg in die Halle freigeschossen, Videos davon verbreiteten sich schnell im Netz. Drei Männer mit vorgehaltener Waffe laufen durch das hohe Foyer der Konzerthalle. Sie schiessen auf die wenigen Menschen, die am Haupteingang stehen und drinnen hinter den Informationsständen. Die ersten Opfer sind wahrscheinlich Menschen, die in der Crocus City Hall bei Moskau arbeiten. Die Besucher sitzen längst im grossen Saal und warten auf die Sankt Petersburger Rockgruppe Piknik.
Deren Konzert am Freitagabend ist ausverkauft, mehr als 6000 Gäste fasst die Halle. Auch aus dem Saal gibt es Videos, rasend schnell verbreiten sie sich auf Telegram-Kanälen wie Astra, Baza und Moskwa Live. Zu sehen sind mehrere Männer, sie tragen Rucksäcke und Augenzeugen zufolge automatische Schusswaffen. Von der Mitte des Saals aus schiessen sie um sich. Schreiende Zuschauer versuchen sich hinter den roten Sitzreihen und im Backstage-Bereich in Sicherheit zu bringen.
Bevor die Täter den Saal verlassen, zünden sie offenbar eine Granate oder Brandbombe, auch das berichten Konzertbesucher. Sie fliehen später vor den Flammen aus dem Saal. Menschenmassen strömen durch die Lobby nach draussen, vorbei an Erschossenen, die auf dem Boden liegen oder zusammengesunken sind, es sind verstörende Bilder. Fliehende suchen im Untergeschoss Schutz, einige in den oberen Etagen. Später am Abend gibt es Meldungen, dass Menschen vom Dach der Halle gerettet werden mussten. Schnell steht der gesamte riesige Eventkomplex in Flammen.
Unter den Opfern sollen Kinder sein
Bis in den späten Abend ist die Lage unübersichtlich. Das Staatliche Ermittlungskomitee Russlands meldete in den frühen Morgenstunden erst 60 Tote und fast 150 Verletzte, die Zahl wurde am Vormittag dann erst auf 93 und später auf 133 erhöht. Eine staatliche Nachrichtenagentur berichtet am späten Abend von drei Tätern, eine andere von fünf. Der Telegram-Kanal Mash, dem Geheimdienstkontakte nachgesagt werden, veröffentlicht die erste angebliche Namensliste von Opfern, darunter sollen auch Kinder sein.
Von den Tätern fehlte zunächst jede Spur, allerdings vermeldete der russische Geheimdienst die Festnahme von elf Verdächtigen, nachdem in den frühen Morgenstunden ein Auto nahe der Grenze zu Belarus und der Ukraine angehalten worden war.
Die ersten Opfer finden die Einsatzkräfte bereits vor der Halle, Videoaufnahmen zeigen regungslose Körper auf dem Platz vor den völlig zerschmetterten gläsernen Eingangstüren, zwischen denen weitere Opfer liegen. Sie sei vor Ort und suche «nach Kriminellen», schreibt abends die russische Nationalgarde Rosgwardija. Währenddessen versucht die Feuerwehr den Brand unter anderem mit Löschhelikoptern einzudämmen.
«Scheisse, was ist hier los!», sagt ein Konzertteilnehmer draussen vor der Halle in seine Kamera, das Video veröffentlicht er später auf Instagram. «Ich weiss nicht, wer es war, der in die Halle gestürmt ist, Terroristen, Militär… in brauner Kleidung, und angefangen hat, mit automatischen Gewehren auf die Leute zu schiessen!», sagt er und schaut um sich. «Alle rannten los, Panik, ein schreckliches Gedränge. Alle liegen auf dem Boden und zerquetschen sich gegenseitig. Wir haben es geschafft, da rauszukommen, ohne Kleidung. Aber nicht alle konnten entkommen.» Die Leute seien in verschiedene Teile der Halle gelaufen.
Er habe oben auf dem Balkon gesessen und Schüsse gehört, sagt ein junger Mann in buntem Hemd in die Kamera eines Reporters von «Ostoroschno Nowosti». «Zuerst haben wir nicht begriffen, was passiert war. Dann sah ich selbst, wie die Terroristen hereinkamen und anfingen, auf alle zu schiessen, sie warfen Molotows, alles wurde in Brand gesetzt.» Sie seien dann durch die gesamte Halle gelaufen, um einen Ausgang aus dem Gebäude zu finden, aber alles sei verschlossen gewesen. Schliesslich hätten sie im Keller auf die Rettungskräfte warten müssen, sagt der Mann.
Die US-Botschaft hatte gewarnt
Das russische Ermittlungskomitee hat bereits ein Verfahren wegen eines «Terrorakts» eingeleitet. Vor zwei Wochen, kurz vor dem Frauentag am 8. März, hatte die US-Botschaft vor möglichen Terroranschlägen in Russland gewarnt. Damals hatte sie empfohlen, sich für zwei Tage von Menschenansammlungen fernzuhalten.
Wladimir Putin hat später indirekt auf diese Warnungen reagiert. Er wolle an die jüngsten, «provokativen Äusserungen einiger offizieller westlicher Institutionen über die Möglichkeit von Terroranschlägen in Russland erinnern», sagte er diese Woche bei einem Treffen mit der Spitze seines Inlandsgeheimdiensts FSB. «All dies gleicht einer unverhohlenen Erpressung und der Absicht, unsere Gesellschaft einzuschüchtern und zu destabilisieren.»
Der Präsident sei bereits Minuten nach Bekanntwerden des Anschlags auf die Konzerthalle über das Geschehen informiert worden, sagte am Freitagabend sein Sprecher Dmitri Peskow. Putin habe alle notwendigen Anweisungen gegeben. Auch die ersten Forderungen nach Vergeltung wurden laut: «Diejenigen, die hinter diesem monströsen Verbrechen stecken, werden eine wohlverdiente und unvermeidliche Strafe erleiden», schrieb Föderationsratschefin Walentina Matwijenko auf Telegram.
Zahlreiche europäische Länder, darunter Frankreich und Deutschland, verurteilten den Anschlag umgehend. Die Bilder dieses «furchtbaren Angriffs auf unschuldige Menschen» seien schrecklich, schrieb das deutsche Auswärtige Amt auf der Plattform X. Die Hintergründe müssten rasch aufgeklärt werden. In Kiew war man bemüht, jeden Verdacht einer ukrainischen Beteiligung gleich abzuwehren. «Die Ukraine steht in absolut keiner Beziehung zu den Vorgängen», betonte Mychajlo Podoljak, Berater von Präsidentenbürochef Andri Jermak, in einer Videobotschaft auf Telegram. Gleichzeitig reklamierte der sogenannte Islamische Staat den Anschlag mit einem Bekennerschreiben für sich, welches der Telegram-Kanal des IS-Sprachrohrs Amak veröffentlichte. Eine offizielle Reaktion des Kreml gibt es darauf bisher nicht.
Das russische Kulturministerium sagte alle Grossveranstaltung in Russland für die kommenden Tage ab. In Moskau schliesst die Tretjakow-Galerie über das Wochenende, im berühmten Bolschoi-Theater und vielen anderen Theatern der Stadt fallen die Aufführungen der nächsten beiden Tage aus. Alexei Schaposchnikow, Vorsitzender der Moskauer Stadtduma, rief die Moskauer auf, Blut für die Opfer des Anschlags zu spenden.
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