Terrorangriff in MoskauVerdächtige werden verhört, Angreifer sind offenbar keine Russen – das ist bisher bekannt
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat sich zu dem Anschlag am Freitag bekannt. Der Geheimdienst FSB hat mehrere Verdächtige nach einer Verfolgungsjagd durch den Wald verhaftet.
Was ist passiert?
Nach einem mutmasslichen Terroranschlag auf eine Konzerthalle in Moskau am späten Freitagabend ist die Anzahl Todesopfer im Verlaufe des Samstagnachmittags auf 133 angestiegen. Bei den Aufräumarbeiten am Samstag hätten die Einsatzkräfte unter anderem auf einer Toilette 28 und auf einer Notfalltreppe 14 weitere Leichen entdeckt, teilten die Behörden mit. Zuvor hatten Unbekannte die Crocus City Hall während eines Konzerts der Rockgruppe Piknik gestürmt und das Feuer eröffnet.
Um wie viele Angreifer es sich insgesamt handelte, war zunächst nicht bekannt. Russlands zentrales Ermittlungskomitee nahm ein Verfahren wegen eines mutmasslichen «Terrorakts» auf, wie die Behörde im Nachrichtendienst Telegram mitteilte.
Gesundheitsbehörden veröffentlichten zudem eine Liste mit 145 Verletzten, von denen 115 in Krankenhäuser gebracht wurden, darunter fünf Kinder. Weil die Rettungs- und Polizeieinsätze vor Ort noch laufen, könnten die Zahlen aber noch ansteigen.
Die Lage an der Crocus City Hall war am Morgen unterdessen ruhig. Einsatzkräfte löschten Glutnester nach dem Grossbrand, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach dem kompletten Löschen sollten die Trümmer des eingestürzten Daches der Konzerthalle beseitigt werden. Polizei, Nationalgarde und Ermittlungskomitee nahmen die Schäden auf und sicherten Spuren. In der Nacht waren Dutzende Busse und Rettungswagen sowie Löschhelikopter im Einsatz. Feuerwehrleute kämpften über Stunden gegen ein Feuer in dem riesigen Gebäude, das auf fast 13’000 Quadratmetern Fläche brannte.
Wer ist verantwortlich?
Die Terrormiliz Islamischer Staat hat den Anschlag für sich reklamiert. Das meldete das IS-Sprachrohr Amak am Freitag im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen.
Die Terrormiliz hat nach dem Anschlag verpixelte Fotos der angeblichen Attentäter veröffentlicht. Der IS-Propagandakanal Amak zeigte am Samstag ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen «schweren Schlag» versetzt, hiess es in der Mitteilung. Der Angriff habe «Tausenden Christen in einer Musikhalle» gegolten.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat den tödlichen Angriff auf einen Konzertsaal bei Moskau als «barbarische terroristische Tat» verurteilt. In einer Fernsehansprache sagte Putin am Samstag, die Angreifer seien festgenommen worden und hätten versucht, in die Ukraine zu fliehen. Alle Verantwortlichen für den Angriff würden «bestraft».
Was ist mit den Tätern geschehen?
Nach Angaben des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB habe es bis Samstagmorgen elf Festnahmen gegeben. Vier der Festgenommenen sollen direkt an dem Angriff auf das Veranstaltungszentrum beteiligt gewesen sein, wie FSB-Chef Alexander Bortnikow nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass am Samstag sagte.
Ein Auto mit mutmasslichen Schützen wurde im Gebiet Brjansk nahe der Grenze zu Belarus und der Ukraine angehalten. In dem Wagen sollen sich insgesamt sechs Personen und zahlreiche Waffen befunden haben: Ein Verdächtiger konnte nach einem kurzen Schusswechsel auf der Stelle festgenommen werden. Den fünf anderen soll erst die Flucht in den Wald gelungen sein, wo sie später von Spezialeinheiten ebenfalls aufgegriffen wurden.
Die vier Angreifer aus dem Konzertsaal sind nach Angaben der russischen Regierung «alle ausländische Staatsbürger». Das teilte das russische Innenministerium am Samstag mit, ohne allerdings die Nationalität der Verdächtigen bekannt zu geben. Russische Medien und ein Abgeordneter hatten zuvor berichtet, dass manche der festgenommenen Verdächtigen aus Tadschikistan stammten. Das zentralasiatische Land grenzt an Afghanistan, dort ist auch die Islamisten-Miliz Islamischer Staat (IS) aktiv, die sich zu dem Angriff bekannt hatte.
Die vier Hauptverdächtigen sind am Samstagabend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht worden. In den kommenden Tagen solle vor Gericht ein Antrag auf Haftbefehl gestellt werden. Ihnen allen drohe eine lebenslange Haftstrafe, hiess es bei Tass weiter.
Wie lief der Angriff ab?
Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Männer mit Maschinenpistolen zu sehen, welche das Foyer der Konzerthalle betreten und beginnen, um sich zu schiessen. Sie tragen Schutzwesten und Tarnfarben, einige haben Stoffmasken auf dem Kopf.
Danach betreten die Angreifer den Konzertsaal, wo sofort Panik ausbricht, wie sich aus Videos aus den sozialen Medien rekonstruieren lässt. Menschen versuchen, zu den Notausgängen zu gelangen, und suchen Schutz hinter den Sitzen.
Die bewaffneten Angreifer in Moskau haben viele Spuren hinterlassen, Ermittler prüfen jeden Fund. Ein Video, das vom staatlichen Ermittlungskomitee Russlands am frühen Samstagmorgen veröffentlicht wurde, zeigte eine vor Ort gefundene Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow und Gurte voller Magazine. Tütenweise sammelten die Ermittler die Hülsen verschossener Patronen ein.
Wie sind die Reaktionen?
Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich nach Kremlangaben «seit der ersten Minute» über die Geschehnisse informieren lassen. Er erhalte über die entsprechenden Dienste ständig alle wichtigen Informationen über das Geschehen und die eingeleiteten Massnahmen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Am Samstag wendete sich Putin in einer Ansprache an das russische Volk und rief einen nationalen Trauertag für Sonntag aus.
Das Schweizer Aussendepartement hat bestürzt auf den Terroranschlag reagiert. Die Schweiz sei «entsetzt» über den Anschlag, der so viele Opfer gefordert habe, hiess es in einer Stellungnahme im Kurznachrichtendienst X rund drei Stunden nach Bekanntwerden der Tat. Die Schweiz spreche den Familien ihr tief empfundenes Beileid aus. Das EDA verfolge die Entwicklung aufmerksam.
Die USA mahnten in einer ersten Reaktion an, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. «Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.
Man könne noch nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe. «Die Bilder sind einfach schrecklich», betonte Kirby ausserdem und sagte, man sei in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Das russische Aussenministerium hatte ursprünglich kritisiert, dass die USA sehr schnell die Ukraine als möglichen Drahtzieher des Anschlags auf die Moskauer Konzerthalle entlastet haben. Es werfe Fragen auf, wenn die USA bereits solche Schlussfolgerungen zögen, während die Tragödie noch im Gang sei. Das sagte die Sprecherin des Ministeriums, Maria Sacharowa, am Freitagabend im russischen Fernsehen.
Der UNO-Sicherheitsrat fordert nach dem «feigen und abscheulichen Terroranschlag» Aufklärung. Täter, Organisatoren, Finanziers und Sponsoren müssten zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden, hiess es in einer am Freitagabend veröffentlichten Mitteilung des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen in New York. Alle Staaten seien aufgefordert, nach dem Völkerrecht und den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates aktiv mit der Regierung Russlands und anderen zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten.
Gibt es eine Verbindung zum Ukraine-Krieg?
Russlands Präsident Wladimir Putin hat von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag in Moskau gesprochen. Mit Blick auf vier von elf mittlerweile festgenommenen Männern sagte Putin bei seiner Ansprache am Samstagnachmittag: «Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.»
Westliche Botschaften hatten zuletzt vor Terroranschlägen in Moskau gewarnt. Der Kreml hatte dies aber als Provokation des Westens abgetan.
Das Aussenministerium in Kiew hat Vorwürfe einer ukrainischen Verwicklung in den Anschlag kategorisch zurückgewiesen. «Wir halten diese Anschuldigungen für eine geplante Provokation seitens des Kremls, um die antiukrainische Hysterie in der russischen Gesellschaft weiter zu schüren», hiess es in einer am Freitag in Kiew veröffentlichten Erklärung des Ministeriums.
Ziel sei es, Kiew in den Augen der internationalen Gemeinschaft zu verunglimpfen, so das Ministerium. Zudem solle damit der Anlass für eine verschärfte Mobilmachung russischer Bürger für den Krieg gegen die Ukraine geschaffen werden. Das russische Regime kenne keine roten Linien und habe bereits eine lange Vorgeschichte von blutigen Provokationen aufzuweisen. «Es ist bereit, die eigenen Bürger für politische Zwecke zu töten, genauso wie es Tausende ukrainische Zivilisten während des Krieges getötet hat», unterstrich die Behörde. Kiew rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, russische Vorwürfe einer ukrainischen Beteiligung an dem Anschlag entschieden zurückzuweisen.
DPA/wy/ij/fal/fem
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