Verkehr in Zürich und WinterthurMehrkosten wegen Tempo 30: Streit mit ZVV muss in eine Zusatzschlaufe
Die Frage, wer die ÖV-Zusatzkosten wegen Tempo 30 übernehmen muss, ist gemäss Bundesgericht unpolitisch. Es schickt die Städte deshalb zu einem anderen Gericht. Zürich rümpft die Nase.
Der Tempo-30-Fall hat Pilotcharakter. Wohl deshalb wird mit harten Bandagen gekämpft.
Einerseits politisch: Da sind mit der ÖV-Initiative und der Mobilitätsinitiative gleich zwei kantonale Volksinitiativen von bürgerlicher Seite unterwegs – sie sind im Kantonsrat hängig.
Anderseits juristisch, und um diesen Aspekt geht es hier. Doch von vorn.
ÖV wird verlangsamt
Die Städte Zürich und Winterthur führen auf immer mehr Strassen Tempo 30 ein. Auch auf Strassen, auf denen Trams und Busse verkehren.
Das verlangsamt den öffentlichen Verkehr (ÖV). Wenn aber der Taktfahrplan beibehalten werden soll, braucht es mehr Rollmaterial und Personal. Das kostet Geld. Umstritten ist wiederum, wer diese Zusatzkosten trägt.
Streit um Übernahme der Mehrkosten
Die beiden Städte sind der Meinung, der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) müsse für diese Mehrkosten aufkommen. Der ZVV und der Kanton wehren sich aber dagegen.
Konkret geht es in der vorliegenden Auseinandersetzung um die Zürcher Tramlinie 13 und die Buslinien 38 und 46, die alle in Höngg verkehren, sowie die Winterthurer Buslinie 10 zwischen Hauptbahnhof und Oberwinterthur.
Da auf der Strecke zwischen Zürich-Wipkingen und dem Höngger Dorfkern sowie auf dem Bustrassee des 10ers in Winterthur Tempo 30 eingeführt wurde oder geplant war, drohte ab 2022 ein Angebotsabbau, wenn nicht zusätzliche Kurse eingerichtet werden.
Mehr Tramkompositionen
Als Reaktion plante Zürich mehr Tramkompositionen ein mit der Absicht, den Takt beizubehalten. Um die Mehrkosten aufzufangen, strich die Stadt bei der Eingabe an den ZVV die Buslinie 38 und reduzierte die Kapazität für den Bus 46. Auch Winterthur beabsichtigte, den Takt des 10er-Busses zu reduzieren. Alles geschah widerwillig.
Der ZVV war aber einverstanden und genehmigte im Sommer 2021 die neuen Fahrpläne in einer rekursfähigen Verfügung.
Regierungsrat lehnt Rekurse ab
Nun hatten die beiden Städte etwas in der Hand und rekurrierten beim Regierungsrat. Sie verlangten, dass das Angebot nicht abgebaut wird und der ZVV die Zusatzkosten übernimmt.
Der Regierungsrat lehnte die Rekurse nach gut eineinhalb Jahren ab, worauf die Städte ans Bundesgericht gelangten. Und dieses hat nun – erneut anderthalb Jahre später – entschieden, dass es nicht zuständig ist, und trat auf die beiden Beschwerden gar nicht ein.
Bundesgericht: falsche Instanz
Wie aus dem am Donnerstag publizierten Urteil hervorgeht, schickt das Bundesgericht die Fälle weiter ans Zürcher Verwaltungsgericht. Oder anders gesagt: Wertvolle Zeit geht verloren.
Haben die Städte bei der falschen Instanz Beschwerde eingereicht? Ja und Nein, befindet das Bundesgericht. Den Widerspruch löst das Gericht – verkürzt wiedergegeben – so auf: Das Zürcher Recht besagt, dass das Verwaltungsgericht nicht für Beschwerden gegen Entscheide des ZVV-Verkehrsrats zuständig ist, wenn sie politischen Charakter haben. Also war der Regierungsrat die richtige Adresse.
«Nicht bundesrechtskonform»
Gemäss Bundesgericht sind die ZVV-Entscheide in diesem Fall aber unpolitisch. Das Zürcher Recht rügen die Lausanner Richter im aktuellen Fall als «nicht bundesrechtskonform». Da sich die Städte aber gemäss Zürcher Gesetz richtig verhielten, überträgt das Bundesgericht ihnen keine Gerichtskosten.
Inhaltlich ist der Fall also vertagt. Bis das Verwaltungsgericht entschieden hat, können Monate, ja Jahre vergehen. Bis dahin ist die Kostenfrage voraussichtlich politisch entschieden – via die erwähnten Initiativen von SVP und FDP.
Trams und Busse verkehren wie gewohnt
An den Kundinnen und Kunden der VBZ und von Stadtbus Winterthur ist die Streiterei übrigens unbemerkt vorbeigegangen.
Die Stadt Winterthur vertagte die Einführung von Tempo 30, weshalb die geplante Verschlechterung des Angebots gar nicht umgesetzt wurde.
Stadt Zürich übernahm Kosten
Und der Zürcher Stadtrat entschied 2022, die Zusatzkosten zu übernehmen, bis die Frage juristisch entschieden ist. Das Tram 13 und die Buslinien 38 und 46 verkehren normal.
«Es werden zu gewissen Betriebszeiten zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt, um die längeren Fahrzeiten durch die eingeführten Tempo-30-Abschnitte aufzufangen», schreibt auf Anfrage Irene Tschopp, Sprecherin des Departements der Industriellen Betriebe.
700’000 Franken im Jahr
Die Kosten betragen gemäss Tschopp rund 700’000 Franken im Jahr, also rund 2 Millionen seit Dezember 2021.
Gemäss der 3. Etappe der Strassenlärmsanierung soll in den kommenden Jahren aber ein Grossteil des Strassennetzes auf Tempo 30 oder Tempo 30 nachts umgestellt werden. «Davon tangiert sind fast alle Tram- und Buslinien der VBZ», schreibt Tschopp.
Dannzumal werden die Mehrkosten in der Grössenordnung von 15 Millionen Franken im Jahr betragen, wie sie bestätigt.
Der ZVV nimmt den Entscheid des Bundesgerichts zur Kenntnis, wie ein Sprecher auf Anfrage sagt.
Stadt wundert sich über Entscheiddauer
Die Stadt Zürich merkt an, dass neben dem kantonalen Recht auch die Gerichtspraxis des Bundesgerichts «bisher keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich» vorsah. Das Bundesgericht habe über die Zuständigkeit also neu entschieden.
Nichteintretensentscheide erfolgten normalerweise innert Tagen oder Wochen. Angesichts der anderthalb Jahre bis zum Urteil sei die Frage «für das Bundesgericht nicht leicht zu entscheiden» gewesen, kommentiert die Stadt.
Urteile 2C_302/2023 und 2C_309/2023 vom 11. Oktober 2024
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