TV-Kritik «Tatort»Kommissar Faber gegen alle – und jeder gegen jeden
In neuen Dortmunder Fall sind alle, die im Kommissariat ein- und ausgehen, verdächtig. Superraffiniert, aber auch etwas kompliziert.

Geheimnisvoll gehts los im neuen Dortmunder «Tatort»: Mal sehen wir die titelgebenden Abstellgleise aus der Vogelperspektive, mal zoomt die Kamera in Zeitlupe auf den wunderbar ausgelaugten Kommissar Faber zwischen Zügen, Containern und Gleisen (Jörg Hartmann). Der Clou dieses Einstiegs ist, dass man erst in Minute 2:09 begreift, dass Faber hier der Gejagte und nicht der Jäger ist – und dass die Waffe, die sich auf ihn richtet, von seiner Kommissarskollegin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) gezogen wurde.
Nach dem Einblenden des Titels springt der Film rückwärts. «Die stellen uns aufs Abstellgleis», schimpft die Herzog da, als das Kommissarsduo den Auftrag erhält, eine Fahrerflucht mit Todesfolge zu ermitteln. Der am Tatort anwesende Chef der kriminaltechnischen Untersuchung, Haller (Tilman Strauss) – der einst für den Tod von Fabers ehemaliger hochgeschätzter Kollegin Bönisch mitverantwortlich war –, feixt denn auch: «Ihre Chefin will Sie loswerden. Ich will Sie loswerden. Und der Polizeichef lässt die Korken knallen, wenn uns das gelingt.» Stattdessen liegt Haller selbst bald abgestochen in seiner Wohnung.
Klar, dass Fabers Chefin ihn darum ganz oben auf der Liste der Verdächtigen platziert. Was darauf folgt, ist ein Verwirrspiel vom Feinsten, vom Schöpfer des Dortmunder Teams, Drehbuchautor Jürgen Werner, superraffiniert designt wie ein Spiegellabyrinth. Dazu passt auch, dass Faber, quasi in Umkehrung des Anfangs, in der 71. Minute seine Dienstwaffe gegen Kollegin Herzog zu zücken droht.

Aber wieder kommt alles ganz anders. Oder doch nicht? Sämtliche Player im Kommissariat, inklusive eines Kollegen aus der Vergangenheit, haben irgendwie Dreck am Stecken, und wer wirklich zu den Guten gehört und wer zu den Bösen, ist keineswegs ausgemacht.
Allgemeine Verunsicherung, vielschichtige Täuschung
Regisseur Torsten Fischer kreiert dieses Grundgefühl der allgemeinen Verunsicherung und vielschichtigen Täuschung mit unscharfen Silhouetten im Dunkel, mit Schattenrissen, Spiegelungen, oft beäugt man sich auch durch einen Türspalt oder durch einen Jalousieschlitz, und der Hintergrund verschwimmt häufig.
Bis zum dramatischen Schluss bleibt es hoch spannend – und es wird deutlich, dass die Sache noch lang nicht auserzählt ist. Überhaupt ist das auch die Krux von «Abstellgleis»: Manche Bildmotive und nebenbei hingeworfene Bemerkungen reissen den gesamten Story-Horizont des 2012 mit Faber und Bönisch (und anderen) gestarteten Teams auf, gleichzeitig werden komplexe Verwicklungen für die Zukunft ausgelegt und herangeunkt.
Die wilde und wehmütige Chose kommt etwas kompliziert daher, teils verliert man schier die Fahrerfluchtgeschichte aus dem Blick; auch ist Vorwissen über die letzten 13 Faber-Jahre schon hilfreich (wenn auch nicht absolut zwingend). Trotzdem: Das «Abstellgleis» verdient einen grossen Bahnhof.
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