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Frauen über 50 in TV und Kino
Ihre Serie würde produziert – wenn die Hauptfigur 20 Jahre jünger wäre

Frau in roter Daunenjacke steht vor schneebedeckten, kahlen Bäumen, schaut nachdenklich in die Ferne.
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In Kürze:
  • Die preisgekrönte Schweizer Serie «$hare» thematisiert eine 59-jährige Hauptfigur im Rohstoffhandel.
  • Trotz internationaler Medienaufmerksamkeit verlangen Produzenten eine deutlich jüngere Protagonistin.
  • Das Projekt wird nun unabhängig über die Streamingplattform Olyn finanziert.
  • Ältere Frauen sind in Filmen und Serien stark unterrepräsentiert, besonders in Hauptrollen.

Mehr als eine halbstündige Pilotfolge gibt es von «$hare» bislang nicht. Trotzdem haben schon der «Guardian» oder das Magazin «Forbes» über das Projekt von Katja Meier geschrieben. Wie wurde die kleine Schweizer Serie zum internationalen Medienthema?

Vor rund zwei Jahren hat die 52-jährige Autorin und Produzentin Katja Meier mit dem Drehbuch für «$hare» den Preis des Writers Lab UK & Europe gewonnen. Das Programm für Drehbuchentwicklung richtet sich an Frauen und nonbinäre Personen über 40 und wird unter anderem von Meryl Streep, Nicole Kidman und Oprah Winfrey unterstützt. Herstellen konnte Meier ihre Serie bislang trotzdem nicht.

Frau mit langen braunen Haaren in einem weissen Hemd, steht vor einer gelben Wand neben einem Fenster.

«$hare» erzählt von der 59-jährigen Lena Corbyn, die auf einem Campingplatz im Engadin lebt und Teile eines britisch-schweizerischen Rohstoffkonzerns erbt. Mit zwei Mitstreiterinnen will sie die Firma umkrempeln: Eine schädliche Mine in Südafrika soll geschlossen werden, und die Belegschaft soll Anteile am Unternehmen übernehmen. Der Plan weckt den heftigen Widerstand von Lenas Schwester und Nichte. Der Plot erinnert ein wenig an «Succession», aber «$hare» ist eher handgemachtes Wirtschaftsdrama in den Schweizer Bergen.

Verschiedene Produzenten waren an dem Stoff interessiert, stellten aber die Bedingung, dass die Hauptfigur gut 20 jünger gemacht wird. Statt 59 soll sie 35 Jahre alt sein. Der Tenor: Wer will schon eine Serie mit einer 59-jährigen weiblichen Hauptfigur sehen?

Zwei Personen stehen im tiefen Schnee vor einem eingeschneiten Wohnwagen. Eine Person trägt einen orangenen Mantel, die andere eine bunte Tasche.

Und das, obschon Frauen ab 50 kaufstark sind und ihre eigene Lebensrealität auch in der Fiktion wiederfinden wollen. Gemäss «Forbes» wird die Altersgruppe in den USA und Grossbritannien bald die reichste sein.

Zusammen mit Regisseurin Delia Mayer («Unorthodox») hat Katja Meier entschieden, «$hare» unabhängig zu produzieren. Für knapp 8 Franken kann man das Projekt auf der Streamingplattform Olyn unterstützen. Olyn verkauft Inhalte direkt ans Publikum – ohne Mittelsleute. Wie viele Zuschauer sich bislang für das Projekt interessieren, möchte Katja Meier noch nicht sagen. Aber sie lässt durchblicken, dass es nicht so einfach ist, eine Serie auf diese Weise ans Publikum zu bringen.

Frauen über 50 kriegen höchstens Nebenrollen

Eine US-Studie des Geena Davis Institute hat die erfolgreichsten Filme und Serien zwischen 2010 und 2020 untersucht und kam zum Schluss, dass Figuren über 50 klar unterrepräsentiert sind. Sie kommen in rund einem Viertel der Inhalte überhaupt vor. Spielen sie in Kinofilmen eine Rolle, sind es in vier von fünf Fällen Männer (in TV-Serien sind es in zwei von drei Fällen Männer).

Frauen über 50 sind in der Regel in Nebenrollen zu sehen. Während es kein Problem darstellt, wenn selbst über 70-jährige Männer noch als Actionstars auftreten. Auch werden Figuren über 50 seltener in zärtlichen oder intimen Situationen gezeigt und verlieben sich weniger oft als jüngere Charaktere.

Für Regisseurin Delia Mayer hat das Problem der geringen Sichtbarkeit mit der Angst vor der Endlichkeit zu tun. Vor allem mit der männlichen Angst: «Die Frau ab 50 ist nicht mehr fruchtbar, kann sich nicht mehr reproduzieren und verliert dadurch ihre Daseinsberechtigung, Sie verschwindet von der Bildfläche in einer Gesellschaft, die sich nicht mit Endlichkeit oder einer anderen Form von Potenz und Wachstum auseinandersetzt.»

Manifest für den Dreh von «$hare»

Daran orientiere sich auch die Filmindustrie und erzähle Geschichten vom Weichenstellen in jungen Jahren oder von der aus männlicher Sicht erzählten potenten Lebensmitte. «Was danach bei der weiblichen Hälfte der Bevölkerung kommt, darauf schaut man nicht gern.

Alles Gründe, die Serienschöpferin Katja Meier darin bestärken, «$hare» ausserhalb der etablierten Strukturen herzustellen. In der Schweiz werde in Ausschreibungen immer wieder verlangt, dass Geschichten anders erzählt würden – aber die Herstellung dieser Projekte verlaufe dann doch wieder in den gewohnten Bahnen.

Das «$hare»-Team will auch diesen Schritt anders gestalten und hat sich ein Manifest gegeben, das unter anderem Lohngleichheit und eine umweltverträgliche Arbeit auf dem Set vorsieht.

Menschen feiern nachts in einer Bar mit lebhaftem Licht und Atmosphäre.

Dass viel diskutierte Filme wie «The Substance» oder «Babygirl» gerade die Leidenschaften ihrer über 50-jährigen Heldinnen thematisieren, kann man so oder so sehen: Ist es die überfällige Kritik von Hollywood am Schönheitskult – oder bestätigen diese Geschichten gerade den Kult der ewigen Jugend, wenn sie mit Demi Moore und Nicole Kidman zwei besonders selbstoptimierte Darstellerinnen in den Hauptrollen besetzen?

Die serbische Regisseurin und Schauspielerin Mirjana Karanović, die damals in «Das Fräulein» von Andrea Štaka triumphierte, hat mit «Mother Mara» vielleicht gerade ein richtungsweisendes Drama für diese Diskussion gedreht. Sie spielt die Hauptfigur Mara, eine Anwältin, die ihren 20-jährigen Sohn verliert und in der Trauer eine Affäre mit einem seiner Freunde beginnt, einem Fitnesstrainer.

Oft schäme sie sich, sagt die 68-Jährige in einem Interview zu ihrem Film. «Eine Frau in meinem Alter sollte wohl nicht so offen über ihre Leidenschaften und Sehnsüchte sprechen, die eher zur Jugend ‹gehören›.» Nur interessiere sie sich im Alter immer mehr für das Verbotene und Peinliche. Mehr Lebensjahre würden nicht automatisch mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein bedeuten.

Katja Meier sucht Kontakt zu Unis

Meier versucht inzwischen, für die Themen von «$hare» Begeisterung zu wecken und mit Instituten und Universitäten in Kontakt zu treten, um Aufmerksamkeit für die Serie zu schaffen. Anknüpfungspunkte gibt es genug: Rohstoffhandel und grössere Mitbestimmung der Angestellten. Aber auch Ageism und die Frage, ob Erbinnen anders mit Vermögen umgehen als Erben.

Im April sind die «$hare»-Macherinnen erst mal ans Series Fest in Denver in den USA eingeladen, wo zahlreiche Investoren und Produzentinnen einfliegen. «Ein Riesenerfolg», sagt Katja Meier. Und wer weiss, vielleicht findet dort jemand eine 59-jährige Heldin gar nicht so problematisch.

«Mother Mara», im Kino.