TV-Kritik «Tatort»Undercover unter US-Soldaten: Diese Kulisse ist faszinierend
Der 96. Fall der Münchner Kultermittler führt in die Welt des US-Militärs – und in deren echten Sperrbezirk. Spannend.

«The Pentagon has no objections»: Das war die erlösende E-Mail für das Produktionsteam der «Tatort»-Folge «Charlie». Denn die Story aus der Feder von Dagmar Gablers lebt grossteils von dem speziellen Ort: einem riesigen US-Militärgelände auf deutschem Boden. Derzeit gibt es dort solche Gelände und rund 40’000 US-Soldaten – wie lange noch, ist ungewiss. Für «Charlie» durfte auf dem 160 Quadratkilometer grossen Gebiet in Hohenfels bei Regensburg gedreht werden, und dies bei laufendem Truppenbetrieb.
Keine Frage: Diese Kulisse ist ein Coup! Sie ist authentisch und widerspiegelt zugleich die Künstlichkeit einer Filmset-Atmosphäre. Der Fall spielt nämlich während der Vorbereitungen zu einer bombastischen Nato-Übung zwischen vom Militär gebauten Pseudodörfern und nachgestellten Partisanenstützpunkten – mit zahlreichen Soldaten, einer Menge Komparsen und, versteht sich, Panzern, Helikoptern, Waffen.
Seit den 1990ern arbeitet die Nato regelmässig mit Zivilisten-Darstellern zusammen, sogenannten «COB» (Civilian on the Battlefield). Zwei von ihnen werden in «Charlie» Opfer eines blutigen Mordes. Die Frau wird ausserhalb des Truppengeländes aufgefunden, was der Grund dafür ist, dass die beiden angejahrten Münchner Kultermittler Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) überhaupt zum Einsatz kommen – und wir zu ihrem 96. Fall.

Sie tauchen in eine ihnen fremde Hierarchie ein, in denen auch sie selbst erst einmal nichts zu sagen haben – und in der jede Kritik am Beschützer des Westens von jenseits des grossen Teichs sofort abgewatscht wird. Und zwar von der hochschwangeren, äusserst resoluten Majorin Jennifer Miller (Yodit Tarikwa war auch schon am Schauspielhaus Zürich und am Theater Basel zu sehen). Für Batic ist das okay, schliesslich ist er den Amerikanern für ihren Einsatz im Jugoslawienkrieg für immer dankbar.
Umfeld der Münchner «Tatort»-Folge fasziniert
Batic schleicht sich mit Millers Erlaubnis undercover bei den COB ein – kleiner Metascherz des Films: Er spielt einen zivilen Polizisten –, während Leitmayr ganz offiziell an der Seite Millers weiterermittelt. «Eigentlich ist es unmöglich, so eine Art von Film im Rahmen eines ‹Tatorts› zu drehen», sagte Regisseur Lancelot von Naso in einem Gespräch vorab; das Reizvolle daran war für ihn aber eben das Unplanbare, die Überraschungen, die der Truppenbetrieb bot, wie plötzliche Helikoptergeschwader am Himmel.
In unseren verunsicherten Zeiten rückt dieser Film ungemütlich nah an Fragen der deutschen – und nicht nur der deutschen – Verteidigungsfähigkeit heran, und die Lagerkollerwelt der COB fasziniert. Allerdings scheint sich die Kamera gegen Ende etwas zu sehr in Aufnahmen der labyrinthischen Räumlichkeiten und des Geländes verliebt zu haben.
Der Kriminalfall selbst schrumpft arg offensichtlich zum Vorwand für die insgesamt sehr sehenswerten Filmbilder aus Hohenfels; er ist auch nicht wirklich glaubwürdig. «Das Pentagon erhebt keinen Einspruch.» Wir schon den einen oder anderen.
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