Deutsche Ministerin tritt zurückSzenen einer dramatischen Überforderung
Anne Spiegel stand in der Kritik, weil sie in der Flutkatastrophe mehr an sich gedacht hatte als an ihr Amt. Ein Auftritt am Rande der Tränen besiegelte das Los der Grünen.
Es war eine Vorstellung, wie sie selbst langjährige Beobachterinnen und Beobachter der deutschen Regierungspolitik noch nicht gesehen hatten. Nach Tagen der Kritik trat die 41-jährige Anne Spiegel am Sonntagabend um 21 Uhr in ihrem Berliner Ministerium auf und entschuldigte sich dafür, dass sie im vergangenen Sommer in ihrem vorigen Amt als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz überfordert gewesen sei.
Zehn Tage nach den katastrophalen Sturzfluten, die in ihrem Bundesland 134 Menschen getötet hatten, war sie für einen Monat nach Frankreich in die Ferien gefahren. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst jetzt, durch Recherchen der «Bild am Sonntag». Ohne Manuskript, in stockenden Worten und mehrmals am Rand der Tränen erklärte Spiegel vor laufenden Kameras, wie es dazu gekommen war.
Die Familie «über ihre Grenzen gebracht»
Ihre vielen Aufgaben als Landesministerin und grüne Spitzenpolitikerin hätten ihre Familie damals über die Grenzen der Belastbarkeit geführt. Spiegel führte Details sehr privater Art an, etwa, dass ihr Mann nach einem Schlaganfall Stress eigentlich hätte vermeiden sollen und dass die vier kleinen Kinder – eines im Kindergarten-, die anderen im Primarschulalter – nicht gut durch den Pandemiewinter 2020/21 gekommen seien.
Die Familie habe deswegen dringend Erholung benötigt. In der Abwägung habe sie sich im vergangenen Juli für die Familie entschieden und das Amt in der Hand ihres Staatssekretärs zurückgelassen. Was auch immer sie dazu bewogen habe: Das sei ein Fehler gewesen, für den sie um Entschuldigung bitte.
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Die Kommentare zu Spiegels Auftritt am nächsten Morgen fielen verheerend aus. Selbst wer bisher noch gedacht habe, die Forderung nach einem Rücktritt für vergangene Versäumnisse sei überzogen, den müsse Spiegels nächtliche Vorstellung jetzt eines Besseren belehren, schrieb der Kommentator des Nachrichtensenders n-TV. Die linksliberale «Süddeutsche Zeitung» forderte die Ministerin genauso zum Rücktritt auf wie die liberal-konservative «Frankfurter Allgemeine Zeitung» oder die «Welt».
Eine lange Kette von Versäumnissen
Zum Verhängnis wurde der grünen Politikerin, die erst vor 124 Tagen als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vereidigt worden war, weniger ihre Schwäche im letzten Sommer als vielmehr ihr kommunikativer Umgang damit. Weder begründete sie damals öffentlich, warum sie längere Ferien benötige, noch sagte sie dazu bis Sonntag die Wahrheit, als Medien nachfragten.
Spiegel stand bereits zuvor unter Druck, weil ihr Amt, das für die Warnung vor dem drohenden Unwetter am 15. Juli verantwortlich war, erst abwiegelte – und später, als ihm das Ausmass der Fluten bewusst wurde, nicht Alarm schlug. Die Ministerin selbst war am Abend nicht mehr erreichbar. Handy-Kurznachrichten, die vor einem Monat im Zuge eines Untersuchungsausschusses bekannt wurden, scheinen zudem zu belegen, dass Spiegel sich am Tag nach der Katastrophe mehr um ihr Image in der Öffentlichkeit sorgte («Wir brauchen ein Wording») als um ihre Verantwortung für die Katastrophe und deren Opfer.
Selbst den Rat von Habeck und Baerbock schlug sie aus
Als Bundesministerin stand sie deswegen von Beginn weg unter Druck der Opposition – aus Gründen, die mit ihrem früheren Amt zu tun hatten, nicht mit dem aktuellen. Zuletzt hatten, so berichtete es die «Bild»-Zeitung, selbst Robert Habeck und Annalena Baerbock, die führenden Grünen in der Regierung, Spiegel geraten, ihr Amt abzugeben. Sie hatte stattdessen um eine letzte Chance gebeten – und schliesslich am Abend mit ihrem bemitleidenswerten Auftritt selbst ihren Fall herbeigeführt.
18 Stunden danach erklärte Spiegel ihren Rücktritt. Sie reagiere damit auf «politischen Druck», schrieb sie in einer Erklärung, und wolle Schaden von ihrem Amt abwenden. Ihr grosser Dank gelte allen, die sie solidarisch unterstützt hätten.
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