Wirtschaftskrise in GrossbritannienSunak will wütende Briten am Streiken hindern
Der britische Premier hat Gewerkschaften den Kampf angesagt. Mit einem neuen Gesetz will er die grösste Streikwelle seit Jahrzehnten brechen.
Es ist noch nicht lange her, da erklärte Rishi Sunak, seine Tür stehe den Gewerkschaften immer offen. Er sei bereit, über deren Lohnforderungen zu sprechen, sagte der britische Premier letzte Woche. Doch kurz darauf liess Sunak ein neues Gesetz ankündigen, mit der die Regierung das Streikrecht deutlich einschränken will.
Grossbritannien erlebt in diesem Winter die grösste Streikwelle seit den Achtzigerjahren. Krankenschwestern und Pfleger, Angestellte von Post und Bahn, Grenzschützer und Sanitäter sind in den Arbeitskampf gezogen. Sie fordern höhere Löhne, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen. Die Inflationsrate liegt in Grossbritannien bei gut zehn Prozent.
Verständnis für Pfleger und Krankenschwestern
Ein Ende der Arbeitskämpfe ist bislang nicht in Sicht. Im Januar gibt es keinen Tag, an dem nicht irgendwelche Streiks angekündigt sind. Sunak gerät dabei immer stärker unter Druck. Viele Britinnen und Briten machen nämlich die Regierung für das Chaos verantwortlich, vor allem im staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Laut einer Yougov-Umfrage hat die Mehrheit der Befragten nicht nur Verständnis für die Anliegen von Pflegern und Krankenschwestern, sie sieht die Hauptschuld für die Streiks ganz klar bei der Regierung.
Sunak hat nun Wirtschaftsminister Grant Shapps beauftragt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das Streikrecht einzuschränken. «Die Regierung muss das Streikrecht schützen, aber auch Leben und Existenzgrundlagen», sagte Shapps. Man hoffe zwar auf einvernehmliche Lösungen, werde aber sogenannte Minimum Safety Levels einführen. Diese Mindeststandards sollen gewährleisten, dass es in wichtigen Bereichen wie etwa dem Gesundheitsdienst, der Feuerwehr oder im Bahnverkehr eine Art Grundversorgung gibt.
Wie diese Mindeststandards genau funktionieren sollen, ist noch offen. Laut «Financial Times» sollen Arbeitgeber eine Zahl von Angestellten festlegen, die benötigt wird, um während eines Streiks ein Mindestniveau an Dienstleistung sicherzustellen. Wenn betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotzdem streiken, könnte der Kündigungsschutz gelockert werden.
Die Gewerkschaften sind alarmiert. Paul Nowak, der Generalsekretär des Trades Union Congress, bezeichnete das Vorhaben der Regierung als «falsch und undurchführbar». Es sei «mit ziemlicher Sicherheit gesetzeswidrig», Menschen zur Arbeit zu zwingen, wenn sie für einen Streik gestimmt haben. Nowak erklärte, dass er jeden Schritt der Regierung in diese Richtung bekämpfen werde.
«Die Tories sind offensichtlich wild entschlossen, die Gewerkschaften zu kriminalisieren und zu schikanieren.»
Ebenso deutlich äusserte sich der Generalsekretär der Feuerwehrgewerkschaft, Matt Wrack: «Die Tories sind offensichtlich wild entschlossen, die Gewerkschaften mit diesem drohenden Angriff auf das Streikrecht zu kriminalisieren und zu schikanieren.» Die General Trade Union, die auch Angestellte im staatlichen Gesundheitsdienst vertritt, sieht in dem Gesetzesvorhaben die «Verzweiflungstat» einer Regierung, die «alles versucht, um von dem Chaos abzulenken, das sie angerichtet hat».
Auch von oppositionellen Labour Party kommt Kritik. Labour-Chef Keir Starmer sprach sich klar gegen das geplante Gesetz der Regierung aus. Sollte es tatsächlich in Kraft treten, werde er das Gesetz im Fall eines Labour-Wahlsiegs wieder abschaffen. In Grossbritannien wird im kommenden Jahr ein neues Parlament gewählt. Derzeit liegt Labour laut Umfragen deutlich vor den Tories.
In der Bevölkerung fällt das Verständnis für die Streiks je nach Branche unterschiedlich aus. Laut Umfragen unterstützen die Britinnen und Briten mehrheitlich die Anliegen von Pflegern und Krankenschwestern. Dass hingegen Grenzschützer und Polizistinnen die Arbeit niederlegen, stösst auf weitaus weniger Zustimmung.
Ambulanzen stehen Schlange
Politisch hat Sunak vor allem ein Problem: den unterfinanzierten staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Gerade im Winter offenbart sich der teils katastrophale Zustand des Gesundheitssystems. Der Präsident des Verbands britischer Notfallmediziner, des Royal College of Emergency Medicine, warnte bereits davor, dass aufgrund der schlechten Versorgungskapazitäten in der Notfallmedizin bis zu 500 Menschen pro Woche sterben könnten.
Die Lage ist schon jetzt äusserst angespannt. In diesem Winter gibt es überdurchschnittlich viele Influenza-Fälle, die im Spital behandelt werden müssen. Auch die Zahl von Covid-Patienten in Kliniken steigt wieder an. Vor vielen Notaufnahmen stehen Ambulanzen Schlange, weil die Patienten nicht umgehend aufgenommen werden können.
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