Bürgerkrieg im SudanDer Genozid kehrt nach Darfur zurück
Im Schatten des Gaza-Krieges verüben Milizen im Westsudan grausame Massaker, Hunderte Menschen sterben. Über einen Krieg im Verborgenen, der sich erneut zum Völkermord auswächst.
Ihren letzten grösseren Stützpunkt in Darfur hält die reguläre sudanesische Armee (SAF) in der Stadt Fashir. Dort verschanzt sich das 6. Infanterieregiment gegen den Ansturm der Angreifer, wie der Radiosender Dabanga meldet. Aber wie lange wird das Militär noch aushalten? Die Kämpfer der Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kommando des Milizenchefs Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, sind im Westen des Sudan auf dem Vormarsch, und das schon seit Wochen.
Zwar gelten Hemetis Truppen als unfähig, Städte zu verwalten und eine zivile Ordnung in den eroberten Gebieten zu organisieren, ihre Grausamkeit gegenüber unbewaffneten Bauern und Flüchtlingen allerdings ist weithin berüchtigt. Darfur stürzt damit immer tiefer in die Anarchie. Straf- und Gesetzlosigkeit bestimmen den Alltag.
Sechs Millionen Sudanesen sind auf der Flucht
Die Angreifer ziehen Spuren von Tod und Verwüstung durch die Halbwüsten entlang der Grenze zum Tschad. Die jüngste Offensive der RSF-Milizen im Norden von Darfur passt ins Bild. Hemeti setzt viel daran, die Armee aus dem gesamten Westsudan zurückzudrängen. Der Milizenchef, der früher mit Kamelen handelte, bevor er ins militärische Geschäft einstieg, ist erbitterter Rivale von Armeechef Abdel Fattah al-Burhan. Der hat sein Hauptquartier von der umkämpften Hauptstadt Khartum in den Osten, nach Port Sudan, verlegt.
Zwar ist der Zugang zum Roten Meer strategisch ein Vorteil für das Militär, allerdings geraten Burhans Truppen im Westen immer stärker in Bedrängnis. Beide Generäle setzen jedoch aufs Ganze. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Die Menschen sind den Generälen egal».)
Seit April kämpfen sie um die alleinige Vorherrschaft über den Vielvölkerstaat am Nil, ohne dass Sudan-Experten das für ein realistisches Ziel hielten. Die Folgen der Kämpfe sind unterdessen katastrophal: Tausende Sudanesen sind gestorben. Fast jeder zweite Bewohner braucht laut UNO Hilfe, sechs Millionen sind auf der Flucht. Versorgt werden kann nur ein Bruchteil der Bedürftigen.
Um das militärische Patt aufzubrechen, müssten Hemeti noch viele Siege gegen Burhan gelingen, nicht nur in Darfur. Langfristig zeichnet sich deshalb eine Spaltung des Sudan ab.
Gespenster des Völkermordes von 2003 sind zurück
Dass die Weltöffentlichkeit die Scheinwerfer gerade voll und ganz auf Gaza gerichtet hat, der Sudan-Konflikt also noch stärker im Verborgenen wütet als in früheren Jahren, spielt den Milizen in Darfur in die Hände.
Augenzeugen berichteten von einem Massenmord im Flüchtlingslager Ardamata in Westdarfur in den ersten Novembertagen. Bewaffnete gingen demnach von Hütte zu Hütte, sie erschossen Männer und Jungen. Die Gewalt in Ardamata ist mutmasslich das grösste Massaker an Zivilisten im Sudan seit Beginn des Krieges im April dieses Jahres.
Die nicht arabischen Völker sind einem brutalen Vertreibungsfeldzug ausgesetzt.
Die Zahl der Opfer kann bislang nur geschätzt werden. UNO-Quellen nennen 800 Tote innerhalb von 72 Stunden, die EU spricht von mehr als 1000, das Nachrichtenportal «Sudan Tribune» berichtete von mehr als 2000 Menschen, die von bewaffneten Milizen innerhalb von wenigen Tagen getötet wurden.
Frauen und Mädchen sind im Krieg in Darfur häufig sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Milizen der RSF nutzen die Grausamkeiten, um bestimmte Gemeinschaften in Darfur zu terrorisieren, stellten UNO-Experten im August fest.
Die Gespenster des Völkermordes von 2003 sind wieder zurück: Vieles, was sich seit Wochen schon in den entlegenen Weiten des Westsudan abspielt, ist für die Betroffenen ein grausames Déjà-vu. Die meisten Opfer des Massakers in Ardamata gehören zum Volk der Masalit. Wie die Ethnien Fur und Zaghawa werden sie gezielt verfolgt.
Diese nicht arabischen Völker sind einem brutalen Vertreibungsfeldzug ausgesetzt. Und die Hinweise verdichten sich, dass Hemeti-treue Kampftruppen in vielen Fällen dafür verantwortlich sind. Seine Kämpfer gehören häufig arabischstämmigen nomadischen Gruppen an.
Diese Kämpfer hatte schon der frühere Diktator Omar al-Bashir als Waffe in Darfur in Stellung gebracht, um die Völker an den Rändern seines Gewaltreiches zu unterjochen. Vor zwanzig Jahren hiessen die Milizen Janjawid – «Teufel auf Pferderücken». Sie verbreiteten Tod und Schrecken in der Region, der Genozid in den Jahren 2003 bis 2008 kostete 300'000 Menschen das Leben.
Neben den Kämpfen in Darfur sind die Gefechte in der Hauptstadt Khartum wieder aufgeflammt.
Für die Verbrechen jener Jahre wurde Ex-Diktator Bashir vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt, der Sudan lieferte den Ex-Machthaber aber niemals aus. Gesicherte Informationen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort gibt es nicht.
Sicher können sich die Menschen in Darfur nicht mehr fühlen, und oft ist es schwer für sie, sich den Kampfzonen zu entziehen. Der Gouverneur von Nord-Darfur, Abdel Rahman, appellierte vor wenigen Tagen an die Armeen, sie sollten «Bewohnern erlauben, alle Gebiete zu verlassen, in denen Gefahr für ihr Leben droht».
Appelle der Europäer bleiben ohne Konsequenzen
Die EU hat Anfang der Woche vor einer Wiederholung des Genozids in Darfur gewarnt, aber solche Appelle verhallen. Mit zwei grossen Kriegen in der europäischen Nachbarschaft, in Nahost und der Ukraine, ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, dass es Druck auf die Akteure im Sudan gibt, von der Gewalt zu lassen. Auch die USA, die mit Saudiarabien versuchen, in Jeddah Friedensgespräche anzustossen, kommen nicht voran.
Die erbittert rivalisierenden Generäle Hemeti und Burhan hatten 2019 – unter dem Druck ziviler Massenproteste am Nil – ihren früheren Paten Bashir an der Spitze des Staates gestürzt. Zwei Jahre später aber entmachteten sie eine Übergangsregierung und haben sich seither in blutiger Rivalität verkeilt. Auch die Hauptstadt Khartum haben die Kriegsherren in ein Schlachtfeld verwandelt und in grossen Teilen zerstört.
Neben den Kämpfen in Darfur sind zuletzt auch die Gefechte in der Hauptstadt wieder aufgeflammt, wie Radio Dabanga berichtete. Die Armee startete erneut Luftangriffe auf mutmassliche Stellungen der RSF. Auch heftiges Artilleriefeuer war zu hören, über die Zahl der Opfer gab es zunächst keine Angaben.
Fehler gefunden?Jetzt melden.