STV-Direktorin Wertli gehtDer nächste Knall beim Turnverband
Überraschend gibt Béatrice Wertli die operative Leitung des Schweizerischen Turnverbandes per sofort ab – aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die Führung.

Am Donnerstagmorgen verschickt der Schweizerische Turnverband eine Mitteilung mit Sprengkraft: Béatrice Wertli gibt ihren Posten als Direktorin per sofort ab. Darauf hätten sich der Zentralvorstand und Wertli in gegenseitigem Einvernehmen geeinigt, heisst es im Schreiben. Und weiter: «Die Trennung erfolgt aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die operative Führung.» Wertli wird dem STV in den kommenden Monaten allerdings noch beratend zur Seite stehen.
Die 47-jährige Aargauerin trat ihren Posten im März 2021 an – in einer Zeit, als sich der STV in einer grossen Krise befand. Neben den Unwägbarkeiten der Covid-Pandemie war der grösste Sportverband des Landes wegen des Umgangs mit seinen Athletinnen ins Schlingern geraten. Im Sommer 2020 hatten diverse Medien Missstände und Misshandlungen im Nationalkader der Rhythmischen Gymnastik publik gemacht. Im Oktober 2020 zeigten schliesslich die «Magglingen-Protokolle» im «Magazin» auf, dass Athletinnen in der Rhythmischen Gymnastik und auch im Nationalkader der Kunstturnerinnen regelrecht gebrochen wurden. Weil sie längst von den Vorfällen gewusst hatten, mussten Geschäftsführer Ruedi Hediger und Chef Spitzensport Felix Stingelin gehen.
Die frühere CVP-Generalsekretärin und Berner Stadträtin Wertli machte von Beginn an klar, dass sie den STV anders führen und die Vorfälle lückenlos aufarbeiten will. In einem Interview mit dieser Redaktion im Frühjahr 2021 sagte sie: «Es ist mein Grundsatz, zu dem ich unbedingt stehe: Transparenz schaffen, die Krise als Chance sehen. Vielleicht setzen wir als Verband in Zukunft sogar neue und höhere Standards in Sachen Ethik.» Tatsächlich schuf der STV in der Folge eine Ethikkommission, Selbiges geschah auf nationaler Ebene mit Swiss Sport Integrity (SSI).
STV-Zentralpräsident Fabio Corti sagt nun zum Abschied: «Béatrice Wertli hat sich grosse Verdienste um den Schweizer Turnsport erworben und hat dank ihres Know-how und ihrer Persönlichkeit den STV sicher und mit Weitsicht durch diese herausfordernde Zeit geleitet.» Sie habe den Kulturwandel miteingeleitet und die Reorganisation des Verbandes massgeblich mitgeprägt.
«Ich bin sehr stolz darauf, was wir als Team in den vergangenen zweieinhalb Jahren beim STV für das Turnen in der Schweiz erreicht haben», hält derweil Wertli fest. «Mit der Stabilisierung des Verbandes und der Einleitung des Kulturwandels konnte ich meine wichtigsten Ziele erreichen. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, den Stab weiterzureichen.»
Und trotzdem rumort es weiter
Trotz des Engagements von Wertli herrscht beim STV jedoch weiterhin nicht nur eitel Sonnenschein. So zeigten Recherchen des Schweizer Fernsehens im Frühling, dass eine Trainerin des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums in Liestal (NKL) ihre Turnerinnen und Turner der Disziplin Trampolin während Jahren verbal erniedrigt und ihnen teilweise sogar Schmerzen zugefügt haben soll. Gemäss SRF sind diese Missstände im Herbst 2021 auch an die STV-Führung um Wertli herangetragen worden. Doch diese habe sie, so der Vorwurf, verschleppt. Erst ein halbes Jahr später sei der STV an die SSI gelangt – kurz nachdem die Ethikstelle wegen einer Meldung durch das Sportamt Baselland eine Untersuchung gegen die beschuldigte Trainerin eröffnet hatte. Wenig später wurde diese vom Trainingsbetrieb suspendiert.
Kurz danach sorgte auch der Abgang der Kunstturn-Nationaltrainerin Wendy Bruce-Martin und ihres Assistenztrainers Craig Tetreault für Nebengeräusche. Hinzu kam, dass durch die Reorganisation in der Rhythmischen Gymnastik ausgerechnet in jener Sparte, die von den Skandalen im Sommer 2020 am meisten betroffen war, nie richtig Ruhe einkehrte. Wie eine Recherche zeigte, ist die Basis verunsichert, es mangelt an Perspektiven.
Ob die anhaltenden Turbulenzen beim grössten Sportverband des Landes Wertli in ihrem Amt zermürbt haben oder ob sie wegen ihres Krisenmanagements zunehmend intern unter Druck geriet, ist Spekulation: Wertli lehnt gegenüber dieser Zeitung eine weiterführende Stellungnahme ab.
Was die Frage der Nachfolge betrifft, lässt der STV verlauten: Die in der aktuellen Phase erforderliche Weiterentwicklung und operative Umsetzung bedürfen nun neuer Kompetenzen und Führungsfähigkeiten. Bis zur Neubesetzung des Postens übernimmt der stellvertretende Direktor und Chef Finanzen & Dienste, Kurt Hunziker, die operative Leitung interimistisch.
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