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Meinung

Kommentar zu Steuerrabatt
Weniger Steuern für Vollzeitarbeitende: Diesen Rabatt braucht es nicht

Ein Vater fuettert seine 6 Monate alte Tochter an seinem freien Tag, fotografiert am 19. Mai 2020 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
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7053 Franken: Diesen Betrag sollen Arbeitnehmende in ihrer Steuererklärung vom Einkommen abziehen können, sofern sie in Vollzeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Idee stammt vom Luzerner FDP-Politiker Damian Müller, der damit etwas gegen den Fachkräftemangel unternehmen will. Seine Motion dazu ist im Ständerat am Donnerstag traktandiert. Teilzeit-Arbeitskräfte sollen durch den Steuerabzug einen finanziellen Anreiz erhalten, ihr Pensum zu erhöhen.

Man mag das für einen originellen Vorschlag halten, moralisch gerechtfertigt nach dem Motto: Wer viel arbeitet, sollte doch auch belohnt werden! Doch bei näherem Hinsehen entpuppt er sich als Rohrkrepierer. Es macht überhaupt keinen Sinn, den Fachkräftemangel auf diese Weise bekämpfen zu wollen.

Geldverschwendung im grossen Stil

Denn erstens geht die Idee komplett an den Bedürfnissen moderner Familien vorbei. Sie teilen sich die Kinderbetreuung typischerweise untereinander auf. Ein Elternteil arbeitet zum Beispiel 80 Prozent, der andere Teil 60 Prozent. Ein Steuerabzug für Vollzeitpensen würde diese Familien zurück ins klassische Schema drängen: Der Mann arbeitet 100 Prozent, die Frau bleibt öfter zu Hause. Ausserdem würde er Leute mit Kindern generell gegenüber Kinderlosen benachteiligen. Das will weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft.

Zweitens ist zweifelhaft, ob die Massnahme effektiv den Vollzeitanteil erhöht. Viele Leute arbeiten Teilzeit, weil sie nicht anders können – sei es wegen der Betreuung von Kindern oder älteren Angehörigen, wegen gesundheitlicher Probleme oder weil es in ihrer Branche schwierig ist, eine Vollzeitstelle zu bekommen. Verbreitet ist dieses Problem etwa im Kulturbereich oder bei niedrig qualifizierten Jobs im Detailhandel oder in der Reinigung. Andere Menschen haben schlicht ein anderes Lebensmodell: Sie wollen lieber mehr Zeit haben – finanzielle Einbussen nehmen sie dabei bewusst in Kauf.

Drittens wäre ein Steuerrabatt für Vollzeitarbeitende sozial ungerecht. Denn davon profitieren in erster Linie die Gutverdiener. Zum Beispiel eine Person mit einem Einkommen von 200’000 Franken: Ihre jährliche Steuerrechnung würde dank dem Abzug um rund 2000 Franken günstiger. Dagegen zahlt eine Person mit einem Einkommen von 50’000 Franken ohnehin fast keine Steuern. Ein zusätzlicher Abzug würde daran auch nichts ändern.

Viertens wäre die Massnahme extrem kostspielig. Das liegt am sogenannten Mitnahmeeffekt: Rund 3 Millionen Menschen arbeiten bereits heute in einem 90- bis 100-Prozent-Pensum. All diesen Leuten Steuern zu erlassen, würde die Staatskasse mit einem Milliardenbetrag belasten. Doch die Wirkung dieser Gelder wäre gleich null – denn diese Menschen arbeiten bereits heute Vollzeit.

Fünftens ist fraglich, ob der Staat den Bürgern überhaupt beim Arbeitspensum dreinreden sollte. Denn Freizeit ist auch eine Form von Wohlstand: Dass heute nicht mehr wie im 19. Jahrhundert 70 Stunden pro Woche und sechs Tage lang geschuftet wird, sondern in der Regel nur noch 40 bis 42 Stunden – oder in einem Teilzeitpensum eben noch weniger –, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Warum sollte man das Rad der Geschichte in dieser Hinsicht zurückdrehen?

Partizipation in der Schweiz ist bereits hoch

Sicher: Gewisse Branchen in der Schweiz verspüren einen Fachkräftemangel. Und weil viele ältere Arbeitstätige in Pension gehen, während weniger Junge nachrücken, dürfte sich dieser Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch verschärfen. Das stellt die Wirtschaft vor grössere Herausforderungen.

Statt die gesuchten Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren, so begründen nun Damian Müller und seine Mitunterzeichner aus der FDP ihren Vorstoss, könnten vermehrt inländische Arbeitskräfte ihre Pensen erhöhen. Das könnte einen Beitrag dazu leisten, dass die Zuwanderung weniger hoch ausfällt.

Doch die Statistiken legen nahe: Das Arbeitskräftepotenzial ist hierzulande schon weitgehend ausgeschöpft. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine der höchsten Erwerbsquoten. Das heisst, dass verhältnismässig viele Menschen im erwerbsfähigen Alter bereits in den Arbeitsprozess integriert sind.

Es trifft zwar zu, dass in den letzten Jahrzehnten Männer ihre Pensen im Schnitt gekürzt haben. 1990 arbeiteten noch 90 bis 100 Prozent der Männer in einem Vollzeitpensum, heute sind es noch 80 bis 90 Prozent. Erklärbar ist das hauptsächlich mit der vermehrten Kinderbetreuung. Doch im Vergleich stehen die Schweizer Männer weit vorne: Gerechnet in Vollzeitäquivalenten hat kaum ein anderes OECD-Land eine höhere Erwerbsquote unter Männern.

Nachholbedarf bei der Partizipation von Frauen

Wenn überhaupt, dann gibt es Nachholbedarf bei der Partizipation von Frauen. Hier steht die Schweiz, gemessen an der Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten, international nur im Mittelfeld. Um diese Quote zu steigern, drängen sich aber gerade nicht die Vollzeit-Steuerrabatte à la FDP auf. Sondern Massnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Frauen graduell erlauben, ihre Pensen zu erhöhen – etwa von 40 auf 60 Prozent oder von 60 auf 80 Prozent.

Dass es in der Schweiz massenhaft Leute gibt, die auf Staatskosten ein Dolce-Vita-Leben in Teilzeit geniessen, ist ein Mythos. Diese Redaktion hat ihn in einem umfassenden Faktencheck bereits im Frühling klar widerlegt. Es wäre Zeit, die absurde Debatte darum auch politisch ad acta zu legen.