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Interview zu Steuerprivilegien
«Mit Einkäufen in die zweite Säule spart eine kleine Gruppe Wohlhabender im grossen Stil»

Porträt eines Mannes in einem Anzug, sitzend an einem Tisch mit Diagrammen an einer Tafel im Hintergrund, Lausanne.
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Mit Einzahlungen in die Pensionskasse und in die dritte Säule kann man Steuern sparen – Reiche sogar Hunderttausende Franken. Diese Steuerprivilegien sind hoch umstritten. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) muss gegen den Willen ihrer Partei einen Vorschlag ausarbeiten, wie die Privilegien reduziert werden können.

Herr Brülhart, linke Politiker kritisieren, Pensionskassen dienten vor allem Reichen zur Umgehung von Steuern. Stimmt das?

So würde ich es nicht formulieren. Pensionskassen sind in erster Linie ein bewährtes Instrument zur finanziellen Absicherung des Lebensabends, als Ergänzung zur AHV, die nur die Grundbedürfnisse abdeckt.

Neue Daten zeigen aber, dass über ein Drittel der Grossverdiener jährlich mehrere Hunderttausend Franken ihres Einkommens steuerfrei in die Pensionskasse einzahlt. Ist das noch Altersvorsorge oder einfach bloss Steueroptimierung?

Die Frage stellt sich tatsächlich. Mit der steuerlichen Begünstigung von Vorsorgesparen will man den Leuten ja einen Anreiz geben, heute auf Konsum zu verzichten, um im Alter noch angenehm leben zu können, ohne der Allgemeinheit zur Last zu fallen. Allein die Tatsache, dass jemand einen grossen Betrag steuerfrei einzahlt, ist daher noch kein Beleg dafür, dass die Person das bloss zur Steueroptimierung macht …

Aber?

… aber Steuervorteile können auch von Leuten genutzt werden, die ohne solche Anreize genauso sparsam wären. Ich sehe in Ihren Daten ein Indiz, dass gerade Leute mit sehr hohen Einkommen vor allem Geld in die zweite Säule nachzahlen, um Steuern zu sparen.

Welches Indiz meinen Sie?

Die neu vorliegenden Steuerdaten aus Zug und Genf scheinen mir aufschlussreich. Zug gehört zu den Kantonen mit den tiefsten Steuern und Genf zu jenen mit den höchsten. Vergleichen wir nun die Zahlen in den jeweils gleichen Einkommensklassen.

Sie spielen wohl darauf an, dass Personen mit hohen Einkommen in Genf sehr viel mehr und öfter Geld in die Pensionskasse einzahlen als in Zug.

Genau. Genfer mit einem Einkommen von über einer halben Million Franken zahlen dreimal häufiger in die Pensionskasse ein als Zuger mit gleichem Einkommen. Liegt das daran, dass Genfer allgemein sparsamer sind? Unwahrscheinlich, denn bei tieferen und mittleren Einkommen gibt es keinen Unterschied zwischen den beiden Kantonen. Viel plausibler ist, dass die Genfer häufiger in die Pensionskasse einzahlen, weil man im Hochsteuerkanton Genf den grösseren Anreiz hat, Steuerabzüge auszuschöpfen.

Was schliessen Sie daraus?

Etwas zugespitzt: Reiche Genfer erkaufen sich eine mildere Steuerrechnung, indem sie ihr Vermögen bis zur Pensionierung in der zweiten Säule platzieren, während sich reiche Zuger einen besseren Deal ausrechnen, wenn sie ihr Vermögen selbst anlegen. Ich gehe nicht davon aus, dass reiche Genfer deswegen mehr sparen. Aber um das zu bestätigen, bräuchte man noch detailliertere Daten.

«Das Geld fehlt im Staatshaushalt, und andere müssen zahlen.»

Was bedeutet es volkswirtschaftlich, dass die Reichsten die Steuervorteile in so hohem Mass nutzen?

Zum einen schwächt es die Steuerprogression, weil Leute mit hohen Einkommen von den Steuervorteilen überproportional profitieren. Und zum anderen führt es zu Steuerausfällen. Das Geld fehlt im Staatshaushalt, und andere müssen zahlen.

Genau in diesem Konflikt steht jetzt Finanzministerin Keller-Sutter. Sie muss einen Vorschlag ausarbeiten, wie die Steuerprivilegien der zweiten und dritten Säule reduziert werden können. Was raten Sie ihr?

Ich würde vor allem bei der steuerlichen Behandlung der Pensionskasse ansetzen. Auch die dritte Säule kann zwar der reinen Steueroptimierung dienen, wenn Leute dort Geld anlegen, das sie eh gespart hätten. Aber die jährlichen Einzahlungen in die dritte Säule sind im Gegensatz zu denjenigen in die zweite Säule bei etwas über 7000 Franken gedeckelt.

Dennoch: Könnte der Bundesrat nicht viel mehr Geld holen, wenn er die Privilegien der dritten Säule reduziert?

Nein. Man könnte vielleicht denken, dass die dritte Säule mehr einschenkt, weil sie ein Instrument für die breite Bevölkerung ist. Aber bei Pensionskassen-Einkäufen geht es um wesentlich grössere Beträge. Das zeigen die Zahlen aus Genf: Dort kauften sich 2022 3 Prozent der Steuerzahler für insgesamt 733 Millionen Franken in ihre Pensionskasse ein. Sie sparten damit 162 Millionen Franken an Kantonssteuern. Bei der dritten Säule zahlten achtmal mehr Leute ein, sparten damit aber nur etwas mehr als halb so viel an Kantonssteuern.

Und was leiten Sie nun daraus ab?

Salopp zusammengefasst: Mit der dritten Säule spart die breite Mittelschicht im kleinen Stil, und mit Einkäufen in die zweite Säule spart eine kleine Gruppe Wohlhabender im grossen Stil.

Aber was genau würden Sie bei den Privilegien der zweiten Säule ändern?

Diskutiert wird ja die Idee, beim Bund die Steuer anzuheben, die man beim Bezug des Alterskapitals zahlen muss. Das würde der Bundeskasse höhere Einnahmen auf solchen Bezügen bescheren. Allerdings würden sich Neurentner dann weniger Kapital auszahlen lassen. Und für Gutverdienende wäre es weniger interessant, ihr Geld bis zur Pensionierung in der zweiten Säule zu «parkieren». Die Kapitalbezüge würden zurückgehen, aber die öffentliche Hand würde mehr Einkommenssteuern einnehmen.

Wäre es nicht sinnvoll, die Beiträge in die zweite Säule zu limitieren, sodass Einkommensmillionäre nicht mehr Jahr für Jahr mehrere Hunderttausend Franken fast steuerfrei ins Trockene bringen können?

Das schiene mir tatsächlich eine Überlegung wert. Im Moment gilt ja die Faustregel, dass die erste und die zweite Säule zusammen etwa 60 Prozent des Einkommens vor der Pensionierung abdecken sollten. Ist es wirklich sinnvoll, diese Regel auf einen Lohn von 700’000 Franken gleich anzuwenden wie auf einen Lohn von 70’000 Franken?