Nachruf auf Woodstock-Organisator Michael LangSternenstaub-Fänger
Der Musikproduzent Michael Lang betrieb einen Kifferladen und hatte wenig Erfolg. Dann organisierte er Woodstock. Nachruf auf einen, der die Tür zum Paradies aufgestossen hat.
Der Regen, die Nackten, das LSD und Joni Mitchell haben Woodstock zur Legende gemacht, zum immergrünen Festival der Jugend, zur kulturrevolutionären Apotheose der Sixties. Mit «drei Tagen Frieden & Musik» sollte das Wassermannzeitalter anheben, die ganze Welt mit einem Zauberhauch überziehen, und der Wolf, statt dem Mitmenschen ein noch schlimmerer Wolf zu sein, sollte im Paradiesgarten neben dem Lamm liegen. «We are stardust, we are golden/We are ten billion year old carbon/And we got to get ourselves back to the garden», sang Joni Mitchell, und die vier Evangelisten Crosby, Stills, Nash & Young legten Gitarren drüber und sangen es für alle nach, die wie Joni Mitchell nicht dabei sein konnten.
Woodstock wurde zum Mythos, weil es ein sagenhaftes Fiasko war, eine einmalige Mischung aus Dilettantismus und Geschäftssinn, aus Jugendirresein und Grössenwahn. Michael Lang, der wenig erfolgreiche Betreiber eines Kifferladens, hatte 1968 in Miami ein Musikfestival mit Frank Zappa und John Lee Hooker organisiert, das im Regen untergegangen war. Woodstock wurde dafür professionell aufgezogen, ein rein kommerzielles Unternehmen, und scheiterte auf denkbar glanzvolle Weise. Zusammen mit seinem Freund Artie Kornfeld hatte Lang ein Aufnahmestudio hoch oben im Staat New York geplant, das mit einem Grossaufgebot von erfolgreichen Musikern begründet werden sollte. Mit dem Namen der Künstlerkolonie Woodstock wurde die Wohlstandsjugend der amerikanischen Ostküste aufs Land gelockt, wohin sich legendärerweise bereits Bob Dylan geflüchtet hatte.
Lang kannte aus Miami Jimi Hendrix, er kannte den Konzertpromoter Bill Graham, und er war erst 24, ein langhaariger Hippie, der von den Musikern ernst genommen wurde, weil er nicht alt, sondern einer von ihnen war. In New York sammelte er Risikokapital von jungen Unternehmern, die nicht wussten, wohin mit ihrem Geld, und musste dann feststellen, dass die Landbevölkerung Hippies hasste. Selbst der Farmer Max Yasgur, der seine Wiesen gegen den erbitterten Widerstand seiner Mitbürger an die Hippie-Unternehmer aus der Stadt verpachtete, war eingetragener Republikaner und unterstützte selbstverständlich den Krieg in Vietnam, der in diesem hochheiligen Jahr 1969 Monat für Monat Tausende junger Amerikaner das Leben kostete.
Lang wurde aus dem Joint Venture gedrängt und mit 31'750 Dollar abgefunden
In Woodstock trafen sich aber nicht nur junge weisse Männer, die den Einberufungsbefehl fürchten mussten, sondern Hunderttausende, die keine Eintrittskarte hatten. Sie blockierten die Strassen, sie überstiegen die Zäune, sie besetzten den Platz, bis den Veranstaltern gar nichts anderes übrig blieb, als das Konzert nachträglich zum Gratis-Event zu erklären. Die Freiheit hatte scheinbar über den Kommerz gesiegt.
Michael Lang wurde bald aus dem Joint Venture gedrängt und wie sein Partner Kornfeld mit exakt 31'750 Dollar abgefunden. Selbst ihre Geldgeber brauchten mehr als zehn Jahre, um die Schulden aus dem Festival abzutragen, während Warner als Verleiher mit dem Film Millionen verdiente. Es war nicht zuletzt der Schnittarbeit von Martin Scorsese zu verdanken, der zur Rettung des Filmmaterials geholt wurde, dass sich der Mythos vom Festival der freien Liebe und einer endlich jung gewordenen Welt verbreiten konnte.
Lang versuchte sich an weiteren musikalischen Unternehmungen, betreute Bands und einzelne Musiker wie Joe Cocker, der durch Woodstock zum Star geworden war. Der gescheiterte Musikunternehmer hatte ein weiteres Mal Glück, weil er beim Festival in Altamont, bei dem die Rolling Stones vier Monate später Woodstock überwoodstocken wollten und dann den Schauplatz für einen Mord vor offener Bühne lieferten, nur ganz am Rand beteiligt war.
Lang stieg ins Geschäft mit dem Merchandising ein und veranstaltete, kommerziell diesmal recht erfolgreich, etliche Reprisen, wiederholte das originale Woodstock 1994 zum Vierteljahrhundertjubiläum, zu dem diesmal auch Bob Dylan erschien, und wiederholte die Wiederholung 1999. Der letzte Versuch im Sommer 2019 scheiterte diesmal endgültig an der Logistik; es war weit und breit kein Max Yasgur aufzutreiben.
Für die Alten war Woodstock zum Fürchten, darum wählten sie elf Jahre später Ronald Reagan zum Präsidenten. Da hatten aber längst Hippies wie Bill Gates und Steve Jobs angefangen, an ihren rätselhaften Erfindungen zu basteln. Jobs war eine Zeitlang mit Joan Baez zusammen, die den damaligen kalifornischen Gouverneur Reagan in Woodstock vergeblich zum Tor hinausgesungen hatte.
Im August 1969 entstand die «Woodstock Nation» oder jedenfalls die Illusion, dass es eine andere Welt geben könnte. Das schlechte Wetter, die drei Tage im Schlamm, der schlimme Kommerz, all das spielte doch keine Rolle. Es blieb die Botschaft vom Sternenstaub und vom Paradies, die Joni Mitchell den Daheimgebliebenen lieferte. «Doch das Paradies ist verriegelt», hat ein ebenfalls des Hippietums unverdächtiger Dichter geschrieben, «wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.» Michael Lang, der am Samstag 77-jährig in New York gestorben ist, hat für einen drei Tage langen Augenblick den Sternenstaub auf die so unvollkommene Erde gebracht.
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