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Kritik am deutschen Bundespräsidenten
Steinmeiers russisches «Spinnennetz»

Zu viel Nähe? Sergei Lawrow und Frank-Walter Steinmeier, damals Aussenminister, an der Sicherheitskonferenz 2016 in München.
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Überall taucht jetzt dieses Bild auf. Es zeigt Frank-Walter Steinmeier und Sergei Lawrow, die sich fast zärtlich am Arm halten. Aufgenommen wurde es im Februar 2016 an der Sicherheitskonferenz in München. Russland hatte nicht lange zuvor erstmals die Ukraine angegriffen, die beiden hatten als Aussenminister Deutschlands und Russlands in der Folge einen Waffenstillstand mitverhandelt.

Heute, da der russische Präsident Wladimir Putin versucht, die Ukraine auszulöschen, wirkt das Bild von damals wie ein Mahnmal für alles, was im deutschen Verhältnis zu Russland in den vergangenen zwei Jahrzehnten schiefgelaufen ist: Nähe, Verständnis und Nachgiebigkeit, wo Wehrhaftigkeit und Konfrontation nötig gewesen wären. Und tranken Steinmeier und Lawrow nach Verhandlungen nicht gerne noch einen Scotch zusammen, ganz vertraut?

Schnappschüsse trügen oft, sie eignen sich zur Verleumdung wie zur Verklärung. Steinmeier war Russland nicht hörig, er war auch kein blinder Naivling, der alle Warnzeichen übersehen hätte. Er war vielmehr ein deutscher Spitzenpolitiker seiner Zeit. Als rechte Hand des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder (1998 bis 2005), danach als zweimaliger Aussenminister der Christdemokratin Angela Merkel (2005 bis 2009, 2013 bis 2017) folgte er bis zuletzt zwei Dogmen: Russland ist ein unverzichtbarer Partner, gerade für Deutschland. Und Sicherheit in Europa gibt es nicht ohne Russland – und schon gar nicht gegen es.

Das Verhältnis zu Russland habe für Steinmeier immer etwas Heiliges gehabt, monierte Andri Melnik gerade, der bissige ukrainische Botschafter in Berlin. Zur Ukraine hingegen habe er keinen Bezug. Lasse der deutsche Bundespräsident trotz des russischen Überfalls an seinem Amtssitz russische Musiker aufspielen, zeige er Putin gewissermassen, dass er in Berlin «die Stellung» halte.

Eigene Fehler eingestanden

Steinmeier hat den russischen Angriff auf die Ukraine freilich in scharfen Worten verurteilt. Erschüttert sagte er heute, Putin sei in einem «totalitären Wahn» gefangen, aus dem Russland nur ohne ihn wieder herausfinde. Anders als Kanzler Olaf Scholz nannte er die Massaker von Butscha ohne Zögern «Kriegsverbrechen».

Zu einem Eingeständnis eigener Fehler rang er sich aber erst diese Woche durch. An der russisch-deutschen Gasleitung Nord Stream 2 festzuhalten, sei ein Fehler gewesen, so Steinmeier. Er sei gescheitert, Russland in eine «gemeinsame Sicherheitsarchitektur» einzubinden. Und er habe sich geirrt mit der Einschätzung, dass Putin sein Land nicht in den Ruin treiben wolle.

Vertraute sagen, die Annexion der Krim 2014 sei auch für Steinmeier ein Wendepunkt gewesen. Danach habe er Putin gegenüber einen Kurs von «Dialog und Härte» verfolgt. Von Härte hat ausser ihm allerdings kaum jemand etwas mitbekommen. Nie, auch nicht später als Bundespräsident, hat Steinmeier in scharfen Worten vor Russland gewarnt, nie für mehr Wehrhaftigkeit der Nato geworben. Weder die Gräuel der russischen Truppen in Syrien noch der Giftanschlag auf Alexei Nawalny waren für ihn ein Grund, Putin den Rücken zu kehren.

Gegen «Kriegsgeheul» der Nato geschimpft

Im Gegenteil. Als 2016 Nato-Truppen im Baltikum übten, schimpfte er gegen «lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul», das die Lage nur weiter anheize. Er meinte damit die Nato – nicht Russland, vor dem die Balten, Ukrainerinnen oder Polen sich schon damals fürchteten. Nord Stream 2, nach der Annexion der Krim 2015 beschlossen und von seinen sozialdemokratischen Freunden «Gerdprom» Schröder und Sigmar Gabriel vorangetrieben, nannte Steinmeier noch vor einem Jahr die «fast letzte Brücke» zu Russland, die dem Westen geblieben sei.

Gerade Deutschland, das ab 1941 einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geführt habe, müsse eben stets das gesamte Bild im Auge behalten, so Steinmeier. Melnik, Kiews Botschafter in Berlin, sprach danach von einem «Doppelschlag ins Gesicht» seines Landes. Nicht nur negiere Steinmeier den antiukrainischen Charakter des Nord-Stream-Projekts, er missachte auch Millionen von ukrainischen und weissrussischen Opfern der Deutschen im Zweiten Weltkrieg.

In der Ukraine seit 2014 verhasst

Am Wochenende warf Melnik Steinmeier zudem vor, er habe ein «Spinnennetz von Kontakten» zu Russland geknüpft, das auch die aktuelle Regierung präge. Er meinte damit nicht nur einflussreiche «Putin-Versteher» und Wirtschaftslobbyisten in den Reihen der SPD, sondern etwa auch Jens Plötner und Andreas Michaelis, die aussenpolitischen Berater von Kanzler Scholz und Aussenministerin Annalena Baerbock.

Das Misstrauen der Ukrainer gegen Steinmeier wiederum reicht weit zurück. Als 2014 Hunderttausende auf dem Kiewer Maidan gegen Wiktor Janukowitsch demonstrierten, schlug Steinmeier einen Kompromiss vor, der die Putin-Marionette noch für ein Jahr an der Macht gelassen hätte. Seither war der Deutsche vielen im Land verhasst. Auch bei der Verhandlung des Minsker Waffenstillstandes im Jahr darauf arbeitete Steinmeier aus ukrainischer Sicht nur darauf hin, Kiew zu Zugeständnissen zu nötigen, die weder mehrheitsfähig noch umsetzbar waren.

Die Aufarbeitung der gescheiterten deutschen Russlandpolitik beginnt erst. Nachdem Steinmeier begonnen hat, sich zu erklären, und Putin-Freund Schröder weiter schweigt, werden sich die Blicke als Nächstes auf Merkel richten. Auch sie wird in den nächsten Wochen viele Fragen zu beantworten haben.