Deutscher Bundespräsident vor WiederwahlDer Sonntagsredner von Schloss Bellevue
Frank-Walter Steinmeier wird für weitere fünf Jahre als Staatsoberhaupt bestätigt. Dabei hätte es auch ganz anders kommen können.
Die Wahl des Bundespräsidenten gilt in Deutschland als ein Hochamt der Demokratie, in Wahrheit ist die Sache meist schon lange vorher verabredet und entschieden. Das wird auch diesen Sonntag so sein, wenn sich die Rekordzahl von 1472 Abgeordneten in Berlin zur Wiederwahl des Sozialdemokraten Frank-Walter Steinmeier einfindet.
736 Wahlleute stellt der Bundestag, noch einmal so viele stammen aus den Parlamenten der Bundesländer. Traditionell nominieren die Parteien auch Prominente als Wahlleute. Der Virologe Christian Drosten etwa wird für die Grünen wählen, der Fussballer Leon Goretzka für die SPD, der Kabarettist Dieter Nuhr für die FDP und Alt-Kanzlerin Angela Merkel für die CDU.
Noch vor einem Dreivierteljahr hätten nicht viele gewettet, dass der nächste Bundespräsident auch der alte sein würde.
Die vier grössten Parteien – die regierende Ampel aus SPD, Grünen und FDP sowie die oppositionelle CDU/CSU – haben vereinbart, Steinmeier wiederzuwählen. Zusammen verfügen sie über 83 Prozent der Stimmen. Auch eine Art Konkurrenz gibt es: Die Linke hat den Sozialmediziner Gerhard Trabert aufgestellt, die AfD den ultrarechten CDU-Politiker Max Otte, dem deswegen der Ausschluss aus seiner Partei droht.
Der 66-jährige Steinmeier wird also wie vor fünf Jahren, als er noch Kandidat einer Grossen Koalition war, mit grosser Mehrheit gewählt werden. Bleibt er bis 2027, wird er der Erste seit Richard von Weizsäcker sein (1984 bis 1994), der zehn Jahre als Staatsoberhaupt gedient hat.
Noch vor einem Dreivierteljahr hätten nicht viele gewettet, dass der nächste Bundespräsident auch der alte sein würde. Im Bundestagswahlkampf lagen die Christdemokraten und die Grünen weit voraus, und alle erwarteten, dass sie bei gewonnener Wahl Steinmeier mit einer Frau der Grünen ersetzen würden – es wäre die erste Bundespräsidentin überhaupt geworden.
Die SPD dümpelte in den Umfragen bei 15 Prozent, als Steinmeier im Mai 2021 etwas Unerwartetes tat: Er bewarb sich öffentlich um seine Wiederwahl und nahm eine mögliche Niederlage bewusst in Kauf. Als seine Partei vier Monate später wider alle Erwartung die Bundestagswahl gewann, war auch seine Wiederwahl so gut wie besiegelt. Sein alter Weggefährte Olaf Scholz erklärte sie in den Koalitionsverhandlungen jedenfalls als «unverhandelbar». Die FDP war einverstanden, auch die Grünen beugten sich am Ende, wenn auch grummelnd.
Steinmeier hatte also ein wenig Glück – wie 2017, als er nur Bundespräsident wurde, weil die Grüne Marianne Birthler Merkel einen Korb gab. Dass der frühere Aussenminister mit Macht virtuos umzugehen weiss, war aber hinlänglich bekannt. Entscheidend war dies auch für die wichtigste Tat seiner ersten Amtszeit. Ende 2017 drängte er nach dem Abbruch der Koalitionsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen seine SPD zu einer erneuten Grossen Koalition. Er vermied damit Neuwahlen – und rollte Scholz insgeheim auch den roten Teppich zur Vizekanzlerschaft aus.
Steinmeier hat in den vergangenen fünf Jahren trotz Pandemie mehr als 100 Reisen unternommen und 660 Reden gehalten, auch ein bewegender Gedenkakt für die Corona-Toten geht auf seine Initiative zurück. Laut Umfragen ist er bei den Deutschen beliebt, Medien stellen ihm ein ordentliches Zeugnis aus. Er habe wenig falsch und vieles richtig gemacht, lautet der Tenor. Freilich habe er auch so gut wie nie überrascht oder gar aufgerüttelt.
Die grösste Macht, über die ein deutsches Staatsoberhaupt verfügt, ist bekanntlich die Macht der Rede. Doch die lahmte bei Steinmeier bisher ziemlich. An kaum einen Satz, an kaum eine Rede mögen sich die Deutschen erinnern. Zu oft sagte er Dinge, die viele schon gesagt hatten, und unbequem war er eigentlich nie.
Man braucht Steinmeier deswegen nicht gleich als «Schlossgespenst» («Spiegel») oder als «Präsident der Phrasen» (NZZ) zu verspotten, sein Engagement für Demokratie, Liberalität und Gemeinsinn war echt und wichtig. Er lud an seine «Kaffeetafeln» auch Corona-Leugner und Impfgegnerinnen – und dennoch blieb sein öffentliches Gespräch im Grunde eines der politischen Mitte mit sich selbst.
Ein Mutmacher wolle er sein, hatte Steinmeier bei seiner Wahl vor fünf Jahren versprochen. Das war er, weil er Besonnenheit und Zuversicht ausstrahlte. Doch fehlte es ihm oft an Mut. Viele Medien wünschen sich für seine zweite Amtszeit jedenfalls mehr davon. Was das heissen könnte, macht ihm seine Frau gerade vor. Elke Büdenbender hatte vor fünf Jahren ihr Amt als Richterin noch zugunsten der Aufgabe als «First Lady» aufgegeben. Nun kehrt sie ans Gericht zurück – an Steinmeiers Seite wirkt sie künftig nur noch in Teilzeit.
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