Ständerat bewilligt HandelsvertragDer Freihandelsdeal Schweiz - Indien kann ein Lottosechser werden. Oder ein Debakel
Das Abkommen mit Delhi bietet der Schweiz enorme Chancen. Um sie nutzen zu können, muss die Wirtschaft die Kritik ernst nehmen.
Es hat nicht erst mit Donald Trump und seiner Vorliebe für Zölle begonnen. Das System der Welthandelsorganisation (WTO) schwächelt schon lange, rund um den Globus entstehen neue Handelsbarrieren. Für die Exportnation Schweiz, die fast jeden zweiten Franken im Ausland verdient, heisst das: Sie muss bilaterale Vereinbarungen anstreben, um ungehindert Handel zu treiben. Mit ihren wichtigsten Partnern – oder mit Ländern, die es in absehbarer Zukunft werden könnten.
Da wirkt das Freihandelsabkommen mit Indien, das der Ständerat am Dienstag genehmigte, fast wie ein Sechser im Lotto. Das bevölkerungsreichste Land der Welt erhebt zurzeit hohe Zölle. Fallen diese weg, erhält die Schweizer Maschinen-, Uhren- oder Pharmaindustrie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz aus der EU.
Noch geht zwar weniger als ein Prozent der Schweizer Exporte nach Indien. Doch das Potenzial ist enorm: Indien gilt zurzeit als Boommarkt mit deutlich höheren Wachstumsprognosen als China. Ausserdem ist Indien im Gegensatz zu China ein demokratisches Land.
Kritik wegen Nachhaltigkeit, Patentrecht und Kriegsmaterial
Dennoch gibt es warnende Stimmen, etwa wegen mangelnder Auflagen zur Nachhaltigkeit. Das Abkommen enthält zwar ein entsprechendes Kapitel. Nichtregierungsorganisationen kritisieren dieses aber als zahnlos, weil es bei Verstössen weder transparente Ermittlungen noch Sanktionen vorsieht.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das Patentrecht. Grundsätzlich wird der internationale Standard beim Patentschutz für die Pharmaindustrie nicht aufgeweicht. Die Verhandlungen über die strittigen Punkte seiner Auslegung wurden ausgeklammert und vertagt. Die Pharmaindustrie freut das. Nichtregierungsorganisationen hatten sich mehr erhofft. Denn Indien ist einer der grössten Hersteller von günstigen Nachahmermedikamenten und gilt als «Apotheke der Armen».
Zu reden gibt ferner der Handel mit Kriegsmaterial. Die Schweiz kann die Einhaltung der Regeln zur Nichtwiederausfuhr nur ungenügend kontrollieren. Zudem liefert Indien bekanntermassen kritische Techkomponenten nach Russland, womit es als Plattform zur Umgehung der Sanktionen dient.
Woher sollen die Milliarden für indische Jobs kommen?
Nicht unbestritten ist schliesslich jener Teil des Abkommens, der als besonders innovativ und kreativ gelobt wird: Die Schweiz und die übrigen Efta-Mitglieder Norwegen, Island und Liechtenstein haben sich verpflichtet, in den nächsten 15 Jahren 100 Milliarden Dollar in Indien zu investieren, um eine Million Arbeitsplätze zu schaffen. Doch woher das Geld kommen und wohin es unter welchen Bedingungen fliessen soll, ist unklar.
All das kam im Ständerat nur am Rande zur Sprache. Die Ruhe könnte aber trügerisch sein: Beim Freihandelsabkommen mit Indonesien, das am Ende vor dem Volk fast gescheitert wäre, hatte sich der Widerstand erst formiert, als im Parlament gegen Ende der Beratungen klar wurde, dass nicht nachhaltig produziertes Palmöl von Zollerleichterungen profitiert.
Die Wirtschaft tut gut daran, aus diesem Beinahedebakel die Lehren zu ziehen. Will sie von den unbestrittenen Vorteilen profitieren, muss sie darlegen, wie sie die Milliarden in Indien umweltverträglich und unter Einhaltung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte zu investieren gedenkt. Damit sich der vermeintliche Lottosechser nicht als Fehltipp erweist.
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