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TV-Kritik zu SRF-Reportage
Ist eine kinderlose Frau unvollständig?

Wird nie eigene Kinder haben: Die 31-jährige Hebamme Michelle Bichsel hat sich unterbinden lassen – obwohl sie ein grosses Herz für Babys und Kinder hat.
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Dieser Artikel erschien erstmals im März 2024. Anlässlich des Muttertags publizieren wir diesen und weitere Artikel für Sie erneut.

Dass der SRF-DOK «Kinderfrei – Frauen ohne Kinderwunsch» ausgerechnet am 7. März, am Abend vor dem Tag der Frau, ausgestrahlt worden ist, mutet fast schon symbolisch an. Denn für viele gelten Frauen erst dann als vollkommen, wenn sie Kinder zur Welt gebracht haben. Vorher nicht.

Das bekommen auch die drei Frauen zu spüren, die in der 50-minütigen Reportage begleitet werden: eine leidenschaftliche Buchgestalterin und Feministin der Boomergeneration, die findet, Kinder seien «eine eigenartige Mischung aus anstrengend und langweilig».

Eine lebensfrohe 80-Jährige, die so oft auf Reisen war, dass ein ganzes A4-Papier nötig ist für die Liste mit den Jahreszahlen und Destinationen. «Mit Kindern wäre das unmöglich gewesen», ist sie überzeugt.

Hat mit ihrer Freundin Reisen in alle Welt gemacht: Mary Wagner (rechts).

Und schliesslich eine Hebamme Anfang 30, für die es «eine Katastrophe» wäre, schwanger zu werden – was kaum zu glauben ist angesichts der Hingabe, mit der sie sich um frisch geborene Babys und deren Mütter kümmert. «Als Frau ist man doch viel mehr als die Entscheidung, Mutter werden zu wollen oder nicht.»

Frauen ohne Kinderwunsch irritieren

Das Spannende an der Reportage: Es liegen zwar Generationen zwischen den porträtierten Frauen; die Haltung gegenüber Frauen ohne Kinderwunsch hat sich in all der Zeit aber offenbar nicht grundlegend gewandelt: Mutter zu werden, ist nach wie vor normal; Kinderlose sind zwar akzeptiert, aber nach wie vor irritierend. Solange sie im gebärfähigen Alter sind, spüren viele den Druck, etwas daran zu ändern.

Ein Bild, das sich aus den Aussagen und Erzählungen der drei Porträtierten und von deren Umfeld ergibt. Sie müsse sich ständig erklären, warum sie noch keine Kinder habe, sagt eine Freundin der Hebamme. Und wehe, man entscheidet sich bewusst dagegen. «Das gilt als egoistisch», findet die Buchgestalterin, in deren Herz noch der Punk von früher schlägt. «Der Wunsch, Kinder zu bekommen, ist doch aber genauso egoistisch.»

31-jährige Hebamme lässt sich sterilisieren

Wenn jemand Junges definitiv keine Kinder wolle, komme die Gesellschaft nicht damit nicht klar. Das weiss die 31-jährige Hebamme aus Erfahrung: Ihr Wunsch, kinderfrei zu bleiben, ist so stark, dass sie sich im Lauf der Reportage unterbinden lässt.

Liebt Kinder, möchte selber aber keine: Hebamme Michelle Bichsel.

Nur dank ihren Kontakten als Hebamme sei der Eingriff möglich gewesen. Auf einer Website über Sterilisationen fand sie den Hinweis, kein verantwortungsvoller Mediziner werde so etwas tun bei einer Frau unter 35. Ihre Frauenärztin hätte auch nie im Leben eingewilligt. «Als Frau, die sich sterilisieren lassen möchte, fühle ich mich da entmündigt.»

Fast wöchentlich werde sie seit dem Eingriff gefragt, ob sie den Schritt nicht bereue; eine Mutter frage man doch auch nie, ob sie ihre Kinder bereue. «Ich glaube, dass sich Leute, die Kinder bekommen, oft weniger Gedanken machen als Leute, die keine haben.» Und die Buchgestalterin ergänzt, dass Frauen auch deswegen Kinder bekämen, weil sie damit eine unhinterfragte Aufgabe hätten.

Was, wenn sich die Männer um die Kinder kümmerten?

Neu ist das Thema des «Kinderfrei»-DOK nicht, und vom angekündigten «kühlen Wind von Unverständnis» sind die drei Frauen scheinbar auch nicht allzu betroffen. Der Film zeigt, wie sie alle ein entspanntes und erfülltes Leben mit vielen Freiheiten führen.

Innere Konflikte, andere, potenziell hadernde oder kritische Stimmen werden mehr oder weniger aussen vor gelassen. Hier hätte man gerne mehr erfahren und etwa länger den Freundinnen der Feministin zugehört, die über spannende Aspekte diskutierten. Wäre es etwa anders, wenn Männer die Kinderbetreuung selbstverständlich zur Hälfte oder vielleicht ganz übernähmen?

Hat keine Kinder, pflegt dafür ihre Freundschaften umso stärker: Buchgestalterin Sibylle Ryser.

Und da ist noch die grosse Frage, was fehlt, wenn man keine Kinder hat. Was mit dem Alleinsein im Alter ist, was, wenn da niemand ist, der sich um einen kümmert. Die Mittfünfzigerin sieht das alles entspannt, sie pflege dafür ihre Freundschaften ganz anders. «Ich finde es fragwürdig, wenn nicht sogar übergriffig, dass man sich so auf Kinder verlässt.»

Was ist eine vollständige Frau?

Die fidele 80-Jährige setzt ebenfalls auf Freundschaften und lässt keinen Zweifel daran, dass sie mit ihrem Entscheid im Reinen und alles andere als einsam ist. Sie geht so fröhlich durchs Leben, dass sie immer mal wieder vom Sprechen ins Singen wechselt und munter über Sex und Liebschaften spricht.

Ob die drei aussergewöhnlichen Frauen repräsentativ für Frauen ohne Kinderwunsch sind? Vermutlich nicht ganz. Das spielt in den Augen der Hebamme aber keine Rolle. «Wenn eine Frau findet, sie finde ihre Erfüllung anderswo, dann sollte man sie stehen lassen als vollständige Frau.»