Böse, böse Kinderlose
Paare ohne Kinder würden stigmatisiert, so eine US-Studie.
Jeder, der über 30, schon ein paar Jahre mit jemandem zusammen und immer noch (!) kinderlos ist, kennt diese eine Frage, die besonders gerne an Familienfesten gestellt wird, zum Beispiel von Onkel Otto oder Tante Trudy: «Was ist mit euch? Gibts keine Kinder?» Und wenn man dann «Öh, nein» antwortet, heben sich die Augenbrauen, und beim nächsten Familienfest geht das Ganze wieder von vorne los.
Man kann es Onkel Otto und Tante Trudy ja nicht verübeln. Als sie beide noch jung waren, gehörten Kinder zu liierten Paaren schliesslich automatisch dazu. Heute ist das zwar anders, die Zahl derjenigen, die bewusst oder unbewusst kinderlos bleiben, steigt; aktuell liegt die Zahl in der Schweiz bei etwa einem Drittel. Am Unverständnis hat sich jedoch nichts geändert. «Unsere Daten zeigen, dass es nicht nur als atypisch oder überraschend angesehen wird, kinderlos zu sein, sondern als moralisch falsch.» So steht es in einer Studie der Psychologin Leslie Ashburn-Nardo von der Universität in Indianapolis, veröffentlicht Anfang März.
Auch junge Personen stigmatisieren Kinderlose
Sie hat dazu rund 200 Personen befragt, aber nicht etwa ältere Ottos oder Trudys, sondern Unistudenten um die 20, drei Viertel von ihnen waren Frauen. Sie wurden aber nicht direkt zu ihrer Haltung gegenüber Kinderlosen befragt, sondern nur subtil. Eigentlich dachten sie, es handle sich um eine Studie über Intuition. Sie sollten verschiedene Kurzbiografien von Paaren beurteilen, zum Beispiel eine wie diese hier:
«James lebt in Columbus, Ohio. Er hat 2002 ein Biologiestudium abgeschlossen. (...) 2003 heiratete er seine Unifreundin. Die beiden entschieden, keine Kinder zu haben. 2005 wurden sie zu ihrer Lebenssituation befragt.»
Mal wurde James durch Jennifer ersetzt, mal hatte sich das Paar entschieden, zwei Kinder zu bekommen statt keines. Abgesehen davon blieben die Kurzbiografien unverändert. Anschliessend sollten die Studenten verschiedene Fragen zur fiktiven Person beantworten. Zum Beispiel, ob sie wohl eine gute Mutter beziehungsweise er ein guter Vater, wie zufrieden sie in ihrer Ehe und ihrer Entscheidung sind, Kinder zu bekommen (beziehungsweise kinderlos zu bleiben), wie gross die Gefahr ist, dass sich die beiden scheiden lassen und so weiter. Ausserdem sollten sie auf einer Skala von 1 bis 5 sagen, wie sie zur Person stehen, zum Beispiel, ob sie die jeweilige Person missbilligen oder nicht.
Starke Gegenwehr für unkonventionelle Entscheide
Auffallend war, dass die Unistudenten davon ausgingen, die Kinderlosen führten ein deutlich weniger erfülltes Leben als diejenigen Paare mit Kindern. Nicht nur das, sie missbilligten die bewusst kinderlosen Personen viel stärker als diejenigen mit Kindern. «Die moralische Empörung war besonders überraschend», schreibt die Studienautorin. «Es ist immer noch schockierend für mich, dass Menschen derart negative Gefühle gegenüber anderen Personen entwickeln, die sie nie getroffen haben.»
Das passe jedoch zu Erkenntnissen aus anderen Studien, die zeigten, dass Menschen, die soziale Rollen oder stereotype Erwartungen nicht erfüllen, mit starker Gegenwehr rechnen müssen. Beim Thema Kinderkriegen ist das laut Ashburn-Nardo offenbar besonders ausgeprägt. So stark ist in den Köpfen vieler verankert, dass es die wichtigste Bestimmung eines Paares ist, Kinder zu bekommen. Ein verheiratetes Paar ohne Kinder gilt als höchste Provokation.
Ein Affront für alle ungewollt Kinderlosen
Auch die «Huffington Post» hat die Studie aufgegriffen und zitiert eine 30-jährige Frau, die sich für eine Sterilisation entschieden hatte. Sie sei deswegen von allen Seiten angegriffen worden. Denn im Gegensatz zu Onkel Otto und Tante Trudy, die sich einen wertenden Kommentar meist verkneifen, hielt sich die Internetgemeinde nicht zurück. Ihre Entscheidung sei ein Affront gegenüber allen Paaren, die keine Kinder bekommen könnten, und sie solle nie mehr Sex haben dürfen, wenn sie keine Kinder wolle.
«Ich bin extrem attackiert worden, gegen alles wurde geschossen, gegen meinen Charakter, mein Aussehen, meine Karriere und sogar gegen meinen Partner wurde geschossen. Man hat mir Dinge an den Kopf geworfen, die ich nicht wiederholen kann. Und das alles nur, weil ich keine Mutter werden will.» Auch eine zweite Frau, die bewusst kinderlos geblieben ist, wird in der Zeitung zitiert. Sie könne nicht verstehen, warum sich Kinderlose, vor allem Frauen, jeweils rechtfertigen müssten, warum sie keine Kinder hätten. Von Paaren, die unbedingt Kinder haben wollten, werde das schliesslich auch nicht verlangt. Immerhin: Die Studentinnen und Studenten aus Leslie Ashburn-Nardos Studie beurteilten die kinderlosen Frauen nicht negativer als die kinderlosen Männer.