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Sportliche Leistungen
Für eine Goldmedaille brauchts gute Gene

US' Simone Biles competes on the beam during the women's qualifying session at the 52nd FIG Artistic Gymnastics World Championships, in Antwerp, northern Belgium, on October 1, 2023. (Photo by Lionel BONAVENTURE / AFP)

Es sind Erfahrungen, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben: Während die eine Mitschülerin im Sportunterricht scheinbar mühelos den 5000-Meter-Lauf hinter sich bringt, kann man selbst nur hoffen, nicht schon nach einer Runde auf der Tartanbahn vor Erschöpfung aufgeben zu müssen. So ist es nun einmal, dachte man sich damals, manche Menschen sind einfach – auch ohne Training – sehr viel sportlicher. Aber wie sind diese Unterschiede zu erklären? Entscheidet womöglich die genetische Veranlagung über sportlichen Erfolg?

«Mit unserem Verhalten können wir vieles ausgleichen, aber leider nur bis zu einer natürlichen Grenze», sagt der Schweizer Zellbiologe Christoph Handschin, der am Biozentrum der Universität Basel forscht. Er schätzt, dass bis zu 50 Prozent der sportlichen Leistungsfähigkeit von den Erbanlagen abhängen könnten und die andere Hälfte Einflussgrössen wie Trainingsintensität, Motivation und Verletzungsanfälligkeit unterliegt. «Einzeln leisten Gene nur einen schwachen Beitrag, aber in ihrer Summe können sie ausschlaggebend sein.»

Bis heute haben Forschende mehr als 200 Genvarianten gefunden, die mit sportlicher Leistungsfähigkeit in Verbindung gebracht werden, doch erst von zwei Genen ist bekannt, wie genau sie sich auswirken: ACTN3 und ACE werden diese genannt.

«Beim Marathon ist zu einem Grossteil die Biomechanik entscheidend»

Das ACE-Gen enthält den Bauplan für ein Enzym, das den Blutdruck reguliert. Davon gibt es zwei Varianten: die D-Variante, die zu einem schnelleren Muskelwachstum führen, und die I-Variante, die zu einer erhöhten Ausdauer beitragen kann. Indem jeder Mensch von den meisten Genen zwei Versionen als sogenannte Allele in sich trägt, können Athleten entweder ein Paar D-Allele (DD), ein Paar I-Allele (II) oder eines von beiden (ID) besitzen. Das ACE-Gen könnte somit erklären, warum manche Menschen anders auf Krafttraining anspringen als andere: «Es gibt Leute, die müssen eine Hantel nur anschauen, und schon wachsen ihnen Muskeln», sagt Handschin, der einen Review zu molekularen Mechanismen im Sport veröffentlicht hat.

Auf die Frage wiederum, ob Läufer eher für Kurz- oder Langstrecken Talent haben, nimmt unter anderem das Gen namens ACTN3 Einfluss. Dieses gibt es ebenfalls in zwei Varianten, die als X und als R bezeichnet werden. Wer die Variante R in seinem Erbgut trägt, kann das Protein Alpha-Actinin 3 herstellen, das für die schnelle Muskelkontraktion verantwortlich ist. In einer Studie haben australische Forscher bei 95 Prozent der untersuchten Sprinter mindestens eine Kopie dieser R-Variante festgestellt. Menschen mit der X-Variante können hingegen kein Alpha-Actinin 3 produzieren und verfügen über einen hohen Anteil an langsamen Muskelfasern. Dementsprechend wird die X-Variante von ACTN3 vor allem mit Ausdauerleistungen in Verbindung gebracht.

Bei all diesen Varianten handele es sich aber nicht um sogenannte Sport-Gene, betont Henning Wackerhage, Sportbiologe von der TU München, der mehrere Lehrbücher auf diesem Gebiet veröffentlicht hat. «Es gibt Menschen, die denken, dass sie einen Formel-1-Wagen haben, wenn sie sich breite Reifen auf ihren Golf schrauben.» Um als Leistungssportler die Olympischen Spiele zu gewinnen, brauche man aber wahrscheinlich Hunderte bis Tausende Genvarianten, die für die jeweilige Sportart von Vorteil seien.

Rätselhafte Dominanz ostafrikanischer Läufer im Marathon

Auch die Dominanz ostafrikanischer Läufer im Marathon stellt Forscher bis heute vor Rätsel. Fast 90 Prozent der weltweiten Spitzenläufer sind äthiopischer oder kenianischer Abstammung. Womöglich helfen ihnen Erbanlagen, die dafür sorgen, dass sich Milchsäure bei Anstrengung in ihren Muskeln langsamer ansammelt als bei anderen Menschen. Verantwortlich ist die höhere Konzentration eines Enzyms, das den Abbau von Lactat beschleunigen kann. Mit der gleichen Sauerstoffmenge können manche Athleten deshalb offenbar rund 10 Prozent mehr Distanz zurücklegen als andere.

Um an die Spitze zu kommen, braucht es aber auch den passenden Körperbau. «Beim Marathon ist zu einem Grossteil die Biomechanik entscheidend», sagt der Schweizer Zellbiologe Handschin. Bereits vor dreissig Jahren hat eine Forschungsgruppe um den schwedischen Physiologen Bengt Saltin die Volksgruppe der Kalenjin, die vor allem im Westen Kenias und im Rift Valley lebt, mit gleichaltrigen Jungen aus Dänemark verglichen. Die Studie zeigte, dass die Probanden aus der Gruppe der Kalenjin im Durchschnitt sechs Zentimeter kleiner waren, aber fast zwei Zentimeter längere Beine und auch 400 Gramm weniger Muskelmasse im Unterschenkel hatten. Das kann enorme Vorteile bringen: Die Forscher haben ausgerechnet, dass der Sauerstoffverbrauch für 50 zusätzliche Gramm an den Waden um ein Prozent steigt. Insgesamt verbrauchten manche Läufer der Kalenjin also 8 Prozent weniger Energie – und das auf jedem Kilometer.

Für Spitzenleistung mehr als die richtigen Genvarianten nötig

Entscheidet also allein die Genetik über Sieg oder Niederlage? Schliesslich hat schon der schwedische Sportwissenschaftler Per-Olof Åstrand, der als einer der Gründerväter der modernen Sportphysiologie gilt, einst gesagt: «Wer olympische Goldmedaillen gewinnen will, muss seine Eltern sehr sorgfältig auswählen.»

Um sportliche Spitzenleistungen zu erbringen, braucht es aber mehr als nur die richtigen Genvarianten, betont Handschin. Im Leistungssport scheint die Genetik zwar essenziell zu sein, am Ende kann sie den entscheidenden Unterschied zwischen einem mittelmässigen und einem Weltklasseathleten machen. «Das Gute ist aber, dass die sportliche Leistungsfähigkeit nur zu 50 Prozent genetisch festgelegt ist», sagt Henning Wackerhage – und sich die übrigen 50 Prozent beeinflussen lassen. Wer lediglich fit werden will oder etwas für seine Gesundheit tun möchte, kann dies auch ohne vermeintlich perfekte Gene schaffen. Idealerweise, da sind sich die Experten einig, betreibt man die Sportart, die einem Freude bereitet.