Spontanheilungen bei KrebsNach der Covid-Erkrankung verschwand der Tumor
Es gibt Betroffene, deren Tumore sich von allein und zur Überraschung der Mediziner zurückbilden. Diese Fälle sind extrem selten – aber interessant für die Forschung.
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 7. Oktober 2023.
Nierenkrebs mit mehreren Metastasen in der Lunge, dazu noch Prostatakrebs – als Karel Preuss im August 2020 nach einem gerade überstandenen Herzinfarkt von seinen Krebserkrankungen erfuhr, stellte er sich auf einen ungünstigen Verlauf ein. Zu allem Übel steckte er sich im Herbst 2020 im Spital noch mit dem Coronavirus an. «Glücklicherweise ohne schwere Symptome», wie er per E-Mail schreibt.
Im Januar 2021 folgte die Krebsoperation an der rechten Niere. Danach wollte der 71-Jährige sich der von den Ärzten vorgeschlagenen Chemotherapie unterziehen. Doch dazu kam es nicht. Denn eine kurz vor Behandlungsbeginn durchgeführte Computertomografie (CT) zeigte, dass die Ableger in seiner Lunge deutlich geschrumpft waren. «Das war eine sehr schöne Überraschung. Ich konnte es lange nicht glauben», schreibt Preuss. Gespürt habe er nichts von dieser positiven Entwicklung in seinem Körper.
«Bei maximal einem von 100 Menschen mit Nierenkrebs kommt es nach der Operation des Nierentumors zur spontanen Rückbildung von Metastasen. Dieses Phänomen ist gut bekannt, aber selten», berichtet sein Arzt Tomáš Büchler, Onkologie-Professor am Universitätsspital in Prag. Er schilderte die Krankengeschichten von Karel Preuss und von einem weiteren Patienten im Fachblatt «Current Oncology». In beiden Fällen ging der spontanen Tumorrückbildung eine Sars-CoV-2-Infektion voraus, beiden Patienten gehe es derzeit gut. «Sie benötigen keine Behandlung und werden regelmässig gründlich untersucht», antwortet Büchler auf Anfrage.
Günstige Verläufe nach Sars-CoV-2-Infektion
Ein italienisches Ärzteteam hat weltweit 14 Fallberichte von ungewöhnlich günstigen Verläufen nach einer Sars-CoV-2-Infektion gefunden, darunter mehrere Patientinnen und Patienten mit Lymphdrüsenkrebs, mit Leukämien sowie mit Nieren- oder Darmkrebs. Auch nach mRNA-Impfungen kam es zweimal zur spontanen Rückbildung von Krebserkrankungen.
Jeder Arzt, der Menschen mit Krebs behandle, erlebe in seinem Berufsleben etliche Patienten, bei denen seine prognostische Einschätzung und die anderer Kollegen nicht zutreffe, sagt der Onkologe Herbert Kappauf. Seit 35 Jahren sammelt Kappauf Berichte über solche ungewöhnlichen Krankheitsverläufe und publiziert auch selbst zu dem Thema. Wohl kein anderer Krebsspezialist im deutschsprachigen Raum hat sich derart intensiv mit Spontanheilungen bei Krebs befasst wie er. Selbst bei palliativen Chemotherapien von als unheilbar geltenden Tumoren gibt es Kappauf zufolge manchmal «ungewöhnlich günstige Krankheitsverläufe».
«Bei maximal einem von 100 Menschen mit Nierenkrebs kommt es nach der Operation des Nierentumors zur spontanen Rückbildung von Metastasen.»
Wie diese zustande kommen, war lange ein Rätsel. Eine Forschergruppe in Kalifornien befragte vor Jahren Dutzende von Patienten, um ein Rezept zu finden, wie sich eine Spontanheilung bewerkstelligen liesse. Doch: Es gab keines.
Manche Patienten machten bestimmte Diäten, andere begannen zu beten, griffen in ihrer Verzweiflung zum Alkohol, rauchten wie ein Schlot – oder hörten nach der Krebsdiagnose damit auf –, meditierten, imaginierten, änderten ihre Einstellung zum Leben oder lebten einfach weiter wie zuvor. Die Forscher fanden kein universelles Rezept, das man Krebskranken hätte in die Hand geben können.
Karel Preuss hielt sich an den Rat der Ärzte, nahm die Hilfe seiner Familie dankbar an, arbeitete, unternahm Spaziergänge mit einem Schäferhund und vertraute auf seinen Onkologen. «All das half mir, mit der Erkrankung umzugehen.»
Frau B. dagegen, die Kappauf in seinem Buch «Wunder sind möglich» beschreibt, krempelte ihr ganzes Leben um. Sie war 44 Jahre alt, als sie beim Duschen einen Tumor in der rechten Brust entdeckte. «Eine brusterhaltende Operation ist wahrscheinlich nicht möglich», stand im Untersuchungsbericht. Doch Frau B. lehnte jede Behandlung ab.
Wende mit dem Einsetzen der Menopause
Sie kündigte ihren Job, veränderte ihr Leben radikal, ging täglich im Wald spazieren. Der Tumor wuchs weiter. «Die gesamte rechte Brust und die angrenzende Brustwand sind steinhart, höckerig, an mehreren Stellen auch aufgebrochen», schildert Kappauf den damaligen Befund.
Die Wende setzte etwa zum Zeitpunkt ein, als bei Frau B. die Menstruation unregelmässiger wurde, weil die inzwischen schwer kranke Patientin in die Menopause kam: «Das Spannungsgefühl in der Brust lässt langsam nach, und die Knotenplatte der Brust wird zunehmend weicher.» Bei einer Untersuchung zwei Jahre später ist die rechte Brust narbig geschrumpft, aber kein Tumorgewebe mehr tastbar. «Das hat mich sehr beeindruckt», sagt Herbert Kappauf.
Für Frau B. steht fest, dass ihre Lebensumstellung die Heilung bewirkt hat. Kappauf hingegen erklärt es biologisch: Das weibliche Geschlechtshormon Östrogen stimuliert sowohl das Wachstum von Brustzellen als auch das von Tumorzellen, die für Östrogen empfänglich sind. Vermutlich habe der mit der Menopause einhergehende «Östrogenentzug» die Rückbildung des Tumors bewirkt, weil dieser hormonempfindlich war. Diese Eigenschaft vieler Brusttumore wird seit langem medizinisch genutzt, indem die betroffenen Frauen vorzeitig, mithilfe von «Antihormon»-Medikamenten, in die Menopause versetzt werden.
«Die vollständige Rückbildung eines Brustkrebses ist extrem selten. In der Fachliteratur sind weltweit nur 29 Fälle beschrieben.»
«Die vollständige Rückbildung eines Brustkrebses ist extrem selten. In der Fachliteratur sind weltweit nur 29 Fälle beschrieben», sagt Kappauf, der selbst mehrere Spontanheilungen bei Patientinnen und Patienten erlebt und dokumentiert hat. «Die in Mitteleuropa häufigsten Krebsarten, Lungenkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs, Brustkrebs sowie Magenkrebs bilden sich sehr selten spontan zurück, wenn sie einmal ein mikroskopisches Stadium überschritten haben.» Voraus gehe oft eine Operation, bei der nur ein Teil des Tumors entfernt werden konnte.
Beim Lungenkrebs etwa seien weltweit bisher weniger als 50 Fälle von Spontanrückbildungen verlässlich belegt – eine verschwindend kleine Anzahl angesichts von rund 4800 Neuerkrankungen jährlich allein in der Schweiz und über 2,2 Millionen weltweit. «Aber selbst hier ist die Wahrscheinlichkeit einer Spontanheilung eher grösser als die eines Sechsers im Lotto», schätzt Kappauf.
Anders ist es bei verschiedenen Formen von Lymphdrüsenkrebs, beim schwarzen Hautkrebs und beim Nierenkrebs: Hier würden spontane Tumorrückbildungen manchmal sogar im Prozentbereich auftreten, wobei die meisten dieser Rückbildungen nicht vollständig und auch nicht von Dauer seien, also nicht zu einer definitiven Heilung führten.
Biologische Abläufe, die Krebszellen verschwinden lassen
Zunehmend verstehen Mediziner die biologischen Abläufe, die Krebszellen manchmal spontan verschwinden lassen: Sei es, dass wie bei Frau B. die notwendige hormonelle Stimulation von Tumorzellen ausbleibt, sei es, dass die Nährstoffzufuhr des Tumors blockiert wird, indem gewisse natürliche, sogenannte antiangiogenetische Eiweissstoffe die Blutgefässe im Tumor absterben lassen. Oder sei es, dass es zu Immunreaktionen kommt, die sich gegen die Tumorzellen richten. Diese Immunreaktionen können, wie vermutlich bei Karel Preuss, durch eine Infektion stimuliert werden oder gelegentlich auch durch eine Impfung.
«Man darf dieses Thema nicht Esoterikern überlassen. Dort wird es für die eigenen Zwecke instrumentalisiert.»
Das fiel bereits Ärzten im 19. Jahrhundert auf: Sie infizierten todkranke Patienten absichtlich mit Eitererregern oder Bakteriengiften, in der Hoffnung, eine Heilung zu bewirken. Nicht selten aber endeten diese Experimente tödlich.
Ende des 19. Jahrhunderts begann der US-Chirurg William Coley unheilbar kranke Krebspatienten mit Injektionen von Wundroseerregern zu behandeln. Bereits beim ersten Kranken sei der Therapieerfolg spektakulär gewesen, berichtet Kappauf. Coley gilt heute als «Vater der Krebsimmuntherapie».
Kappauf ist der Ansicht, dass die Spontanheilungen besser erforscht werden sollten. Doch die Ärzteschaft reagierte lange zurückhaltend. «Beim Krebs gibt es eine natürliche Heilung nicht», dozierte einer der wichtigsten deutschen Onkologen 1947. Seine Aussage wirkte lange nach. Als Kappauf in den 1980er-Jahren auf einem Medizinkongress den Fall einer spontanen Tumorrückbildung schilderte, hat ihn der Vorsitzende mit den Worten unterbrochen: «Das ist nicht wissenschaftlich!»
«Kommen Sie wieder mit etwas Gescheitem!»
Zehn Jahre später schlug Kappauf vor, die Spontanremissionen wissenschaftlich zu untersuchen. Doch der Dekan einer medizinischen Fakultät schob sein Exposé beiseite, dabei freundlich bemerkend: «Kommen Sie wieder mit etwas Gescheitem!»
In seltenen Fällen schaffe die Natur bei den Spontanheilungen etwas, «was wir mit der Krebstherapie bei allen Patienten erreichen wollen. Wenn man die biologischen Abläufe bei Spontanheilungen noch besser verstehen lernt, kann man daraus vielleicht – wie bereits in der Vergangenheit – weitere wichtige Erkenntnisse für die Krebsbehandlung ableiten», sagt Herbert Kappauf. «Man darf dieses Thema nicht Esoterikern überlassen. Dort wird es für die eigenen Zwecke instrumentalisiert.»
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