Interview zu Anja Zeidlers TherapieKann man einen Tumor mit alternativen Methoden bekämpfen? Eine Expertin ordnet ein
Selleriesaft und positiver Mindset: Die Influencerin will ihren gutartigen Tumor mit alternativen Methoden bekämpfen. Ist das fahrlässig? Nachgefragt bei Ursula Wolf.
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«Mein Desmoidtumor, welchen ich vor 1,5 Jahren operativ entfernt habe, ist zurück …» Mit diesem Post liess die Schweizer Influencerin Anja Zeidler ihre zahlreichen Follower vor ein paar Wochen wissen, dass sie erneut erkrankt ist. Desmoid sei «etwas zwischen gut- und bösartig». Er zähle zu den gutartigen Tumorarten, da er nicht streue, also keine Metastasen bilde. Er könne jedoch wichtigen Organen gefährlich werden, weil er sich ins umliegende Gewebe einfresse.
Der neue Tumor sei zufällig bei einer Kontrolluntersuchung entdeckt worden und bereits viereinhalb Zentimeter gross. Eine zweite Operation kommt für die 30-jährige Mutter von zwei Kindern aktuell jedoch genauso wenig infrage wie eine Bestrahlung. Zu «20 Minuten» sagte sie Anfang Woche, dass sie mit ihrer Naturheilärztin «etwaige Disbalancen ausgleichen» wolle, weil sie einen seelischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und ihrer Seele vermute. Ausserdem wolle sie vorerst mit einem «positiven Mindset» und einer unterstützenden Ernährung wie Selleriesaft gegen ihre Erkrankung ankämpfen.
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Seither erntet die Influencerin nicht nur Mitgefühl, sondern auch hämische Kommentare. Ein Satire-Account namens «Hin und Weg Bestattungen» beispielsweise kommentiert etwa auf X, vormals Twitter: «Anja Zeidler, stark! Der Tipp mit dem Selleriesaft könnte direkt von uns kommen.»
Bei «20 Minuten» reagiert Zeidler entspannt auf die Kritik. Sie handle nicht leichtsinnig, sie habe die Entscheidung gemeinsam mit ihren Ärzten getroffen, da ihr Tumor sie momentan in keiner Weise gefährde. Hätte sie einen bösartigen Krebs, würde sie diesen niemals nur mit Selleriesaft und Naturheilkunde behandeln.
Das sagt die Expertin für Komplementärmedizin
Was ist davon zu halten? Wir haben bei der Professorin Ursula Wolf nachgefragt. Sie leitet das Institut für Komplementäre und Integrative Medizin der Universität Bern.
Frau Wolf, Anja Zeidler möchte ihren Desmoid-Tumor, der sich unter ihrer Brust ausbreitet, mit positivem Mindset und gezielter Ernährung wie Selleriesaft bekämpfen statt mit einem operativen Eingriff oder einer Bestrahlung. Ist das nicht fahrlässig?
Das kann man nicht allgemein beantworten, weil jede Erkrankung individuell verläuft. Besonders Desmoidtumoren zeigen ganz unterschiedliche Verläufe von Stillstand bis zügiges Wachstum. Wenn man den Verlauf abwarten möchte, ist es ganz wichtig, dass man mehrmals pro Jahr eine bildgebende Kontrolle durchführen lässt, damit man eine Ausbreitung nicht verpasst und rechtzeitig eine entsprechende Behandlung beginnen kann. Ein Desmoidtumor ist aber kein Brustkrebs. Er geht von einem anderen Grundgewebe aus und bildet keine Metastasen, also Ableger. Er kann jedoch wie ein Krebs in umliegendes Gewebe hineinwachsen. Dadurch kann das umliegende Gewebe zerstört werden, was man invasives Wachstum nennt.
Der Desmoidtumor ist also kein bösartiger Brustkrebs. Was würde passieren, wenn man einen bösartigen Krebs ausschliesslich mit positivem Mindset und Ernährung behandeln würde?
Das kann man nicht allgemein beantworten, weil jede Erkrankung individuell verläuft. Es gibt bisher aber keine Studien, die zeigen, dass eine Krebsbehandlung ausschliesslich mit «positivem Mindset» und Ernährung ausreichend wäre. Aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen und klinischen Wissensstands empfiehlt sich bei Krebserkrankungen eine konventionelle onkologische Behandlung, am besten kombiniert mit komplementärer Medizin im Sinne der Integrativen Onkologie. Grundsätzlich kann man sagen, dass der Verlauf einer Tumorerkrankung immer von vielen verschiedenen Einflussfaktoren wie Lebensführung, Lebensumstände, Lifestyle, genetische Faktoren, persönliche Ressourcen abhängt. Daher müssen die Entscheidungen auch immer individuell gefällt werden, am besten mit den entsprechenden Fachpersonen.
Viele Krebserkrankte suchen nach komplementären Behandlungsmethoden. Welche können sinnvoll sein?
Wichtig ist, dass man weiss, dass komplementäre Methoden, wie der Name sagt, ergänzend zur konventionellen Medizin eingesetzt werden. Die sinnvolle Kombination von konventioneller und komplementärer Medizin nennt man Integrative Medizin. Komplementäre Methoden können bei Krebsbetroffenen eingesetzt werden, um die Lebensqualität zu verbessern und um Nebenwirkungen zu vermindern, die bei konventionellen onkologischen Therapien wie Chemotherapie, Bestrahlung oder endokrinen Therapien auftreten können.
Können komplementäre Therapien Tumore auch zum Schrumpfen bringen?
Es gibt Methoden wie die Misteltherapie, Weihrauch- oder Kurkumapräparate, die das Tumorwachstum durch Anregung der Apoptose, also des programmierten Zelltods, durch die DNA-Stabilisierung gesunder Zellen oder durch die Regulation von Entzündungsprozessen um den Tumor beeinflussen können. Es ist aber wie gesagt wichtig, dass man die verschiedenen Methoden für die jeweilige individuelle Situation und Person sinnvoll kombiniert.
Laut Anja Zeidler können Tumore mit Traumata zusammenhängen. Sie habe daher mit Atemübungen und Kakao-Zeremonien versucht, ins Unterbewusstsein zu gelangen, um diese Traumata aufzulösen. Können Traumata tatsächlich Tumore auslösen?
Man weiss, dass die Entstehung eines Tumors von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Traumata bedeuten Stresssituationen, und diese lösen verschiedene seelische und physiologische Reaktionen im Menschen aus, die ihn schwächen und anfälliger machen können. Es ist aber bisher nicht belegt, dass Traumata direkt zu Krebserkrankungen führen oder diese auslösen.
Laut Anja Zeidler sollen gewisse Pilzarten und starke Antioxidantien Tumorzellen bekämpfen können. Deswegen setzt sie unter anderem Sellerie- und Randensaft ein im Kampf gegen ihren Tumor. Nach ihrem Motto «Nötzts nüt, so schads nüt». Unterstützen Sie diese Haltung?
Mit der Aussage «hilft es nicht, schadet es nichts» sollte man vorsichtig sein und sie nicht als allgemeingültig verstehen. Das sage ich auch unseren Studierenden. Es kommt auf die individuelle Situation an, zum Beispiel, ob jemand bestimmte Medikamente einnimmt. Auch die Menge eines Präparates oder eines Ergänzungsmittels und die Dauer der Einnahme spielen eine Rolle. Grundsätzlich ist es empfehlenswert, Einseitigkeiten zu vermeiden.
Anja Zeidler schreibt, dass eine positive Einstellung sehr viel zum Heilungsprozess beitragen könne. Stimmt das?
Grundsätzlich ist es gut, wenn man sich etwas positiv gegenüberstellen kann, weil man dadurch das Stresslevel senkt. Es ist aber nur ein Einflussfaktor, da der Verlauf einer Tumorerkrankung immer multifaktoriell ist.
Und was, wenn einem bei einer Tumorerkrankung verständlicherweise nicht danach zumute ist, eine positive Einstellung wie Frau Zeidler zu haben?
Eine positive Einstellung kann man nicht erzwingen, und es kann auch sehr schwierig sein, insbesondere wenn man schwer erkrankt ist oder stark leiden muss. Und man muss auch Zeit haben, sich mit einer herausfordernden oder schmerzhaften Situation arrangieren zu können. Auf keinen Fall sollte man Druck auf andere Personen ausüben. Eine «positive Haltung» sollte man keinesfalls vorschreiben, und da diese wie gesagt nur ein Einflussfaktor ist, soll man sie nicht überbewerten.
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