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Abrüstung in Deutschland
SPD will US-Atombomben loswerden

Bald ausgemustert: Neue deutsche Bomber sollen wie der Tornado dazu dienen, im Krisenfall amerikanische Atombomben ins Ziel zu tragen.
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Mitten in der Corona-Pandemie haben die deutschen Sozialdemokraten am Wochenende eine Debatte losgetreten, die das Land noch lange beschäftigen wird. Bereits jetzt bringt der Streit die Koalitionspartner SPD und CDU/CSU gegeneinander auf. Auch das bereits angeschlagene westliche Verteidigungsbündnis Nato könnte er erschüttern.

Der Chef der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, forderte im Berliner «Tagesspiegel» den Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland. Diese Bomben «erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil». Mützenich betonte allerdings, die SPD stelle weder die Nato infrage noch die atomare Abschreckung als solche. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die neuen Parteichefs, bestätigten die Forderung. Esken wies darauf hin, dass sie schon in den 80er-Jahren gegen die atomare Wiederaufrüstung demonstriert habe – den sogenannten «Nato-Doppelbeschluss» – und glaube, dass ein atomwaffenfreies Deutschland nunmehr möglich sei.

Ein Relikt des Kalten Kriegs

Den Anlass für den Vorstoss der SPD bietet ein Flugzeug. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat kürzlich angekündigt, sie wolle den veralteten Tornado ab spätestens 2030 durch amerikanische F-18 ersetzen. Die neuen deutschen Bomber sollen wie der Tornado dazu dienen, im Krisenfall amerikanische Atombomben ins Ziel zu tragen.

Die sogenannte «nukleare Teilhabe» ist ein Relikt des Kalten Kriegs. In den 50er-Jahren, als eine militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion auf europäischem Boden drohte, stationierten die Amerikaner Atomwaffen in Ländern, die selbst keine besassen. Als sichtbares Pfand der transatlantischen Sicherheitsgarantie wurden sie mehrheitlich begrüsst. Der damalige deutsche Kanzler Konrad Adenauer drang allerdings darauf, die Hoheit zu teilen, damit die Waffen weder von den USA noch von den Europäern gegen den Willen des Partners eingesetzt werden konnten.

«Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann.»

Rolf Mützenich, Chef der SPD-Fraktion im Bundestag

Nach dem Ende des Kalten Kriegs verlor die «nukleare Teilhabe» innerhalb der Nato stark an Bedeutung, politisch wie militärisch. Griechenland verweigerte 2001 die weitere Stationierung. Neben Deutschland, wo auf dem Fliegerstützpunkt Büchel etwa 20 taktische Atombomben vom Typ B-61 lagern, beherbergen derzeit in Europa nur noch Italien, Belgien und die Niederlande US-Atomwaffen. Anders als der globale «nukleare Schutzschirm» der USA für die Nato-Mitglieder ist die lokale Stationierung von US-Atombomben heute vor allem ein Symbol. Gäbe Deutschland diese «nukleare Teilhabe» auf, wäre sie wohl auch politisch erledigt.

Die SPD findet, das Konstrukt passe nicht mehr in die heutige Zeit. Laut der neuen Nuklearstrategie von US-Präsident Donald Trump dienten Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung, sondern würden zunehmend als Waffen betrachtet, mit denen man vielleicht auch Kriege führen könnte. «Das Eskalationspotenzial ist damit unüberschaubar geworden», meint Mützenich.

Die SPD will den verbreiteten Unmut über Trump also dazu nutzen, die ungeliebten Atombomben auf deutschem Boden loszuwerden. Im Hinblick auf die Bundestagswahl im Herbst 2021 setzt sie sich damit als «Friedenspartei» in Szene. Pazifismus ist in Deutschland auch in unsicheren Zeiten erstaunlich beliebt. Zudem nähert sich die Partei den Grünen und der Linken an, die den Abzug schon lange fordern. Auch sozialpolitisch hat die neue Führung der SPD jüngst Weichen in Richtung eines möglichen links-grünen Regierungsbündnisses gestellt.

Lieber eine deutsch-französische Atombombe?

Beim christdemokratischen Noch-Koalitionspartner rief die Forderung wie erwünscht Kritik, Empörung, ja Entsetzen hervor. Der Vorstoss sei ein «verheerendes Signal für Deutschlands Sicherheitspolitik», sagte Vizefraktionschef Johann Wadephul (CDU). «Damit untergräbt man Deutschlands bündnispolitische Verlässlichkeit und Solidarität.» Auch SPD-Aussenminister Heiko Maas wandte sich gegen einen «deutschen Sonderweg».

Wahr ist freilich auch, dass in einer Zeit, in der sich die USA teilweise brüsk von Europa abwenden, auch konservative deutsche Sicherheitspolitiker längst über die Zukunft der atomaren Abschreckung nachdenken. Wadephul selbst hatte im Februar angeregt, künftig eine nukleare Zusammenarbeit mit der Atommacht Frankreich ins Auge zu fassen: «Deutschland sollte bereit sein, sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen. Im Gegenzug sollte Frankreich sie unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato stellen.»

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bot einige Tage später den Europäern zwar tatsächlich einen «strategischen Dialog» über die nukleare Abschreckung an. Eine Teilhabe oder einen französischen Schutzschirm für Europa schloss er aber ausdrücklich aus.