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Meinung

Kolumne «Fast verliebt»
Sommer der Sehnsucht

Fragt sich, wohin die Sehnsucht uns treibt: Claudia Schumacher.
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Als wäre er ihr Stellvertreter auf Erden, fuhr die Abendsonne in unseren Aperol Spritz und liess ihn aufleuchten. Dieses irrwitzige Goldorange. Meine Freundin und ich vergruben die Füsse im Sand, lachten uns tot wegen irgendwas. «Oh Gott», sagte sie, als wir leer waren bis auf ein kleines Nachglucksen: «Manchmal ist das Leben so schön, dass ich in alle Richtungen davonrennen will und gleichzeitig mitten hinein.» Ein widersprüchlicher Satz, und doch richtig: Ich fühlte genauso.

Kennen Sie das? Wenn einem das Leben wie Starkstrom durchs Herz fliesst, fast die Fasern verbrennt. Es ist zu viel, aber man kann nicht genug davon kriegen. Wildlings könnte man jetzt über den Steg rennen, schreiend in hohem Bogen ins Wasser springen und dabei noch jemanden mitreissen. Oder sitzen bleiben, in den azurblauen Himmel seufzen. Das taten wir. Und so floss das Gefühl in die Stille, und plötzlich wusste ich, wie es hiess: Sehnsucht.

In den Tagen danach dachte ich über sie nach, vielleicht zum ersten Mal bewusst. Warum empfinden wir Sehnsucht? Was will sie von uns? 

Es gibt eine Art der Sehnsucht, über die viel geredet wird: Die, die uns in die Betten und Herzen anderer Menschen treibt. Aber es gibt noch eine andere, eine leisere, die fast wichtiger ist: Die, die uns den Schlüssel zu uns selbst in die Hand drückt.

«Wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen», sagte Goethe. Sehnsucht ist die Kraft der Selbstentfaltung.

Für mich ist der Sommer die Zeit der Träume. Dann fühle ich tiefer, denke radikaler, entscheide konsequenter.

Ich habe noch nie verstanden, weshalb man in der kaltgrauen Eindimensionalität des Winters neue Vorsätze fassen sollte. Da spürt man Hände und Füsse nicht, und sonst auch nicht viel – vielleicht wird deshalb oft nichts aus Neujahrsvorsätzen. 

Für mich ist der Sommer die Zeit der Träume. Dann fühle ich tiefer, denke radikaler, entscheide konsequenter. Es war ein Sommer, in dem ich entschied, meine Festanstellung zu kündigen, um Romane zu schreiben. Weil es mein Traum war. Und seit ich diesen Traum lebe, ist die Sehnsucht in meinem Leben noch stärker geworden.

Aber ich kenne auch Zeiten, in denen man nicht mehr weiss, wo sie hin ist: die eigene Sehnsucht. In der man sie vielleicht so lange unterdrückt hat, bis sie stumm geworden ist. Dann kommt ihre unsympathische Schwester ums Eck und tyrannisiert einen: Fomo (Fear Of Missing Out). Die Angst, etwas zu verpassen. Ist sie erst einmal da, kann man noch so eifrig vom Büro ins Yoga und auf die Party rennen: Man jagt sich doch nur selbst hinterher. Und ist nie dort, wo man ist.

Zum Glück kann man Fomo nirgends so leicht verlieren wie im Sommer. Blumenduft, Musik im Freien, der Körper im Meer oder ein Glas Wein unter windverraschelten Bäumen: Und plötzlich sind wir wieder dort, wo wir hingehören. Überall, mittendrin. Und ganz bei uns.