Diplomatisches Schutzmachtmandat Soll die Schweiz Kiew in Moskau vertreten? Russlands Botschaft winkt ab
Die Ukraine wünscht, dass die Schweiz ihre Interessen in Russland vertritt. Doch damit müsste auch Russland einverstanden sein. Jetzt äussert sich die Botschaft in Bern.
Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, bestehen zwischen den beiden Staaten keine diplomatischen Beziehungen mehr. Nun soll die Schweiz als Briefträgerin amten: Die Ukraine wünscht, dass die Schweiz für ihre Staatsbürger in Russland konsularische Dienstleistungen erbringt, beispielsweise Pässe ausstellt.
Die Gespräche über ein Schutzmachtmandat laufen seit dem Frühjahr. Wie die «Aargauer Zeitung» berichtet, haben sich die Schweiz und die Ukraine auf ein Abkommen geeinigt. Das Aussendepartement EDA bestätigt die Angaben. Die Verhandlungen seien abgeschlossen. Bundespräsident Ignazio Cassis hatte sich bereits im Juli in einem Interview mit der Zeitung «Le Matin Dimanche» dazu geäussert. «Wir haben den Russen einen Entwurf unterbreitet. Sie sind dabei, diesen zu analysieren», sagte er.
Eine offizielle Antwort aus Russland liegt noch nicht vor. Das Interesse Russlands scheint aber gering zu sein. Das lässt jedenfalls die Stellungnahme der russischen Botschaft in der Schweiz erahnen: «Soweit der Botschaft bekannt ist, hat die russische Seite in der von Ihnen angesprochenen Frage keine Kontakte zu den offiziellen Stellen der Eidgenossenschaft», schreibt die Botschaft auf Anfrage dieser Redaktion.
Die Schweiz als «unfreundliches Land»
Die russische Botschaft äussert sich auch inhaltlich, und zwar ziemlich deutlich: Sie hält die Schweiz für ungeeignet. «Wie der russische Aussenminister Sergei Lawrow zuvor erklärt hat, ist Russland nicht bereit, Vermittlungsangebote von Ländern, die sich den antirussischen Sanktionen angeschlossen haben, in den Verhandlungen mit der Ukraine zu berücksichtigen», schreibt die Botschaft.
Und weiter: «Wir sind der Meinung, dass die Neutralität der Schweiz bis zu einem gewissen Grad beeinträchtigt wurde, da die Eidgenossenschaft alle sieben Pakete der illegitimen antirussischen EU-Restriktionen aufgenommen hat und sich damit in der Tat mit einer der Konfliktparteien solidarisiert hat.»
Es sei «kein Zufall», dass die Schweiz in die Liste der «unfreundlichen Länder» aufgenommen worden sei. «In diesem Zusammenhang ist es aus unserer Sicht schwierig, von einer Vermittlung von Bern in der Frage Ukraine zu reden», heisst es in der Stellungnahme der Botschaft.
«Diskretion ist entscheidend»
Das EDA schreibt dazu, das russische Aussenministerium sei über den Abschluss der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Ukraine informiert und kenne die Parameter des Abkommens. «Diskretion ist ein entscheidendes Element, um Gute Dienste leisten zu können», hält das EDA weiter fest.
Cassis hatte im Interview mit «Le Matin Dimanche» zu bedenken gegeben, die Schweiz sei nicht weniger «unfreundlich» als andere Staaten. Im Gegenteil: Sie habe – anders als andere Länder – weder russische Diplomaten ausgewiesen noch russische Medien verboten. «Das sind Nuancen, aber sie ändern unsere Position», sagte Cassis.
Zurzeit hat die Schweiz sieben Schutzmachtmandate inne, einseitige und gegenseitige: Für die USA im Iran, für Russland in Georgien und für Georgien in Russland, für den Iran in Saudi-Arabien und für Saudi-Arabien im Iran, für den Iran in Ägypten sowie in Kanada. Für die Ukraine und Russland geht es aktuell um ein einseitiges Schutzmachtmandat, doch wäre die Schweiz auch offen dafür, die Interessen Russlands in der Ukraine zu vertreten.
Als Schutzmacht trat die Schweiz erstmals im 19. Jahrhundert auf. Sie nahm im deutsch-französischen Krieg 1870–1871 in Frankreich die Interessen des Königreichs Bayern und des Grossherzogtums Baden wahr. Auch im Ersten Weltkrieg hatte sie Schutzmandate inne. Im Zweiten Weltkrieg sei sie dank ihrer Neutralität zur Schutzmacht «par excellence» geworden, schreibt das EDA auf seiner Webseite. Die Schweiz vertrat die Interessen von 35 Staaten mit über 200 Einzelmandaten – darunter auch diejenigen von Krieg führenden Grossmächten. Zwischen 1948 und 1973 schwankte die Zahl der Mandate zwischen 4 und 24.
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