Reaktion auf Solingen-TerrorDeutsche Regierung geht gegen Islamisten vor
Rasche Abschiebung, Messerverbot auf Volksfesten, mehr Islamismusprävention – auch mit KI: Die Ampelkoalition will als Reaktion auf den Anschlag in Solingen zahlreiche Neuerungen vornehmen.

Nach der Vereinbarung zwischen den drei Parteien der Ampelkoalition sollen Leistungen für Geflüchtete gestrichen werden, wenn sie nach Deutschland über ein anderes EU-Land eingereist sind und dieses ihre Rücknahme zugesagt hat. Das kündigte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstagnachmittag in Berlin an.
Dem in der EU geltenden Dublin-System nach soll der Staat das Asylverfahren abwickeln, den Migranten als Erstes erreichen. Mit der neuen Regel soll der Anreiz, in Deutschland zu bleiben, verringert werden. Die Regierung reagiert mit den Ankündigungen auf den Terroranschlag von Solingen mit drei Toten. Sie hatte angekündigt, das sogenannte Sicherheitspaket noch vor den Landtagswahlen am Sonntag in Sachsen und Thüringen vorzustellen.

Wer keinen Anspruch auf Schutz in Deutschland habe, müsse das Land verlassen, sagte Faeser weiter. Abschiebungen und Rückführungen sollen daher erleichtert und konsequenter vollzogen werden. Der mutmassliche Attentäter von Solingen hätte nach Bulgarien zurückgeführt werden können, was aber nicht geschah. Menschen sollen künftig einfacher ausgewiesen werden können, wenn sie eine Straftat mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Werkzeug begangen haben und Freiheitsstrafen von sechs Monaten oder mehr gegen sie verhängt werden.
Grundrecht auf Asyl bleibt gewahrt
«Zukünftig können auch die Schleusungsstrafbarkeit und Straftaten mit einem antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen, geschlechtsspezifischen, gegen die sexuelle Orientierung gerichteten oder sonstigen menschenverachtenden Beweggrund zum Ausschluss von der Schutzberechtigung führen», steht im Papier, auf das sich die Koalitionspartner geeinigt haben.

Diese Regeln sollten auch für Jugendliche gelten, fügte Justizminister Marco Buschmann hinzu, der für die FDP die Verhandlungen geführt hatte. Für die Grünen war die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Anja Hajduk, als Vertreterin von Vizekanzler Robert Habeck beteiligt. Das Grundrecht auf Asyl müsse gewahrt bleiben, sagte sie. Reisen von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer ohne triftigen Grund sollen dennoch künftig zum Verlust des Schutzstatus in Deutschland führen.
Mit künstlicher Intelligenz gegen den Terror
Die Regierungsparteien vereinbarten zudem Verschärfungen des Waffenrechts. So soll das Mitführen von Messern auf öffentlichen Veranstaltungen wie Volksfesten künftig grundsätzlich verboten werden. Der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum soll generell weiter eingeschränkt werden. So plant die Koalition ein Verbot von Springmessern. Im öffentlichen Fernverkehr soll das Mitführen von Messern mit Klingen von mehr als vier Zentimetern Länge untersagt werden, die Bundesländer und die Bundespolizei sollen zusätzliche Kontrollbefugnisse erhalten.
Zur besseren Bekämpfung des islamistischen Terrorismus will die Regierung den Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglichen. Ein Gesetzesentwurf Faesers sieht bereits vor, dass das Bundeskriminalamt künftig Programme zur Gesichtserkennung einsetzen darf. Ermittler sollen so Fotos und Videos von Verdächtigen automatisiert mit Bildern in den sozialen Netzwerken abgleichen können. So sollen nicht nur Verdächtige identifiziert, sondern auch Kontaktpersonen erkannt, Reisen nachvollzogen und flüchtende Täter schneller ausfindig gemacht werden. Bisher müssen Fotos und Videos manuell verglichen werden.
Die Massnahmen sollen Basis für Gespräche mit den Bundesländern und der Union sein, sagte Faeser. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte solche Gespräche am Mittwoch angekündigt und damit auf die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz reagiert. Der Oppositionsführer hatte dem Kanzler eine Zusammenarbeit mit der Union angeboten, ihn aber zugleich aufgefordert, Vorbehalte der Koalitionspartner zu übergehen.
Kein «Brainstorming», sondern «Zeitenwende in der Asylpolitik»
Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Boris Rhein (CDU), der Regierungschef des Bundeslandes Hessen, hat die Teilnahme seines Innenministers Roman Poseck (ebenfalls CDU) an der Arbeitsgruppe zugesagt. Gleichzeitig machte er aber klar, dass er den Vorstoss skeptisch sieht. Man brauche kein «kein Brainstorming mit der Bundesregierung», sondern «eine Zeitenwende in der Migrationspolitik». (Lesen Sie dazu unser Interview mit dem Islamexperten Reinhard Schulze.)
Skeptisch äusserte sich auch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. «Wir wollen nicht über Klingenlängen bei Messern reden. Wir haben ganz grundsätzliche Vorstellungen, was sich in der Migrations- und Sicherheitspolitik ändern muss», sagte er. Er soll federführend für CDU und CSU die Gespräche führen. Die Union will sich dabei die Themen nicht einfach vorgeben lassen, sondern selbst bestimmen. Priorität habe die Frage, mit welchen rechtlichen Massnahmen man «die humanitäre Migration nach Deutschland begrenzen» könne, sagte Frei.
In einer Sondersitzung des Innen- und Integrationsausschusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, in dem Solingen liegt, stellte Innenminister Herbert Reul (CDU) klar, der mutmassliche Terrorist von Solingen habe sich nicht der Polizei gestellt. Vielmehr sei der 26-jährige Syrer, der sich zu der Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte, am Samstagabend einer Polizeistreife wegen seines Verhaltens und seines Erscheinungsbildes verdächtig erschienen. Nach kurzer Ansprache hätten die Polizisten den Mann festgenommen.
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