Nach dem Anschlag von SolingenBraucht die Schweiz Waffenverbotszonen? – «Das reicht nicht»
Messerstechereien nehmen zu. Nun will Deutschland die Waffenverbotszonen ausweiten. Der Kriminologe Dirk Baier sieht darin keine nachhaltige Lösung.
Nach dem Messerterror von Solingen hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Anschlagsort schnelle Konsequenzen angekündigt. Zuvor schon hatte Robert Habeck «strengere Waffengesetze und mehr Waffenverbotszonen» gefordert. «Hieb- und Stichwaffen braucht niemand in der Öffentlichkeit», sagte der Vizekanzler. «Wir leben nicht mehr im Mittelalter.»
Deutschland hat schon Erfahrungen mit Waffenverbotszonen gesammelt. So gelten zum Beispiel in der Kölner Innenstadt und der Düsseldorfer Altstadt Regeln, die das Mitführen von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen untersagen. Zahlreiche weitere Städte haben ebenfalls solche Zonen eingerichtet, um Messergewalt einzudämmen.
Zunehmende Messergewalt in der Schweiz
Auch in der Schweiz kommt es immer häufiger zu Messerattacken. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik gab es im vergangenen Jahr 361 Vorfälle, 2015 waren es erst 201 gewesen.
Zuletzt wurde im letzten März in Zürich ein orthodoxer Jude von einem 15-jährigen Jugendlichen auf offener Strasse niedergestochen. Der Angreifer wurde festgenommen. Er hatte wie der Attentäter von Solingen Kontakt zur Terrororganisation IS.
Es braucht genug Personal für effektive Waffenverbotszonen
Dirk Baier ist Professor für Soziologie und Kriminologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und leitet dort das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention.
Baier sieht keine Notwendigkeit, Waffenverbotszonen in der Schweiz einzuführen. «Aber natürlich kann bereits eine Tat ausreichen, um eine Diskussion darüber zu entfachen», sagt der Kriminologe.
Temporär können solche Zonen laut Baier zu einer Beruhigung eines Hotspots beitragen. «Allerdings gibt es diesen Effekt sicher nur dann, wenn in den Verbotszonen auch verstärkt polizeiliche Kontrollen stattfinden.»
Der Gewaltforscher stellt aber infrage, ob die Polizeikorps in der Schweiz über ausreichend Personal verfügen, um zusätzliche Aufgaben wie die Überwachung von Waffenverbotszonen zu bewältigen. Schon jetzt seien Polizistinnen und Polizisten durch viele Überstunden stark belastet.
Baier sagt, dass die zentrale Herausforderung bei der Einführung von Waffenverbotszonen in der Schweiz die Kontrolle durch die Polizei wäre. «Möglicherweise müssten dann private Sicherheitsdienste verstärkt in die Umsetzung eingebunden werden.»
Baier stellt die Massnahme aber ohnehin grundsätzlich infrage: «Wirklich dauerhaft reduzieren können Waffenverbotszonen das Kriminalitätsgeschehen nicht.» Der Gewaltforscher schliesst das aus der wissenschaftlichen Begleitforschung zu zwei solchen Zonen in Deutschland.
Der Grund dafür ist laut Baier, dass polizeiliche Massnahmen die Ursachen der Kriminalität nicht bekämpfen – also die persönlichen und sozialen Bedingungen kriminellen Verhaltens. «Stattdessen bleiben sie an der Oberfläche: Es wird kontrolliert, und gefährliche Gegenstände werden konfisziert. Aber das allein reicht für eine effektive Kriminalprävention nicht aus.»
Prävention wichtiger als Verbote
Es gibt laut Baier Alternativen zu Waffenverbotszonen: «Einige Kantonspolizeien setzen seit einiger Zeit auf Aufklärungsstrategien, um das Problem der Messerkriminalität anzugehen.» Mit Videos und Social Media würden gezielt junge Männer angesprochen, die ein erhöhtes Risiko aufwiesen, Messer mit sich zu führen.
Dirk Baier betont, dass die Polizei allein das Phänomen der Messer- und Jugendgewalt nicht vollständig in den Griff bekommen kann. «Es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung, bei der Familien, Schulen, Nachbarschaften und Vereine eine zentrale Rolle spielen müssen.»
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