Wie viel Frust im Netz ist erlaubt? «Auf Social Media werden ständig Grenzen überschritten»
Frédéric Krauskopf, Experte für Persönlichkeitsrecht, ordnet ein – und er sagt, ob es Anpassungen im Gesetz braucht.
Social Media als Mittel für das Frustfoul: Wenn der Zug mal wieder zu spät, der Service im Restaurant schlecht oder das Hotel zu teuer war, juckt es so manch enttäuschten Kunden in den Fingern.
Eine schlechte Rezension, ein böser Post, ein kleiner Rant: Immer wieder gibt es Beschwerden via Social Media, je grösser die Reichweite des Accounts, desto grösser die Aufmerksamkeit – und womöglich auch umso wahrscheinlicher juristische Folgen. Wie weit darf man gehen? Ab wann wird es strafbar? Frédéric Krauskopf, Professor für Privatrecht an der Universität Bern, erläutert, welche Risiken Wutbürger im Netz auf sich nehmen.
Herr Krauskopf, Anfang Woche gab der Fall der Komikerin Hazel Brugger zu reden: Sie machte auf Instagram ihrem Ärger über die angeblich schlechten Dienstleistungen einer Baufirma Luft. Brugger hat 800’000 Follower. Was liegt hier im juristischen Sinne vor?
Je nach Inhalt des Posts könnte eine Ehr- oder Persönlichkeitsverletzung vorliegen. Viele Leute, die auf Social Media unterwegs sind, sind sich nicht bewusst: Je grösser das Publikum, das sie erreichen, desto höher ist das Haftungsrisiko, dem sie sich aussetzen, wenn sie derartige Posts verfassen. Je grösser der Kreis der Adressaten ist, desto einschneidender ist die Wirkung, etwa ein möglicher Imageverlust bei der kritisierten Partei. Da müssen bisweilen Schmerzensgelder in einem hohen Umfang bezahlt werden.
Ist es strafbar, seine Reichweite auf Social Media für etwas zu gebrauchen, das einen eher als Privatperson betrifft?
Nein. Im Internet lässt sich zwar schnell Reichweite generieren, aber es gelten die gleichen Gesetze wie überall sonst auch. Wenn jemand Millionen von Leuten erreicht, dann hat er halt diesen Kanal, rechtswidrig ist das nicht. Aber man muss beim Austausch mit diesem Publikum darauf achten, dass man gewisse Grenzen nicht überschreitet.
Für welche Delikte kann man denn auf Social Media belangt oder verklagt werden?
Es sind vor allem Delikte gegen die Ehre. Es gibt die Straftatbestände der üblen Nachrede, der Verleumdung oder der Beschimpfung. Im Strafrecht wird aber immer nur erreicht, dass die Täterschaft bestraft wird: mit Freiheitsstrafen, Gefängnis, Bussen. Wer sich als Opfer sieht und für sich etwas fordern will, muss übers Zivilrecht gehen. Dort sind die Grundlagen des Persönlichkeitsrechts festgehalten, die in der Schweiz relativ gut ausgebaut sind. Man kann erwirken, dass eine drohende Persönlichkeitsverletzung verboten wird, also etwas nicht publik gemacht wird. Man kann eine bestehende Verletzung beseitigen lassen. Und man kann eine Berichtigung verlangen. Darüber hinaus kann man auf Schadenersatz und Genugtuung klagen.
Und was genau muss in einem Post stehen, damit jemand klagen kann?
Wenn ich unwahre Tatsachen über jemanden verbreite oder erniedrigende Urteile fälle, dann überschreite ich juristische Grenzen. Es kommt mitunter vor, dass ein Post auf Social Media ohne grosse Hintergedanken an diesen Grenzen kratzt. Das kann dazu führen, dass sich die an den Pranger gestellte Partei wehrt, weil das ja oft nur eine persönliche Darstellung ist. Und auf die gibt es immer das Recht auf Gegendarstellung.
Auf Social Media ist der Ton überhaupt ziemlich rau.
Nach meinem Empfinden werden dort regelmässig Grenzen überschritten. Die Menschen setzen sich immer mehr zur Wehr, dessen muss man sich bewusst sein, wenn man viel in den sozialen Medien postet. Das sage ich auch zu meinen Studierenden.
Eine Person mit einer gewissen Reichweite auf Social Media müsste im Prinzip also mit der gleichen Vorsicht Informationen teilen, wie es ein Journalist tut?
Ja. Die Gerichte behandeln Online-Inhalte, die sich an ein grösseres Publikum richten, grundsätzlich wie Äusserungen in klassischen Medien. Das ergibt auch Sinn: Sie erreichen als Tageszeitung mit einem Artikel ein paar Tausend Leser, ein Blogger, Youtuber oder Influencer erreicht unter Umständen sogar Millionen.
Wie sieht es denn bei Personen aus, die im öffentlichen Dienst stehen – etwa ein Politiker? Ist es justiziabel, wenn er via X (vormals Twitter) die Swiss auffordert, endlich sein Gepäck zu finden?
Der Umstand, dass man mehr Leute erreicht, bedeutet per se noch nicht, die Situation rechtlich anders zu beurteilen. Aber Staatsangestellte etwa müssen sich ihrer Repräsentationsfunktion bewusst sein. Wenn sie ein Statement abgeben, gilt es genau zu beurteilen, ob sie sich privat oder als Mitglied ihrer Behörde äussern. Es kann sein, dass eine Person etwas erklärt und daran etwas anschliesst, mit dem Hinweis: Ach, das ist jetzt nur meine persönliche Meinung. In dem Moment handelt sie als Privatperson und kann auch entsprechend belangt werden.
Als Konsumenten sind wir manchmal frustriert. Auf Social Media bietet sich die Möglichkeit, diesem Ärger Luft zu verschaffen. Dürfen wir das?
Klar, wer diesen Drang verspürt, soll das tun. Social Media hat einfach die Eigenschaft, dass ich mit meiner privaten Meinung plötzlich sehr viele Leute erreiche. Das allein ist noch nicht strafbar. Man muss heutzutage einfach damit rechnen, dass sich die Kritisierten rechtlich wehren. In Deutschland sorgte der Fall von Gil Ofarim für Aufsehen: Er warf einem Hotelangestellten im Nachgang auf Social Media vor, ihn antisemitisch beleidigt zu haben. Es stellte sich heraus, dass die Vorwürfe haltlos waren, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Ofarim unter anderem wegen Verleumdung. Der Fall zeigt das Risiko des Missbrauchs auf, das Social Media birgt.
Wir ärgern uns als Privatperson – sind wir im Netz durchgängig auch als Privatperson unterwegs?
Das ändert sich nie. Das Internet macht es einfach schwieriger, das Recht durchzusetzen. Wenn ich im privaten Kreis mit drei Freunden beim Fondue irgendjemanden, der nicht anwesend ist, beleidige, dann haben das lediglich drei Leute gehört. Es wäre unvertretbar, zu argumentieren, dass dieser jemand dadurch einen Schaden erlitten hat. Wenn ich das aber gegenüber Tausenden Followern mache, verhält es sich anders. Vor allem für solche Fälle sieht das Privatrecht das Recht auf Gegendarstellung vor. Allerdings ist es bei Posts auf Social Media schwieriger, ein Recht auf Gegendarstellung zu erreichen. Eine Zeitung, ein Magazin kann sie abdrucken, auf einem Account müsste man einen neuen Post machen. Im Unterschied zu einer Zeitung lässt sich im Internet ein neuer Account kreieren, etwa im Ausland, auf dem problematische Inhalte verbreitet werden können. Deswegen macht das Internet es schwieriger, das Recht durchzusetzen.
Sehen Sie Anlass zu gesetzlichen Anpassungen?
Grundsätzlich bietet unser Recht für Ehr- und Persönlichkeitsverletzungen schon heute sehr gute Instrumente. Man könnte womöglich Mechanismen einbauen, die schneller wirken. Aber das ist immer eine Gratwanderung: Denn eigentlich wollen wir ja auch das Recht auf freie Meinungsäusserung hochhalten, die Informations- und Pressefreiheit. Da müssen wir auch das Risiko eingehen, dass es zu Persönlichkeits- und Ehrverletzungen kommt. Weil wir nicht prophylaktisch alles stilllegen können. Das würde in Zensur münden.
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