Neue Gefahr in der PandemieSo sieht das Schreckensszenario mit dem mutierten Virus aus
Was passiert, falls die aus England stammende Virusmutation sich in der Schweiz durchsetzt? Die Covid-Taskforce des Bundesrats präsentiert eine dramatische Grafik.
Nur fünf Tage nach den angespannten Corona-Weihnachten senden die Kantone Signale der Entspannung aus.
Sechs Kantone, die ihre Skigebiete bisher geschlossen hatten, werden sie am Mittwoch wieder öffnen. Die Lage habe sich stabilisiert, die Situation in den Spitälern habe sich entschärft: So lautet der Tenor in Glarus, Uri, Ob- und Nidwalden sowie den beiden Appenzell.
Diese Kantone stützen sich dabei auch auf den sogenannten R-Wert, der laut neusten Berechnungen im schweizerischen Durchschnitt auf 0,81 gefallen ist. Auch diese Zahl ist ein Signal der Entspannung, wenn auch ein unsicheres (lesen Sie hier mehr dazu).
Aus Bundesbern kommen jedoch ganz andere Zeichen. Dort hat die wissenschaftliche Covid-Taskforce des Bundesrats am Dienstag ein Schreckensszenario präsentiert.
Kurve schiesst steil nach oben
Der Hintergrund ist die aus Grossbritannien stammende Mutation von Sars-CoV-2, die letzte Woche auch in der Schweiz erstmals nachgewiesen wurde. Diese Mutation ist nach bisherigen Erkenntnissen 40 bis 70 Prozent ansteckender als der alte Virusstamm (hier lesen Sie mehr zur neusten Studie).
In England hat sich diese Mutation in kürzester Zeit durchgesetzt. Erst Mitte Dezember habe Grossbritannien die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die Mutation informiert – und heute werde sie schon bei einem Grossteil der Corona-Neuansteckungen im Grossraum London nachgewiesen, sagt Taskforce-Präsident Martin Ackermann. Die Hospitalisierungen in London haben sich vom 16. bis 22. Dezember, also in nur einer Woche, verdoppelt.
Was bedeutet das für die Schweiz?
Die Taskforce hat eine Modellrechnung erstellt. Auf ihrer Grafik präsentiert die gestrichelte orange Linie das Worst-Case-Szenario: Ansteckungszahlen, die – sollte sich die britische Virusvariante ausbreiten – ab Anfang März steil in die Höhe schiessen. Schon im April könnte es so über 20’000 Neuansteckungen pro Tag geben.
Die Taskforce legt Wert auf die Feststellung, dass es sich bei dieser Grafik nicht um eine Prognose handelt, sondern um eine vereinfachende Modellrechnung. Ihr Zweck: Die Grafik soll aufzeigen, um wie viel dramatischer die neue Variante die Infektionszahlen in die Höhe jagen kann als der bisherige Virusstamm. «Die neue Variante hat schnell und unmittelbar einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen», sagt Ackermann.
Die Modellrechnung geht aus von den heutigen Ansteckungszahlen (ca. 4000 Neuinfektionen pro Tag). Zudem basiert sie auf der Annahme, dass rund ein Prozent der Corona-Infizierten in der Schweiz das neuartige Virus bereits in sich tragen.
Der Effekt des mutierten Virus wird deutlich weniger dramatisch ausfallen, falls die Schweiz es schafft, die Reproduktionszahl in den nächsten Wochen auf 0,8 zu halten (blaue gestrichelte Kurve). Falls der R-Wert jedoch nur leicht höher liegt – bei 0,9 – könnten die Ansteckungen steil exponentiell ansteigen (orange gestrichelte Kurve).
Wie viele haben das veränderte Virus bereits?
Im Labor nachgewiesen wurden bisher in der Schweiz zwar erst fünf Infektionen mit dem neuen Virus. In zwei weiteren Proben wurde zudem eine weitere Mutation aus Südafrika gefunden.
Um diese neuen Virusstämme überhaupt zu finden, müssen die Corona-Testproben aufwendig analysiert – im Fachjargon: sequenziert – werden. Aufgrund der beschränkten Laborkapazitäten können laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) derzeit aber nur 200 bis 300 Proben pro Tag sequenziert werden – das entspricht nur etwa fünf Prozent aller positiven Corona-Tests.
Das heisst: In 95 Prozent der positiven Corona-Proben wird die Mutation derzeit nicht einmal gesucht. Und das wiederum bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gross ist, dass bereits mehr Personen das Virus in sich tragen als jene fünf, die bereits entdeckt wurden.
Ein Land in der Risikozone
Vor diesem Hintergrund warnt die Covid-Taskforce dezidiert vor vorschnellen Lockerungen der Corona-Massnahmen. Ackermann formuliert es so: Schon mit ihren momentanen Ansteckungszahlen bewege sich die Schweiz «in einer gefährlichen Risikozone». Für Sondereffekte wie das mutierte Virus gebe es keinerlei «Sicherheitsmarge».
Die Taskforce ruft die Politik daher dazu auf, alles daranzusetzen, dass die Schweiz die «Hochrisikozone» möglichst schnell verlassen kann. Als mögliche neue Massnahmen empfiehlt die Taskforce der Politik eine Ausweitung des Homeoffice. Zudem schlägt sie vor, den Schulbeginn auf den 11. Januar zu verschieben. Auf diese Weise könne verhindert werden, dass Kinder Corona-Infektionen, die sie an einer Familienweihnacht aufgelesen haben, in ihre Klasse tragen.
Das Ziel müsse erstens sein, den R-Wert unbedingt bei 0,8 halten, so die Taskforce. Und zweitens müsse man noch konsequenter testen und sequenzieren, um die neuen Virusvarianten gezielt einzudämmen.
Beim Bund ist diese Botschaft angekommen. Ziel sei, so sagt BAG-Vertreter Patrick Mathys, die Kapazitäten für die Sequenzierung «deutlich zu steigern».
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