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Hinter den Kulissen der Redaktion
So berichtet unser Team über den Ukraine-Krieg

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Wie hat sich euer Arbeitsalltag seit dem 24. Februar verändert?

Zita Affentranger: Die Grenzen zwischen dem Privaten und der Arbeit haben sich bei mir faktisch aufgelöst. Auch wenn wir fertig sind mit der Tagesarbeit, sitzen wir weiter am Computer, am Handy, verfolgen Ticker, Livestreams. Dieser Konflikt lässt einen nicht los.

Wie sieht ein Tag bei euch im Ressort derzeit aus?

Zita Affentranger: Als Erstes priorisieren wir am Morgen in einer Teamsitzung: Was ist relevant auf die ganze Entwicklung gesehen? Was liegt in der Luft, was bewegt die Leute, welche Ressourcen haben wir? Wir diskutieren den Gesamtüberblick, aber auch, welche Teilaspekte wir aufgreifen möchten. Danach teilen wir uns auf: Die einen schreiben, die anderen koordinieren und kümmern sich um die Produktion der Artikel für Print und online. Während des Tages passen wir unsere Planung immer wieder der Newslage an. Manchmal macht man einen Plan und muss kurz darauf sagen: Der ist komplett falsch.

Auslandchef Christof Münger (l.) und Russland-Ukraine-Spezialistin Zita Affentranger.

Wir arbeiten mit der «Süddeutschen Zeitung» zusammen und haben gemeinsame Korrespondentinnen und Korrespondenten vor Ort. Wie ist der Kontakt?

Christof Münger: Momentan müssen wir schauen, was aus Russland an Berichterstattung noch möglich sein wird. Die Repressionen gegenüber Medienschaffenden sind massiv und gefährden auch unsere Kolleginnen und Kollegen von der SZ. In der Ukraine sieht es so aus: Als Putin seinen Angriff am 24. Februar startete, war ein Kollege in Kiew, zuvor im Donbass. Er ist nun raus aus der Ukraine. Ob nun jemand Neues vor Ort geschickt wird, ist noch unklar. Wo genau die Korrespondentinnen und Korrespondenten sich derzeit aufhalten, kann ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Natürlich habe ich auch Angst um diese Leute. Die Situation ist gefährlich. Gleichzeitig weiss ich: Sie arbeiten nicht zum ersten Mal in einem Kriegsgebiet.

Wie informiert ihr euch?

Christof Münger: Wir informieren uns über die Korrespondentinnen und Korrespondenten der «Süddeutschen Zeitung», mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten, wir verfolgen den ganzen Tag über die Berichterstattung gängiger verlässlicher Medien, zum Beispiel BBC, «Spiegel», «New York Times», «Washington Post». Und wir schauen natürlich genau auf Twitter. Ich habe dort einige Quellen, die bereits im Vorfeld des Krieges sehr genau vorausgesagt haben, was passieren würde. Diese sind für mich verlässlich und weiterhin sehr hilfreich. 

Zita Affentranger: Ich informiere mich über mein Netz aus ukrainischen, russischen und internationalen Medien, internationalen Organisationen mit Vertretungen vor Ort, Thinktanks. Hinzu kommen Leute, von denen ich weiss, wie sie ticken, und auf deren Einschätzungen ich mich verlassen kann. Ich war auch selbst mehrere Jahre Korrespondentin in Russland. Mein Netzwerk ist über 20 Jahre hinweg gewachsen. Darunter befinden sich auch Personen, die sich seit Jahrzehnten mit Themen wie etwa militärischen Entwicklungen beschäftigen. Von ihren Artikeln, Social-Media-Posts, Büchern oder auch aus direkten Gesprächen mit ihnen erhalte ich sehr viele Informationen.

Lest ihr auch Medien aus Russland, aus der Ukraine?

Zita Affentranger: Ja. Ich spreche Russisch und kann mir nicht vorstellen, ohne diese Sprachkenntnisse zu arbeiten. Ich muss mir ein eigenes Bild machen können, gerade auch von der offiziellen Argumentation Russlands oder der Ukraine. Ich schaue mir an, was etwa die offiziellen Sender in Russland ihrem Publikum zeigen. Klar werden dort Dinge erzählt, die nicht stimmen. Aber es geht darum, die Logik des Denkens zu erfassen, darum, zu verstehen, in welche Richtung sie die Leute steuern wollen.

Wie verifiziert ihr Informationen?

Christof Münger: Wir prüfen für ein Thema oder eine Information verschiedene Quellen. Mit der Zeit erhält man ein Gesamtbild. Aber es bleiben auch Widersprüche, die sich nicht schnell auflösen lassen. Zum jetzigen Zeitpunkt legen wir uns beispielsweise nicht auf Opferzahlen fest. Das ist viel zu unsicher.

Zita Affentranger: Es ist ein besonderes Merkmal dieses Krieges, dass die sozialen Medien uns diesmal praktisch live mit Bildern überfluten, ohne dass wir im ersten Moment beurteilen können, ob das wahr ist, was wir sehen. Das ist auch für uns als Journalistinnen schwierig. Auch bei anderen Informationen dauert es manchmal drei, vier, fünf Stunden, bis wir sagen zu können, wie es wirklich war – obwohl das Bild des Ereignisses schon lange auf dem Tisch liegt. Es ist, als würde man ein Puzzle zusammensetzen. Und es gibt Fälle, in denen die Puzzleteile nicht ausreichen und wir sagen müssen: Wir wissen es nicht genau, wir können es nicht verifizieren. Dazu muss man stehen und dies den Leserinnen und Lesern transparent machen. In meinem Kopf dreht sich eine ganze Liste von Fragen, für die ich noch nach Antworten suche. Einige kann ich zu einem späteren Zeitpunkt klären, einige vielleicht nie.

Als ihr am 24. Februar vom Angriff erfahren habt, was ging euch da durch den Kopf?

Zita Affentranger: Ehrlich gesagt, wurde mir schlecht. Ich versuchte, eine Erklärung zu finden, die mir gesagt hätte, dass es doch nicht wahr ist, was man überall in den Nachrichten sah. Dann bin ich ins Büro gegangen und habe mich an meinen Kommentar gemacht. Als ich mich hinsetzte, hatte ich das Gefühl, ich sei am Ende der Welt. 

Christof Münger: Ich habe am Morgen früh im Radio davon gehört. Da musste ich mich erst hinsetzen und mir ein paar Gedanken machen. Danach habe ich erste Telefonate gemacht, bin richtig aufgestanden und arbeiten gegangen. Unterwegs habe ich bereits sämtliche Kanäle über das Handy angeschaut. Danach gings los. Es war in diesem Sinne ein Kaltstart. Ich war überrascht, dass Putin der Diplomatie so gar keine Chance gegeben hatte.

Was macht die Kriegsberichterstattung mit euch?

Christof Münger: Wenn ich arbeite, bin ich voll drin – ich weiss, was zu tun ist, man «schafft vorwärts». Sobald man nicht mehr im Arbeitsrhythmus ist, beginnt der Tag nachzuhallen. Erst da wird einem richtig bewusst, wie schlimm diese Situation vor allem für die Menschen in der Ukraine ist. 

Zita Affentranger: Das geht einem natürlich nahe. Vor allem, wenn einem die Gebiete, in denen man selbst einmal war, als Trümmerlandschaft gezeigt werden. Das macht sehr viel mit einem. Man braucht Auszeiten. Ich versuche, ab und zu bewusst rauszugehen für einen Spaziergang. Das hilft mir, Abstand zu gewinnen. Professionelle Distanz ist wichtig, um sich erneut die Fragen zu stellen: Was ist jetzt wichtig? Wie gehen wir weiter vor?