Schweizer EnergieversorgungBei der Solarenergie ist die Schweiz von China abhängig
Simonetta Sommaruga will Importe von russischem Gas und Öl senken und die Energiewende forcieren. Doch auch bei der Fotovoltaik bestehen heikle Handelsbeziehungen. Das soll sich nun ändern.
Sie hat schon vor dem Ukraine-Krieg immer wieder darauf hingewiesen. Nun aber sei es «dermassen offensichtlich, dass wir unsere Abhängigkeit senken müssen», sagte Simonetta Sommaruga kürzlich im Interview mit dieser Zeitung. Die Energieministerin meinte damit die Abhängigkeit der Schweiz von fossilen Energien, aus aktuellem Anlass speziell von Öl und Gas russischer Herkunft. Die Schweiz habe sich zu stark auf Importe verlassen, resümierte Sommaruga und machte klar, es brauche nun umso mehr einen Schub beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Nur: Auch mit der Energiewende bleibt die Schweiz stark aufs Ausland angewiesen – zumindest, wenn es so weiterläuft wie bisher. Das zeigt sich just bei der Fotovoltaik (PV), dem neben der einheimischen Wasserkraft zweiten grossen Pfeiler, auf den der Bundesrat bei der Energiestrategie 2050 setzt. Die Schweizer Solarindustrie ist verschwindend klein, auch in Europa wird weltweit seit der Wirtschaftskrise 2008 nur noch ein Bruchteil der Fotovoltaik-Module hergestellt.
Etwa 45 Prozent aller PV-Module wurden noch vor 14 Jahren gemäss einem neuen Bericht des deutschen Fraunhofer-Instituts in Europa produziert. Heute werden 92 Prozent in Asien hergestellt. Dabei ist mit knapp 70 Prozent China unangefochtener Spitzenproduzent. Dahinter folgen mit grossem Abstand Vietnam, Südkorea und Malaysia. Bei der Produktion von Silizium, das in Solarmodulen steckt, ist Chinas Dominanz ähnlich erdrückend. Heute verkaufen chinesische Firmen Solarzellen und fertige Solarmodule zu deutlich tieferen Preisen als die Konkurrenz in Europa. Swissolar, der Schweizerische Fachverband für Sonnenenergie, schätzt den Unterschied bei Modulen gleicher Qualitätsklasse auf 20 Prozent.
Wie gross der Anteil chinesischer Module in der Schweiz ist, dazu gibt es keine Statistik. Swissolar geht aber davon aus, dass es «nur geringfügig» weniger als 70 Prozent sind. Bloss 5 Prozent machten 2020 dagegen Module aus Schweizer Produktion aus. Schlittert die Schweiz also nach Öl und Gas direkt in eine Solar-Abhängigkeit?
Die Frage stellt sich umso dringlicher, als Chinas Herrscher Xi sein Land in ein zunehmend totalitäres Korsett zwingt und die Übermacht Chinas im Solarmarkt weit grösser ist als jene Russlands bei den fossilen Energien. Hinzu kommt, dass die chinesische Solarwirtschaft von schweren Vorwürfen belastet wird: In der autonomen uigurischen Region Xinjiang, wo ein Grossteil des Siliziums verarbeitet wird, vermuten Menschenrechtsorganisationen Zwangsarbeit.
Grosses Klumpenrisiko
Was, wenn Putin den Gashahn zudrehen würde? Die Frage, seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine kontrovers diskutiert, könnte in Zukunft so lauten: Was, wenn Xi den Export von PV-Anlagen stoppen würde? Das Klumpenrisiko ist offensichtlich. Müsste sich die Schweiz unabhängiger von China machen? «Wir würden es begrüssen, wenn wieder mehr in Europa produziert würde», sagt Swissolar-Vizepräsidentin und SP-Nationalrätin Gabriela Suter. «Die Schweiz sollte sich dabei jedoch mit der EU koordinieren.»
Die EU-Kommission hat eben erst angekündigt, den Ausbau der Solarenergie zu beschleunigen und die Solarindustrie nach Europa zurückzuholen. Als Forschungsstandort könnte die Schweiz einen Beitrag zur geplanten Renaissance leisten. Zusätzlich sollte sie – wie die EU – aber auch industriepolitische Massnahmen prüfen, findet Suter: «Es braucht Anreize, die helfen, die Produktionskapazitäten in Europa über die gesamte Wertschöpfungskette zu erweitern.»
Der Niedergang der europäischen Solarindustrie im letzten Jahrzehnt zeigt: Für ein Revival braucht es möglichst viele Fertigungsschritte an einem Standort, dazu hohe Produktionskapazitäten, um Skaleneffekte zu erzielen. Zudem liesse sich die Abhängigkeit vom Rohstoff Silizium schmälern, indem dieser längerfristig aus alten PV-Anlagen rezykliert wird, noch fehlen allerdings effiziente Verfahren dafür.
Gemäss einer Studie des deutschen Maschinenbauverbands und des Fraunhofer-Instituts ist es möglich, Module zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren – allerdings nur, sofern die europäischen Länder entsprechend investieren, damit Fabriken die kritische Grösse erreichen. Die europäische Solarindustrie hofft nun auf eine Förderung nach dem Vorbild der sogenannten Batterie-Allianz, mit der die EU-Kommission eine komplette Wertschöpfungskette im Bereich der Batterien aufbauen möchte. Bereits hat die EU-Kommission mehrere industrielle Grossprojekte als im europäischen Gesamtinteresse stehend eingestuft. Damit entfällt für diese Vorhaben das generelle Verbot staatlicher Beihilfen.
Die Rolle der Schweiz bei der PV-Herstellung
Die Frage, welche Rolle die Schweiz beim Wiederaufbau der europäischen Fotovoltaikindustrie spielen soll, wird das Parlament wohl diesen Donnerstag beschäftigen. Traktandiert ist ein Vorstoss von SP-Politikerin Suter: Der Bundesrat soll in einem Bericht eine Auslegeordnung vornehmen. Der Bundesrat beantragt, das Postulat anzunehmen. Allerdings will er nur prüfen, wie die Schweiz bei der anwendungsorientierten Forschung und Innovation verstärkt aktiv werden könnte; Industriepolitik will er explizit ausklammern.
Dass eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen Ländern strategisch problematisch ist, darin dürfte politisch weitgehend Konsens herrschen. Anders sieht es bei der Frage aus, ob der Bund die Schweizer Solarindustrie mit eigenen Mitteln unterstützen soll. Linke Parlamentarier zeigen sich dafür offen, wie Nachfragen zeigen, doch in der Mitte und rechts davon herrscht Skepsis bis Ablehnung bei allem, was darüber hinausgeht, die Rahmenbedingunge für die Solarindustrie möglichst optimal zu gestalten. Die Herstellung von PV-Modulen benötige Rohstoffe, über welche die Schweiz nicht verfüge, sagt zum Beispiel Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini. «Der Aufbau einer Solarindustrie durch den Bund würde die Energiewende verteuern und verzögern, ohne dass das Abhängigkeitsproblem vollständig gelöst werden könnte.»
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