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Slowakei vor Rechtsruck
Bald sind Wahlen, und die Jungen fragen: «Was hat das mit mir zu tun?»

epa10856679 Slovak former Prime Minister and chairman of the Smer-SD party Robert Fico (C) greets with a supporter after the party's election campaign rally in Nitra, Slovakia, 12 September 2023. Robert Fico, a socially conservative left-wing populist and two-time former prime minister, takes poll lead ahead of elections and his party has called for stop military aid to neighbouring Ukraine. Parliamentary elections in Slovakia will be held on 30 September 2023. EPA/MARTIN DIVISEK
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Zuckerwatte, Freibier, Livemusik – in der slowakischen Stadt Zilina ist am Montag Volksfeststimmung. Auf dem Platz unterhalb der Kirche haben sich vor allem Familien und ältere Paare versammelt, Kinder halten Luftballons in der Hand, ständig kommt jemand vorbei und verteilt Karamellbonbons. An diesem warmen Spätsommernachmittag wirbt die christdemokratische Partei KDH um Stimmen in der 80’000-Einwohner-Stadt im Nordwesten des Landes. Am nächsten Samstag wird in der Slowakei ein neues Parlament gewählt.

Die Leute seien verunsichert von der LGBT-Ideologie, erklärt ein Mann, der ziemlich weit hinten auf der Liste kandidiert, seine Wahlkampfzettel verteilt und sehr viele Hände schüttelt. Ein anderer Kandidat der Partei, Platz vier, will vor allem, dass die jungen Leute nicht mehr abwandern oder dass sie ins Land zurückkommen.

Das will auch der Mann von Listenplatz 118. Er ist in Zilina geboren, dieser Industriestadt umgeben von Wäldern und hohen Bergen, hat aber lange im Ausland gelebt, nur dort habe er genug Geld für die fünfköpfige Familie verdienen können.

In den letzten 15 Jahren haben 300’000 junge Menschen ihre Heimat verlassen.

«Ich möchte, dass die Grosseltern ihre Enkel nicht nur am Telefon sprechen und dass die Väter ihren Kindern an deren Betten gute Nacht sagen und nicht von jenseits der Grenze», so steht es auf seinem Wahlkampfzettel. Vor allem eine bessere Ausbildung brauche es dafür, sagt später der Mann vom vorderen Listenplatz, und überhaupt ein besseres Land. «Besser» ist der schlichte Slogan der KDH.

Die KDH ist nur eine von vielen Parteien, die zur Wahl am Samstag antreten. Nach der letzten Umfrage vor der Wahl wird sie kaum über sechs Prozent kommen. Vielleicht ist das der Grund, dass sie fünf Tage vorher noch tourt, während die Kandidaten der grösseren Parteien sich auf ihre Fernsehauftritte konzentrieren. Doch die KDH könnte ein Koalitionspartner in der nächsten Regierung werden.

Initiative: «Ich möchte hierbleiben, deshalb wähle ich»

Das Thema, das sie anspricht, beschäftigt jedenfalls viele in der Slowakei. Mehr als 300’000 junge Menschen sollen in den vergangenen 15 Jahren ins Ausland gegangen sein. Wobei, als richtiges Ausland empfinden sie Tschechien nicht – der ehemalige Bruderstaat mit seiner verwandten und vertrauten Sprache ist weiterhin das beliebteste Auswandererziel.

Deshalb gab es auch in der Prager Metro Aufforderungen, das Wählen nicht zu vergessen, heimzufahren oder rechtzeitig Briefwahl zu beantragen. Am Freitag rollen zwei Sonderzüge aus Prag und Brünn in die Slowakei, organisiert von einer Freiwilligenorganisation mit dem Namen «Verlier deine Stimme nicht».

Eine andere Initiative nennt sich «Ich möchte hierbleiben, deshalb wähle ich». Unterstützt wird diese etwa von der früheren Ministerpräsidentin Iveta Radicova. Im ganzen Land hat die Initiative seit Juli Konzerte und Diskussionen veranstaltet. Jede Stimme zählt.

Ex-Premier Fico tritt wieder an. Für seine Gegner ist er der Inbegriff des korrupten Mafiastaats.

So niedrig war die Wahlbeteiligung bei der Wahl im März 2020 allerdings nicht, immerhin fast 66 Prozent, und das unter Corona-Bedingungen. Doch es geht um viel, schon wieder. Denn einmal mehr steht Robert Fico zur Wahl. Der ehemalige Premier führt mit seiner Partei Smer SD die Umfragen an. Fico ist für seine Gegner in der Slowakei der Inbegriff des korrupten Mafiastaats, dreimal war er bereits Ministerpräsident.

Gegen ihn wurde immer wieder offiziell ermittelt, einmal wurde er festgenommen, vorgeworfen wurde ihm die Bildung einer kriminellen Vereinigung, zu einer Anklage kam es bisher nicht. Dass Fico wieder gewinnen könnte, löst auch bei den EU-Partnern Sorgen aus. Denn Fico wirbt mit prorussischen und antieuropäischen Reden um Stimmen. Dabei war die Slowakei bislang ein treuer und zuverlässiger Unterstützer der Ukraine.

BREZNO, SLOVAKIA - SEPTEMBER 25: Supporters attend a pre-election meeting of the Republic Movement (Hnutie Republika) far-right political party during their campaign ahead of Slovak parliamentary elections on September 25, 2023 in Brezno, Slovakia. Slovakia will hold elections on September 30 and so far the SMER party of former Slovak prime minister Robert Fico is in the lead. Fico is hoping to profit from pro-Russian sentiment in Slovakia and has vowed to end Slovak shipments of military aid to Ukraine. Should SMER win, the party will need a coalition partner and could well turn to Republic, who are currently in fourth place in polls. (Photo by Zuzana Gogova/Getty Images)

Das System Fico, das den Rechtsstaat und die Medienfreiheit gering achtet, habe überhaupt erst den Mord an dem Journalisten Jan Kuciak und dessen Freundin im Februar 2018 ermöglicht. So die Überzeugung derer, die Fico ablehnen. Kuciak hatte über zwielichtige Geschäftsbeziehungen in Ficos Umfeld und auch über ihn selbst recherchiert. Es gab Spuren zur italienischen ’Ndrangheta. Gegen ihn und seine Regierung gingen Zehntausende 2018 auf die Strasse, schliesslich trat Fico zurück, die Regierung blieb bis 2020 im Amt.

«Es ist wie eine toxische Beziehung», sagt Kristina Husakova. «Die Leute wissen, dass es nicht gut ist, aber sie haben solche Angst vor der Veränderung, dass sie lieber wählen, was sie kennen.» Husakova ist 26 Jahre alt, sie lebt in Zilina und will hierbleiben.

Gemeinsam mit Miroslava Haklova sitzt sie an einem Holztisch vor der Stanica in Zilina. Stanica, das heisst einfach Haltestelle. Doch seit 20 Jahren ist der alte Bahnhof am Rande der Innenstadt ein Kulturzentrum. Ausserdem gibt es hier das Young Office Zilina, eine Jugendorganisation. Solche Young Offices gibt es in vielen europäischen Städten, es ist eine Initiative der EU-Kommission. Miroslava und Kristina waren in Zilina von Anfang an dabei.

Ein korrupter, dysfunktionaler Staat

Und sie stehen hinter der Idee von «Ich möchte hierbleiben, deshalb wähle ich», auch sie haben sich an öffentlichen Diskussionen beteiligt. Für Miroslava, die sich Mima nennt, ist es die zweite Parlamentswahl. «Ich wähle PS», sagt die 20-Jährige. «Das sind die eEinzigen, die ökologische und LGBT-Themen haben.»

PS steht für Progresivne Slovensko, also progressive oder fortschrittliche Slowakei. Die Partei entstand aus der Protestbewegung gegen Fico nach dem Mord an Jan Kuciak und Martina Kusnirova. 2020 verpasste die PS noch den Einzug ins Parlament, nun liegt sie in Umfragen auf Platz zwei.

Drei klare Prioritäten hat die PS: einen «Neustart der Wirtschaft», Spitäler bauen und drittens «die gesellschaftliche Atmosphäre verändern, damit die Leute nicht fortgehen, sondern wieder zurückkehren».

Ein korrupter, dysfunktionaler Staat, aber vor allem Politiker, die sich anscheinend nur für ihre eigenen Vorteile interessieren, das habe viele junge Leute frustriert, sagt Miroslava. «Man fragt sich: Was hat das mit mir zu tun? Was tut dieser Staat für mich?» Dann geht man nicht wählen – oder wandert gleich aus. «Aber auch die Hassreden, die ständigen Angriffe auf die LGBT-Community verunsichern viele.»

Ein Kreuz für die Zukunft

Ausserdem habe die Slowakei zwar viele Hochschulen, aber die Abschlüsse seien wenig wert. Doch das ist es nicht allein. «Wir sollen nur auswendig lernen», sagt Kristina. Besonders in der Schule fehle der Raum für Diskussionen. «Und später fällt es den Leuten dann schwer, selbst eine kritische Haltung zu entwickeln.» Vielleicht seien Desinformationen, vor allem prorussische, deshalb so weitverbreitet in der Slowakei.

Auch Kristina Husakova will in jedem Fall am Samstag zur Wahl gehen. «Mein Vater hat mich gefragt, wen ich wähle», sagt sie. «Denn er will bei denselben Leuten sein Kreuz machen. Für meine Zukunft.»