Über das sinnlose Leben ohne HundWir Phantomschmerz-Hundemenschen
Unser Autor ist einer der Menschen, die sich einen Vierbeiner zulegen wollen, aber das reinen Gewissens nicht können. Ein Schmerzensbericht.

Mein Umfeld ist voll mit diesen Menschen. Und wenn ich meinem Umfeld Glauben schenken darf, ist auch deren Umfeld voll davon. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch in deren Umfeld sich viele Menschen befinden dürften, die … kurz: Es dürfte sich um einen unentdeckten Umstand pandemischen Ausmasses handeln. Die westliche Welt – ja, in dieser Grössenordnung denke ich mittlerweile – ist voll von Menschen, die unter einem Phantomschmerz leiden: nämlich sich eigentlich einen Hund nach Hause holen zu wollen, aber genau das nicht zu können, weil es das Leben nicht erlaubt.
Das Leben heisst: Der Vermieter lässt es nicht zu. Die Wohnung ist zu klein für einen auch nur mittelgrossen Hund. Der Arbeitgeber erlaubt es nicht, einen Hund ins Büro mitzubringen. Andere wiederum trauen sich die Verantwortung für ein solches Geschöpf nicht zu. Oder fragen sich: «Schränkt mich ein Hund nicht zu sehr ein?» Wieder andere wohnen allein oder sind single – wohin nur mit dem Hund, wenn man auf einer Reise ist? Und die Eltern, denen man mal eine Woche einen Hund geben könnte, wohnen zu weit weg, sind zu alt – oder schon verstorben. Manche sagen auch, ein Hund sei einfach zu teuer.
Das sind nur ein paar der Gründe, die meine Freunde, Bekannte und Kolleginnen davon abhalten, einen Hund zu kaufen – obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschen. Bei mir selbst ist es eine Mischung aus vielen der oben genannten Gründe, weswegen ich verzichte.
Ich spreche also von dem sogenannten Hunde-Phantomscherz. Viele Menschen kennen ihn, reden tut keiner darüber. Ich möchte das ändern.
Kurze persönliche Bestandsaufnahme daher: Aufgewachsen bin ich unter Tieren, meine Grosseltern hatten einen Bauernhof. Dort fuhr mich früher eine kleine Sau im Kreis, ich – zwei, drei Jahre alt – hinten auf dem Holzanhänger. Vermutlich bellte uns Branko an dabei, der erste Hund, an den ich mich erinnern kann, der Hofhund. Im Stall dahinter standen Kühe mit ihren warm-feuchten, dampfenden Nasen. Auch sie liebte ich; genauso wie die Hasen in den Ställen meines Grossvaters, und auch meine Schwester hatte welche.
Ich war auch eines dieser Kinder, die sich nichts sehnlicher wünschten als einen eigenen Hund. Blöd nur: Ich hatte eine Mutter, die – trotz Bauernhof – keine grosse Bindung zu Tieren aufbringen konnte. Mein «Glück» war diesbezüglich, dass sich meine Eltern hatten scheiden lassen. Und plötzlich dachte sich mein Vater, hol dem Kind einen Hund. Natürlich ohne meine Mutter zu fragen; was weder ich noch alle Tierschutzorganisationen, die mir bekannt sind – zuletzt der Schweizer Tierschutz STS und das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen –, empfehlen und ich daher strengstens ablehne. Aber für mich als Kind war es das Grösste. Ich hatte ein kleines schwarz-glänzendes Fellbündel unter dem Weihnachtsbaum.
Ich bin in einem Einfach-mal-machen-Milieu aufgewachsen, und in den Achtzigerjahren waren Familien wie meine auch Lichtjahre entfernt von den Sensibilisierungen der Gegenwart. Vermutlich hiess mein Hund deswegen auch nicht wie die heutigen Vierbeiner, die Emma oder Sammy gerufen werden, sondern Wastl.
Und so bin ich fast zwanzig Jahre lang mit einem Hund aufgewachsen. Einer, der für mich wie der Bruder war, den ich nie hatte. Wir rumpelten durch die Gegend, wir tollten uns aus, spielten nicht nur Fussball, sondern fuhren auch Schlitten zusammen und schliefen nebeneinander. Als er, angeblich eine Dackel-Pudel-Spitz-Mischung, älter wurde, ertrug ich seine Fürze und fand sie zwar nicht lieblich, aber irgendwie wohlig – kurz, ich war blind vor Liebe. Und mein Hund dürfte ähnlich gefühlt haben. Wenn der andere nicht da war, hatten wir weniger Appetit.

Heute liegt er in einer Decke eingewickelt. Mein Onkel und ich bestatteten ihn unter einem Obstbaum. Das ist über zwanzig Jahre lang her. Nicht täglich, aber mehrmals die Woche denke ich an ihn oder wie es mit ihm war. Er war das loyalste Geschöpf, das ich – neben meiner Grossmutter – kennen lernen durfte. Ich liebe ihn noch immer.

Nach ein paar Trauerjahren, seit ungefähr zehn bis fünfzehn Jahren, überlege ich mir nun, mir seinen Nachfolger anzulächeln. Es spricht, die eingangs benannten Gründe, aber immer was dagegen. Mein Studium, meine Arbeit führten und führen mich in immer andere fremde Städte und Länder – ich lernte neue Menschen kennen; aber ein Hund blieb mir verwehrt. Oder eher: verwehrte ich mir.
Doch ich suchte mir für mein Hundeleben ohne Hund Surrogate, kleine tierische Aushilfen – überall wo ich lebe, leben auch Tiere. Nachbarskatzen, etwa Hungry, hängen bei mir gern in der Wohnung ab, manchmal chillte da auch Lola, die Hündin eines befreundeten Nachbarn. Sie trottete immer vorbei, wollte ihren Bauch gestreichelt haben, um dann auf meinem Sessel zu dösen, eine alte Beagle-Dame. Ihr streng-süsslicher Geruch erinnerte mich an Wastl. Vergangenes Jahr starb sie an Krebs.

Mein Phantomschmerz ging sogar so weit, dass ich einmal ein Eichhörnchen mithilfe eines prominenten Wildlife-Fotografen anlockte. Wenn ich im Sommer Fernsehen schaute, hopste es in die Wohnung und schaute mich fragend an: «Wo sind die Nüsse?» Ich nannte es Sam, da ich nicht wusste, welches Geschlecht es hatte. Erst als ich auf meiner Fensterbank vier kleine Baby-Eichhörnchen begrüssen durfte, wusste ich: Sam ist eine Mutter.
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So wie Sam damals – ich baute ihr ein Nest auf meiner Fensterbank – versorge ich heute meine Tier-Surrogate. Hungry bekommt ab und an einen Snack, genauso wie ihre noch namenlose dreibeinige Freundin, die sie oft mitbringt. Die Zürcher Spatzen dürften meine Futterstelle im Garten auch als eine ihrer, na ja, Kern-Ziele in ihrem Navi abgespeichert haben. Manchmal fühle ich mich dabei, der hier nun seinen Tier-Spleen offenbart, wie diese Taubenfrau aus «Kevin allein in New York», weltentrückt.
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Nur, in den vergangenen Jahren helfen mir all diese Tierchen auch nicht mehr. Mein Verlangen wird dringlicher. Ich möchte eine echte Beziehung, zu einem Hund.
Die Menschen um mich, etwa Bürokolleginnen, lindern ihren Hunde-Phantomschmerz, indem sie sich Katzen zulegen, meistens zwei. Diese Tierwesen können auch mal längere Zeit ohne den Menschen sein, sind selbstständiger, weniger anspruchsvoll als ein Hund. Katzen sind für mich nicht die Lösung – auch weil die meisten der Katzen, die ich kennen lernen durfte, eher eine Ich-AG als eine «Partnerschaft» zwischen Tier und Mensch waren (zudem habe ich ja schon das Konzept der nachbarschaftlichen Zugehkatze für mich entdeckt).

Auch das, was ich scherzhaft «Tier-Porn» nenne, hilft nicht mehr weiter, das das Liken von Tiervideos auf Instagram. Maximal spüre ich noch einen leichten Dopaminstoss, aber wirklich nur: maximal. «Tier-Tinder» bedrückt mich dagegen mittlerweile eher: Auf den Seiten der Schweizer Tierheime und Rettungen schaue ich mir immer wieder Hunde an. Sie heissen Zuzy, Bubu und Nala. Und einer ist oft süsser als die andere.
Aber am Ende bleibt Frust: Ich schaffe es nicht, zu sagen: Her damit! Und das, obwohl ich alle nach rechts wische. Die Ecke in meinem Wohnzimmer, die für ein Hundeplätzchen – ja, so weit plane ich schon – vorgesehen ist, bleibt also weiterhin frei. Der Phantomschmerz wächst. Mein Herz dürfte deswegen eine Ecke so gross, schwarz und dunkel haben wie Mordor.
Gibt es einen Ausweg für uns Hunde-Schmerzwesen?
Nun, ich denke seit Jahren über Therapieformen nach. Die eine wäre, ich bilde eine Art Hundegenossenschaft mit mehreren Menschen im In- und Ausland. Mal ist er hier, mal ist er dort. Wir alle sind für unseren Hund zuständig, eine Art Animal-Patchworkfamilie. Ein weiterer Therapieansatz wäre: Ich führe für ein Tierheim fremde Hunde aus. Zudem überlege ich, ob ich im Supermarkt einfach an diesen Pinnwänden eine Annonce «inserieren» sollte. «Hundeerfahrener Mann sucht Ausgehhund». Sanija Ameti, hatte ich gelesen, therapiert sich auch gerade so (aus anderen Gründen und vermutlich ohne Geld dafür zu bekommen), um wieder unter Leute zu gehen.

All die Therapieformen haben eines gemeinsam: Es wäre nicht mein Hund. Diese therapeutischen Auswege dürften daher mittel- bis langfristig mein Herz noch weiter verhärten lassen, den Bereich Mordors ausdehnen.
Was ich vielmehr brauche, ist eine echte Bindung, mein Hund und ich.
Neulich habe ich bei einem meiner Spazierrunden ohne Hund einen Bücherstapel entdeckt. Dort fand ich das Buch «On Loving Animals», die holländische Fotografin Isabella Rozendaal fotografierte dort Tierbesitzer, und ihre Bilder zeigen die oft irrationale Beziehung zwischen Mensch und Tier. In ihrem Vorwort schreibt sie: «Die wenigen Tiere, die unsere Zuneigung erwidern, sind unserer unsterblichen Liebe unterworfen und nehmen einen so besonderen Platz in unserem Leben ein, dass sie fast genauso wichtig oder manchmal sogar wichtiger als die Menschen in unserem Leben sind.» Ich kann das gut verstehen, Wastl war so ein Tier in meinem Leben. Ich wollte ihn nie verlieren: Einmal bretterte ich, er war älter geworden und hatte einen Herzinfarkt, mit 180 km/h über die Landstrasse, zur Ärztin. Doch auch Hundeleben sind endlich.

Wie nun enden?
Ich gebe mir maximal noch ein bis zwei Jahre, also ohne Hund. Aber sage ich das nicht schon Jahre? Was aber – die Beziehung Hund zu Mensch ähnelt jener Mensch zu Mensch –, wenn es nicht passt? Nicht jeder Wastl ist ein Wastl.

Wir Phantom-Hundeschmerz-Menschen müssen uns zwingen, nicht mit zu vielen Gedanken und Vorbehalten an die Sache ranzugehen, sonst wird das nie was. Ich habe daher schon längst eine Entscheidung getroffen, unter Kundigen heisst sie «Adopt, don’t shop». Ich werde einen Hund aus einem Tierheim oder aus einer Tierrettung im In- oder Ausland adoptieren, mir nicht einen «neuen» Hund in den Warenkorb legen.
Die Tiere in den Heimen haben ein besseres Leben verdient. Und sie ähneln somit mir, wir brauchen einander: bald.
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