Kolumne «Fast verliebt»Single Bells
Wie Alleinstehende vor Weihnachten den Endzeitdruck aushalten, ohne dem nächstbesten Samichlaus in die Arme zu hüpfen.
«Jetzt mach mal vorwärts, ich muss raus, mich zeigen!», sagte meine Freundin, die mich übers Wochenende besuchte. Sie hatte viele Stunden im Bus gesessen, aber jetzt, spät am Freitagabend, mussten wir noch auf den Weihnachtsmarkt. «Wer weiss, vielleicht finde ich da einen Mann», sagte sie, und ich lachte, denn ich hielt es für einen Scherz. Am Glühweinstand spähte sie aber tatsächlich jeden Typen aus, als wartete sie auf ein Blind Date.
Meine Freundin ist Mitte 30 und hat Paarungsstress. Er wird, wenn das Jahr endet, zu Panik. Wir stehen in der S-Bahn, reden über die Arbeit, da sagt sie völlig unvermittelt: «Früher wurde man in der S-Bahn angesprochen, jetzt kleben alle am Handy – wie soll man da jemanden finden?»
Ich fühle mit ihr. Die wenigsten Single-Frauen über 30 freuen sich darauf, an Weihnachten zu den Eltern zu fahren und im Dorf von der übergriffigen Nachbarin gefragt zu werden, wo der Mann sei und ob sie wenigstens Eier eingefroren hätte. Die kuschlige Weihnachtszeit macht viele Singles so verletzlich und verzweifelt wie nie. Selbstbewusstsein, Gelassenheit und ein kühler Kopf – Eigenschaften, die man für das Treffen guter romantischer Entscheidungen braucht – gehen jetzt leider weitgehend flöten.
Hinzu kommt dieser komische, allgemeine und mysteriöse Endzeitdruck, der sich Jahr für Jahr aufs Neue einstellt. «Es war Freitag, der 31. Dezember, und ich musste noch was erledigen. Also alles», schreibt Nele Pollatschek in ihrem neuen Roman «Kleine Probleme». So geht es jedem von uns ein bisschen, oder? Wer ein Haus gebaut hat, will unbedingt noch vor Weihnachten einziehen. Andere glauben, sie müssten noch den Dachboden ausmisten oder ihren Bürokram auf Stand bringen. Und Singles hoffen halt, doch noch irgendwen zu finden, den sie über die Feiertage den Eltern vorstellen können. Es ist, als lebte in jedem von uns ein kleiner Zeuge Jehovas, der insgeheim glaubt, zum Jahresende ginge die Welt unter, diesmal bestimmt.
Im Advent folgen Impulspaarungen leider nur noch der Logik vom Last-Minute-Geschenkkauf.
In der Realität sieht es aber so aus: Was man bis November an grossen Dingen im Leben nicht geschafft hat, wird man ziemlich sicher auch jetzt, auf den letzten Metern, nicht mehr schaffen. Da kann man auch gleich etwas früher in den Feierabend gehen. Was die Suche nach der grossen Liebe angeht, stimmt das umso mehr. Im Advent folgen Impulspaarungen leider nur noch der Logik vom Last-Minute-Geschenkkauf zweier Billigwollmützen zum Preis von einer: Gefällt am Ende niemandem wirklich, führt nur zu grossem Kopfkratzen.
Wann, wenn nicht jetzt, ist Zeit für Lebkuchen, Ruhe, Einkehr? Und für eine entschiedene Pause vom Datingstress? Das nächste Jahr kommt ganz bestimmt. Und mit ihm viele Möglichkeiten, dem Leben und der Liebe mit neuer Kraft zu begegnen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.