Kolumne «Fast verliebt»Reuige Polys
Wenn es nach Jahren der Viellieberei doch wieder die Monogamie sein darf.
Vor einigen Jahren öffnete eine meiner Freundinnen ihre feste Beziehung für andere Menschen und erklärte mir, warum Monogamie eine Illusion sei. Es ging ihr dabei vor allem um die menschliche Natur, oder um ihre menschliche Natur, die sie für universell hielt.
Sie stellte mir Fragen, die eher rhetorisch klangen: «Bist du denn nicht neugierig auf andere Menschen, willst du dich nicht auch mal in andere verlieben?» Oder, etwas höhnischer: «Glaubst du wirklich, dass das möglich ist: Für immer zusammen sein und ewige Treue?» Sie wusste die Antworten schon, bevor sie fragte: Natürlich begehrte ich auch andere. Natürlich war ewige Treue ein Ammenmärchen.
Da stand ich also auf verlorenem Posten mit meinem Kleinmädchen-Glauben an die Monogamie. Ich musste einen Kniff anwenden, um in ihren Ohren wenigstens halbwegs glaubwürdig zu klingen: «Vielleicht hat Disney mich verdorben für die Realität», sagte ich defensiv, «aber ich will tatsächlich nur mit meinem Mann zusammen sein, der mir sehr kostbar ist und mit dem ich auch genug beschäftigt bin, um keinen zweiten zu brauchen. Und ja, auch wenn das naiv klingt: Ich glaube an die Treue.»
Aber ist es wirklich naiv, auf Monogamie zu setzen?
Viele aufgeklärte Grossstädter werden jetzt nicken: Na klar, der Samichlaus ist für Kinder, was die Monogamie für evangelikale Christen und für Schwäne ist. Alle anderen sind erwachsene Menschen.
Statistiken zufolge ist diese abgeklärte Haltung aber gar nicht so rational: Tatsächlich geht im Lauf seines Lebens nur etwa jeder dritte Mensch fremd. Was nicht heisst, dass der Seitenspringer oder die Seitenspringerin in jeder Beziehung untreu sein wird, vielleicht leben manche von ihnen später auch mal glücklich monogam.
Ist die freie Liebe das eigentliche Ammenmärchen und nicht die Monogamie?
Nicht einmal was den Sex betrifft, scheinen offene Beziehungen zwangsläufig besser zu sein als monogame, im Gegenteil: Befragungen zufolge sind monogam lebende Menschen im Bett häufiger zufrieden als solche, die in offenen Beziehungen leben.
Ist die freie Liebe also das eigentliche Ammenmärchen und nicht die Monogamie? Sind wir am Ende des Tages vielleicht doch eher Schwäne? Menschen legen sie nicht umsonst in Form von verknoteten Handtüchern als Glücksbringer auf Flitterwochenbetten: Sobald diese Tiere ihren Schwan fürs Leben gefunden haben, leben sie tatsächlich absolut monogam, bis dass der Tod sie scheidet.
Mittlerweile hat meine Freundin offenbar noch mal über ihre menschliche Natur nachgedacht. Nachdem ihre offenen Beziehungen nicht funktionieren wollten, glaubt sie heute an Monogamie und erklärte mir jüngst, Polyamorie sei etwas für Menschen mit «unsicherem Bindungsmuster». So weit würde ich gar nicht gehen wollen, aber wer bin ich, ihr zu widersprechen. Ich drücke ihrem inneren Schwan einfach fest die Daumen, genau wie ihrem inneren Hippie damals.
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