Leitartikel zu Wetter und Klima im SommerSieht so die Apokalypse aus?
Die Wetterextreme werden diesen Sommer vielerorts zur existenziellen Bedrohung. Die starke Symbolkraft der Ereignisse darf nicht für politische Zwecke missbraucht werden.
Es brennt in Europas Süden. Rhodos, Korfu, Euböa und Sizilien stehen in Flammen. Es brennt in der Schweiz. Beim Walliser Dorf Bitsch ist Wald auf einer Fläche von 140 Fussballfeldern zerstört worden.
Es stürmt in La Chaux-de-Fonds. Eine Fallböe mit Windspitzen von 217 Stundenkilometern hat innert fünf Minuten Häuser zerfetzt, Menschen verletzt und sogar getötet. Es hagelt in der Lombardei. Hagelkörner, so gross wie Tennisbälle, haben schwere Schäden an der Infrastruktur angerichtet.
Es herrscht erdrückende Hitze im Mittelmeerraum. Auf weit über 40 Grad sind die Temperaturen gestiegen; das Meer ist so heiss wie noch nie seit Messbeginn.
Im Tagesrhythmus erreichen uns zurzeit Nachrichten zu Wetterextremen in Europa und auf der ganzen Welt. Es ist das grosse Thema dieses heissen Sommers.
Die starke Symbolkraft dieser Ereignisse macht sie missbrauchsanfällig für politische Kampagnen.
Die Bilder der vor Rauchwolken fliehenden Touristen legen einen scharfen Kontrast offen. Hier der zwanglose Hedonismus der Feriengäste, da die existenzielle Bedrohung durch die züngelnden Flammen – die Sicherheit der Zivilisation ist brüchig. Unweigerlich drängen sich biblische Analogien auf. Ist das die Strafe für die fröhliche Unbekümmertheit über den Zustand der Welt? Ist hier, auf dieser Erde, in diesem Sommer etwas ganz grundsätzlich aus dem Lot geraten? Sind die Flammen, die Stürme, die Hagelbälle, die Extremtemperaturen gar Vorboten der nahenden Apokalypse?
Die starke Symbolkraft dieser Ereignisse macht sie missbrauchsanfällig für politische Kampagnen. Für den Klimastreik oder Renovate Switzerland ist die Apokalypse tatsächlich nah, und die Schweiz hat in La Chaux-de-Fonds den ersten offiziellen Klimatoten zu beklagen. Schuld sind aus deren Sicht die Reichen, die Grosskonzerne, die Unersättlichen, die mit ihrem grenzenlosen Konsum den Klimawandel beschleunigen. Schuld sind eher nicht einzelne Personen, die sich für das Klima an die Strasse kleben und gleichzeitig Langstrecke fliegen (wie der medial überführte Pressesprecher von Renovate). Es ist argumentativ kompliziert.
Klimawandel-Skeptiker und rechte Kreise hingegen trauen den dramatischen Bildern nicht und treten in den sozialen Medien laufend den angeblichen Gegenbeweis an. Zum Beispiel, dass die verbrannte Waldfläche viel kleiner sei als von den Medien kolportiert. Oder dass die Meteorologen viel höhere Temperaturen prognostiziert hatten, als eingetreten seien. Den Behörden sei nicht zu trauen, sie schürten Klimapanik, das Ausmass der Ereignisse sei inszeniert, behauptet etwa die «Weltwoche».
Seht her, ihr Schuldigen – es ist der Klimawandel! Traut den Panikmachern nicht – es ist nur das Wetter! Es ist dies die unterkomplexe Diskussion zu einem überkomplexen Thema.
Brandstiftung und Nachlässigkeit gelten als weitaus häufigste Ursache, wenn der Wald in Flammen aufgeht.
Denn so einfach, wie es jetzt allerlei Besserwisser darstellen, ist die Situation nicht. Weder apokalyptische Szenarien noch schamlose Leugnung sind angebracht. Wetter- und Klimaexperten sind sich einig: Grundsätzlich sind die Häufung und die Intensität extremer Wetterereignisse auf den Klimawandel zurückzuführen. Aber nicht alle der aktuellen Wetter- und Umweltkapriolen treten wegen des Klimawandels auf.
Ein Beispiel: Die Waldbrände in Südeuropa sind mit allergrösster Wahrscheinlichkeit menschengemacht. Brandstiftung und Nachlässigkeit gelten – auch in der Schweiz – als weitaus häufigste Ursache, wenn der Wald in Flammen aufgeht. Der Klimawandel lässt die Bäume nicht einfach aus dem Nichts lodern, wie nun teilweise suggeriert wird. Wie rasch und grossflächig sich das Feuer ausbreitet, hängt aber unter anderem von der Trockenheit und insofern auch von der Hitze ab. Das Ausmass der Brände wird also durch den Klimawandel begünstigt, die Kausalität hingegen ist falsch.
Lösungen liegen denn auch nicht primär im komplexen systemischen Bereich, sondern ganz konkret bei der Verhaltensprävention und gezielten Schutzmassnahmen wie schlechter entflammbaren Mischwäldern oder besserem Risikomonitoring, wie es etwa das Tessin bereits vorbildlich betreibt.
Griechischer Ministerpräsident spricht von «Krieg gegen die Klimakrise»
Beispiel zwei: Heftige Gewitter wie die Fallböe von La Chaux-de-Fonds sind im Sommer in der Schweiz nicht ungewöhnlich. Gerade der Jura ist topografisch anfällig dafür. Die verstorbene Person als Klimatoten zu bezeichnen, ist daher geschmacklos und unredlich. Aber auch solche Ereignisse werden durch steigende Temperaturen und den vermehrten Wasserdampf in der Atmosphäre begünstigt. Insofern könnten sie künftig häufiger auftreten.
Eindeutig ist der Fall hingegen bei der Hitze. Noch nie seit Aufzeichnungsbeginn war ein Juli global so heiss wie der laufende Monat. Wegen des Klimawandels werden Hitzewellen wie in den letzten Wochen häufiger – eine belegbare Kausalität.
Eine Chance für die betroffenen Länder
Das schreckt nun auch die Politik in den tourismusabhängigen Ländern Südeuropas auf. Lagerübergreifend ist man sich einig, dass es Gegenmassnahmen braucht, um als Reiseziel, ja als Lebensort attraktiv zu bleiben. Von einem «Krieg gegen die Klimakrise» spricht der konservative griechische Ministerpräsident Mitsotakis. «Tropicalizzazione» nennt es Zivilschutzminister Sebastiano Musumeci von den Fratelli d’Italia, also den Wechsel Italiens in die tropische Klimazone. «Wenn wir so weitermachen, werden wir noch viele Tote betrauern», warnt er.
Bestenfalls ist der extreme Sommer 2023 eine Chance für die betroffenen Länder. Sie müssen jetzt rasch und entschlossen in den Hitzeschutz investieren: in die Begrünung der Innenstädte, in die Erneuerung hitzeempfindlicher Infrastruktur wie etwa Stromkabel – und in die zeitliche Ausweitung der touristischen Angebote. Denn auch Reisebranche und Feriengäste müssen umdenken. Für viele wird die Hochsaison am Mittelmeer künftig zu heiss sein. Dafür ist das Wetter im Sommer in der Schweiz beständiger. Man kann den einst lebensfrohen italienischen oder griechischen Sommer betrauern. Oder man kann einen Beitrag leisten – und die Ferien in den Frühling oder Herbst verlagern.
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