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Jörg Kachelmann im Interview
«Ich würde mich vielleicht auch auf die Strasse kleben, wenn ich 45 Jahre jünger wäre»

«Bei manchen Debatten fühle ich mich ins Frühmittelalter zurückversetzt»: Jörg Kachelmann im Gespräch über die Waldbrände in Griechenland.
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Herr Kachelmann, wir erleben einen Sommer der Wetterextreme – und Sie regen sich fürchterlich über die öffentliche Debatte auf. Was macht Sie so wütend?

Ich bin nicht wütend, ich bin nur engagiert. Die Debatte läuft medial in eine falsche Richtung – und das kritisiere ich in aller Deutlichkeit. Wir erleben derzeit neue Dinge. Vor der Küste in Miami wurden Wassertemperaturen von über 38 Grad gemessen. Und die Medien zeigen Bilder von brennenden Wäldern in Rhodos und tun so, als ob diese Feuer etwas mit dem Klimawandel zu tun hätten!

Stimmt es denn nicht, dass sich die Feuer schneller ausbreiten, wenn die Sommer infolge des Klimawandels trockener werden?

Auf Rhodos beträgt der durchschnittliche Niederschlag im Juli 0,0 Millimeter, es ist dort jedes Jahr waldbrandtrocken, schon immer. Darum fliegen ja all die bleichen Touristen dorthin. Ob es zu einem Waldbrand kommt, hängt einzig und allein davon ab, ob irgendein Mensch dort Feuer legt – absichtlich oder fahrlässig. Der Klimawandel führt zu höheren Temperaturen. Doch bei 40 Grad beginnt ein Wald nicht schneller zu brennen als bei 0 Grad. Dass das viele Leute noch nicht verstanden haben, ist verheerend. Bei manchen Debatten fühle ich mich ins Frühmittelalter zurückversetzt.

«Man macht den Klimawandel nicht bedeutender, indem man Dinge dazulügt.»

Zum Beispiel?

Wenn in gewissen Medien darüber orakelt wird, ob sich der Wald selbst entzündet hat oder ob möglicherweise ein Gurkenglas oder Glasscherben schuld waren. Fakt ist: Vegetation brennt erst bei 250 bis 300 Grad. In den USA gibt es das Maskottchen «Smokey the Bear», das neben Autobahnen warnt: «Only you can prevent wildfires», also: «Nur du kannst Waldbrände verhindern». Diese Kommunikation fehlt in der Schweiz fast gänzlich. Man glaubt lieber an Hokuspokus.

Lassen Sie uns über ein paar aktuelle Ereignisse sprechen. In La Chaux-de-Fonds forderte ein heftiger Sturm am Montag ein Todesopfer. In den sozialen Medien war vom ersten Klimatoten der Schweiz die Rede. Ist diese Aussage zulässig?

Das ist fast schon eine philosophische Frage. Im Jura kommt es aufgrund der Topografie vergleichsweise häufig zu extremen Wetterereignissen. In diesem Fall war es ein Downburst, in der Vergangenheit entkam die Region nur knapp einer Katastrophe durch einen Tornado. Korrekt ist aber: In einer Welt, in der die Temperaturen steigen und mehr Wasserdampf in der Luft ist, wird es häufiger solche Ereignisse geben. Wir können darum lange darüber philosophieren, ob dieser Sturm jetzt ein Klimasturm war – und sein Opfer in der Folge ein Klimatoter. Denn die Gewitter sind leider nicht angeschrieben.

Was ist mit den Bildern, die uns in den letzten Tagen aus Italien erreichten? Aufnahmen aus Seregno, rund 20 Kilometer nördlich von Mailand, zeigten, wie Eisschollen durch die Stadt trieben.

Das waren keine Eisschollen, sondern so sieht es halt aus, wenn es viel gehagelt hat. Ja, es waren aussergewöhnlich grosse Hagelkörner, und ja, wie sie so zusammengeschoben durch die Stadt gespült wurden, sah das spektakulär aus. Auch hier gilt wieder: Hagel im Sommer ist an sich nichts Aussergewöhnliches. Solche Ereignisse werden aber häufiger werden.

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Schon seit Monaten ist eine extreme Erwärmung der Weltmeere zu beobachten. Sie sagen: Wassertemperaturen, wie wir sie aktuell in Miami, aber auch in Sizilien sehen, gab es noch nie. Was sind die Konsequenzen?

Eine Wassertemperatur von 38,4 Grad ist furchtbar. Es sterben die Korallen, die Fische, das ganze Ökosystem gerät ins Wanken. Das wird existenziell auch für uns Menschen. Und doch reist kein Tourist aus Florida ab, weil sich das Bad im Meer seltsam warm anfühlt. Keine Journalistin hält ihm das Mikrofon vor die Nase. Der Tourist auf Rhodos, der mit dem Köfferli vor einer grossen schwarzen Rauchwolke flüchtet, gibt halt optisch mehr her. Das tut mir weh. Noch schwieriger wird es, wenn es um die Feuchtkugeltemperatur in Indien geht.

Ein Mann trägt ein Kind, als er am 22. Juli ein Waldbrandgebiet auf Rhodos verlässt.

Also um die Frage, bis zu welcher Temperatur sich der Mensch überhaupt noch abkühlen kann durch Schwitzen.

Ja. Wir sehen in Indien derzeit Temperaturen, bei denen das nicht mehr lang zu schaffen ist. Jedenfalls nicht im Freien. Selbst in den USA werden gewisse Bundesstaaten aufgrund der hohen Feuchtkugeltemperatur wohl irgendwann nicht mehr bewohnbar sein. Aber auch darüber redet man kaum, es klickt nicht gut – und fragt sich lieber, wohin der Schneidermeister Muggli umgebucht wird.

Sie gehen auf Twitter recht unzimperlich um mit Menschen, die sich unpräzis zur Klimathematik äussern – auch wenn es sich um Personen handelt, die Ihre Sorgen teilen.

Man macht den Klimawandel nicht bedeutender, indem man Dinge dazulügt, die nichts mit ihm zu tun haben. Im Gegenteil: Wenn man unwissenschaftlichen Hafechäs von der «guten» Seite zulässt, legitimiert man unwissenschaftlichen Hafechäs auf der anderen Seite. Ich denke an Menschen aus dem rechten Lager, die irgendwann mal was über Grönland als Grünland gelesen haben und schwurbeln: Seht her, dort war es in der Vergangenheit auch mal warm. Man muss nicht Waldbrände auf Rhodos als klimabedingt umdichten, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Situation desolat ist. Es liegen ja alle Fakten auf dem Tisch. Eigentlich reicht es schon, wenn man sich die Entwicklung der Gletscher anschaut. Mehr muss ich nicht wissen, um mir grösste Sorgen zu machen.

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Gemäss dem jüngsten Wahlbarometer ärgern sich viele Leute mehr über die sogenannten Klimakleber als über unseren Umgang mit dem Klimawandel. Können Sie sich das erklären?

Na ja, ich habe in meiner Jugend selber rot-weisse Trassierbänder durch Schrebergärten gezogen, um neue Strassen zu verhindern, und nachts Velostreifen auf Strassen gemalt, weil es keine gab. Ich kann nicht ausschliessen, dass ich mich selber auf Strassen kleben würde, wenn ich 45 Jahre jünger wäre. Dennoch bin ich mir fast sicher, dass die Aktionen wenig bringen, weil sie eben die falschen Leute hässig machen.

«Wir müssen Regierungen nerven, die entscheiden.»

Welcher Ansatz wäre sinnvoller, um eine wirksame politische Debatte in Gang zu setzen?

Wir müssen Regierungen nerven, die entscheiden. Grundsätzlich bin ich leider sehr pessimistisch, ob wir es schaffen werden, rechtzeitig zu handeln, in der Schweiz wie auch anderswo. Es wird so viel bildungsferner Unsinn erzählt über den Klimawandel von allen Seiten. Die Corona-Pandemie zeigte mir, wie wissenschaftsfern auch in der Schweiz viele Menschen ticken. Auf eine Revolution von unten habe ich darum überhaupt keine Hoffnung. Wenn überhaupt, wird eine Veränderung top-down passieren. Die Regierung müsste Verantwortung übernehmen, weitsichtig sein, die existenzielle Bedrohung des Landes anerkennen. Aber davon sind wir weit entfernt.

Sie kritisieren die selektive Berichterstattung über Wetterereignisse in Feriendestinationen. Aber können nicht genau solche Erlebnisse auch ein Weckruf sein?

Das glaube ich nicht. Die Leute fahren ja trotzdem nach Süditalien, weil das Wasser dort wärmer ist als am Mythenquai. Man hält sich tagsüber in der gekühlten Hotellobby auf und findet es toll, am Abend kein Pullöverli anziehen zu müssen. Wir müssen akzeptieren: Vielen Leuten ist der Klimawandel im realen Leben wurscht.

«Ich würde alles mit Solarpanels überziehen.»

Sind Sie eigentlich noch politisch aktiv? Sie waren einmal Mitglied der CVP – richtig?

Ich war mit 18 bei der SP und habe dort gegen die A4 im Kanton Schaffhausen gekämpft. Ein Parteigenosse kämpfte auf der anderen Seite, dann bin ich ausgetreten. Später versuchte ich es im Appenzellerland beim sozialgrünen Flügel der CVP, aber war dann doch nur eine Karteileiche. Ich will schon mein ganzes Leben lang die Welt verändern und wäre gern Politiker geworden.

Was würden Sie denn tun, wenn Sie in der Schweiz das Sagen hätten?

Ich würde alles mit Solarpanels überziehen: Autobahnränder, Gewerbeflächen, ausgewiesene Teile der Alpen, Strom erneuerbar und billig machen. Ich würde sagen, dass wir diese Kompromisse im Landschaftsschutz eingehen können, weil wir eben nicht den Fünfer und das Weggli haben können. Ich würde der Bevölkerung zeigen, was eine Wärmepumpe kann – nämlich nicht nur wärmen, sondern im Sommer auch kühlen. Das wird wichtig sein. Genauso wie wir im Winter heizen – aber ohne etwas zu verbrennen –, werden wir nicht darum herumkommen, im Sommer zu kühlen. Dass Spitäler und Altersheime heute nicht gekühlt sind, ist ein zynischer Witz.

Sie haben Kinder. Machen Sie sich Sorgen um ihre Zukunft?

Ja, klar. Ich überlege mir oft, wo der Kleine in Zukunft leben soll, damit er möglichst lange keinen Ärger hat. Das ist egoistisch, und ich kann mir diese Gedanken nur aus einer privilegierten Situation machen. Andere Menschen werden fliehen müssen, weil deren Umweltbedingungen nicht mehr überlebbar sind. Am Ende gehen wir alle schwierigen Zeiten entgegen.

Gibt es auch etwas, was Ihnen Hoffnung macht?

Meine minimale Hoffnung ist, dass die ganz grossen CO₂-Emittenten – die USA und China – aus ökonomischen Gründen auf Wind und Sonne setzen, Motivation wurscht, das Ergebnis zählt. Die Schweiz wird dazu keinen Beitrag leisten. Wir verlorenen Seelen setzen auf Holz und Pellets, die noch klimaschädlicher sind als Öl, Gas und Kohle.