Neue US-WettbewerbshüterinSie soll die Macht der Techmonopole sprengen
20 Jahre schauten die USA dem Aufstieg von Amazon, Facebook und Google untätig zu. Nun gehen neue Kartellwächter mit voller Kraft gegen die grossen Techfirmen vor.
Es ist ein klares Zeichen. US-Präsident Joe Binden hat den ersten Tatbeweis erbracht, dass er die wirtschaftlichen und sozialen Schäden der Social-Media-Plattformen ernst nimmt. Das verdeutlicht eine besondere Personalie. Er ernannte die 32-jährige Lina Khan zu Chefin der US-Wettbewerbsaufsicht Federal Trade Commission. Die Behörde hat es in den letzten 20 Jahren konstant verpasst, die Übermacht von Facebook und Google zu kontrollieren und einen echten Wettbewerb zu schaffen. Das Versäumnis hat für Khan einen klaren Grund: «Die Kartellgesetze waren in einer tiefen Eiszeit begraben.»
Für Khan ist die neoliberale, lockere Auslegung der Kartellgesetze, die mit Präsident Reagan begann und mit Präsident Trump auf die Spitze getrieben wurde, überholt.
Aus ihrer Sicht ist noch nicht alles verloren. Ein Blick auf die Geschichte zeige, dass die schädlichen Praktiken von Big Tech – dazu gehören Apple, Microsoft, Amazon, Google und Facebook – mit den gleichen Methoden bekämpft werden könnten, wie sie vor über 100 Jahren zur Zerschlagung des Monopolisten Standard Oil gebraucht worden seien.
Die neoliberale, lockere Auslegung der Kartellgesetze, die mit Präsident Reagan begonnen habe und mit Präsident Trump auf die Spitze getrieben worden sei, sei überholt, sagt Khan. Die Annahme, dass sich der Markt selber reguliere, indem Monopolisten wie Amazon oder Facebook durch neue Konkurrenten angegriffen und geschwächt würden, sei weltfremd. Social-Media-Plattformen seien eine neuer Gattung von Monopolen, da sie dank ihrer einmaligen Einsicht und Kontrolle von Personendaten eine noch nie erlebte Macht erlangt hätten.
Das wurde möglich, weil die Big-Tech-Konzerne über 500 Firmenübernahmen tätigen konnten, ohne dass die Kartellwächter je ernsthaft eingegriffen hätten. Für Khan gibt es keinen anderen Weg mehr, als staatlich einzugreifen. «Das strukturelle Zerschlagen der Monopole wird sehr wichtig werden», sagte sie im Gespräch mit der «New York Times».
Anfang vom Ende der Gesetzlosigkeit
Ihre Ernennung an die Spitze der Aufsichtskommission ist ein Sieg des progressiven Flügels der Demokraten. Sie hatten Biden bekniet, eine härtere Position gegenüber Big Tech einzunehmen. Sie verweisen darauf, dass die Zerschlagung der Monopole nicht nur im Volk breit abgestützt, sondern eines des wenigen Themen ist, das auch im Kongress parteiübergreifend gefordert wird.
Auf sich aufmerksam machte Khan mit einer schonungslosen Analyse von Amazon, die sie als 27-jährige Studentin publizierte. Darin kam sie zum Schluss, dass die Aufsichtsbehörden dem krakenhaften Ausufern der Konzerne in immer neue Märkte tatenlos zuschauten. (Hier nachzulesen und hier)
Die Wahl von Khan war eine Überraschung. Die Tochter pakistanischer Eltern, die in die USA ausgewandert waren, gilt als Gegenteil einer politischen Insiderin. Sie hält sich aus politischen Zirkeln heraus, auch wenn progressive Demokraten wie Senatorin Elizabeth Warren sie in Beschlag nehmen wollen.
Ihre Einsatzbereitschaft und ihr Wissen hätten sie auch als Ärztin oder an Wallstreet zu einem Star gemacht, sagt Barry Lynn, Direktor des Open Markets Institut und früherer Boss von Khan: «Ich bin hocherfreut, dass sie nun diesen Weg gewählt hat, weil sie in der Lage ist, die amerikanische Wirtschaft umzukrempeln.»
«Sie markiert den Anfang vom Ende einer gesetzlosen Ära der mächtigen Konzerne.»
Sarah Miller, Direktorin des American Economic Liberties Project, ist überzeugt, dass Khan im Kongress eine Mehrheit für eine Reihe neuer Antikartellgesetze gewinnen kann: «Sie markiert den Anfang vom Ende einer gesetzlosen Ära der mächtigen Konzerne.»
Koordination mit der EU
Abzusehen ist, dass Khan eine enge Kooperation mit der EU anstrebt. Dies, nachdem die europäischen Behörden gegenüber Apple, Google und Facebook eine härtere Gangart eingeschlagen hatten als die USA. Eine der ersten Gratulantinnen zur Wahl war denn auch EU-Kartellwächterin Margrethe Vestager. «Ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeit – für eine faire Konkurrenz und ein entschiedene Durchsetzung der Gesetze zum Wohle unserer Bürger.»
Auch wenn Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und die andern Big-Tech-Herrscher immer eine klare Regelung der Social-Media-Plattformen verlangt haben, so steckten sie Rekordsummen ins Lobbying mit dem Ziel, schmerzhafte Eingriffe zu verhindern. Für Khan steht aber fest, dass die Argumente gegen eine Aufspaltung nicht stichhaltig sind.
Das habe sich schon bei der Zerschlagung von Standard Oil gezeigt, die der Branche keineswegs geschadet habe. Die Videoplattform Youtube könnte problemlos von Google getrennt werden, meint sie. Amazon könnte sich ebenso von Whole Foods trennen; und Facebook könnte die Dienste Messenger, Instagram und Whatsapp abspalten, um neuen Anbietern eine Marktchance zu geben. Khan macht es selber vor: Statt den Chrome-Browser von Google benützt sie das unabhängige Programm Firefox.
Bereits erste Antikartellklage eingereicht
Dem Vernehmen nach will Biden auch die Stelle des Kartellwächters im Justizministerium mit einem progressiven Juristen besetzen. Dass sich der Wind unabhängig davon zu drehen beginnt, bewies das Ministerium diese Woche mit der ersten Klage gegen eine Firmenübernahme.
Für 35 Milliarden Dollar wollte der Versicherungsbroker Aon den Konkurrenten Willis Towers Watson übernehmen, womit einer der weltweit grössten Anbieter in diesem Markt entstehen würde. Die Fusion sei schädlich, so das Ministerium, weil der neue Superbroker zu viel Marktmacht hätte und die Preise unweigerlich nach oben treiben könnte.
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