Brände in SüdeuropaSie sah, wie das Haus ihres Vaters niederbrannte
Verzweiflung, Solidarität und Vorwürfe: Wie die Menschen in Südeuropa am Wochenende weiter gegen die Feuer kämpfen – und wie Vorwürfe gegen die Regierungen laut werden.
Bis Mittwoch, etwa 13 Uhr mittags, lebte Christina Georgiou in einem Idyll am nördlichen Rand von Athen. Es war ein heisser Tag, mehr als 40 Grad, die Kinder spielten drinnen. Dann hörte Christina Georgiou plötzlich den Lärm von Flugzeugen, immer mehr. Kurz darauf heulten die Sirenen los. Sie trat aus dem Haus und sah Rauch, hinter einem Berg in der Nähe, noch kein Grund zur Besorgnis. «Aber dann drehte plötzlich der Wind», sagt die 47-Jährige, «und das Feuer begann, sich auf uns zuzubewegen.»
Wenig später erhielt Christina Georgiou eine SMS: eine Anweisung der Behörden, die Gegend zu verlassen. «Die Kinder wollten erst nicht zu meinem Bruder ins Auto steigen, sie machten sich Sorgen um mich», sagt sie. Denn sie wollte zuerst die Pferde in Sicherheit bringen. Die Reitschule, die sie hier aufgebaut hat, ist Christina Georgious Lebenswerk. Zusammen mit ihrem Mann schaffte sie es, die Pferde auf das Gelände eines benachbarten Militärflughafens zu treiben; die Behörden hatten Bulldozer geschickt, um den Stacheldrahtzaun niederzuwalzen, damit Menschen und Tiere freie Fluchtwege hatten. Währenddessen sah Christina Georgiou, wie das Haus ihres Vaters niederbrannte.
«Plötzlich sah ich eine Wand aus Flammen vor mir.»
Ihr Bruder Sergios (51), der nebenan wohnt, schaffte es gerade noch, die Familie mit dem Auto wegzubringen. «Nachdem wir ein paar Meter gefahren waren, sah ich plötzlich eine Wand aus Flammen vor mir», erzählt er. «Das Feuer war blitzschnell bis zur Strasse vorgedrungen.» Am nächsten Tag waren die Brände in der Gegend zurückgedrängt, und Sergios Georgiou fuhr vom Hotel, wo er und seine Familie Unterschlupf gefunden hatten, zurück, um zu schauen, was von seinem Zuhause übrig geblieben war. Seine Frau hatte ihn gebeten, ihre Flipflops mitzubringen, sein Sohn wollte sein Velo. Er musste ihnen sagen: «Die Flipflops und das Velo sind verbrannt.» Es werde Jahre dauern, um die Schäden zu beheben, sagt Sergios Georgiou: «Alles ist weg. Wir müssen von vorne anfangen.»
Bisher unabsehbar sind die Spätfolgen der Feuersbrünste. Weite Landstriche haben sich etwa in der Türkei in schwarz-graue Ascheflächen verwandelt, Bauernhöfe und Dörfer sind zerstört. Insgesamt verbrannten allein in der Türkei Flächen von 1000 Quadratkilometern: Das entspricht der doppelten Fläche des Bodensees.
Während mehr internationale Hilfe in Gang kommt, mussten die Menschen an Ort sich weitgehend selbst helfen. In der Türkei wirft die Opposition der Regierung mangelhaftes Krisenmanagement vor, was die Eigeninitiative steigen liess: Tausende Freiwillige zogen ins Katastrophengebiet, mithilfe von Prominenten entwickelte sich eine landesweite Hilfewelle.
«Man hat uns brennen lassen.»
Auch in Griechenland gibt es Kritik an der Regierung. Seit Tagen stehen Teile der Halbinsel Peloponnes in Flammen. Noch heftiger wüten die Wald- und Buschfeuer auf Euböa, der zweitgrössten griechischen Insel. Seit sechs Tagen fressen sich die Flammen durch die Pinienwälder. Verzweifelte Bewohner versuchten, mit Traktoren Schneisen zu schlagen, um das Übergreifen der Flammen auf ihre Häuser zu verhindern. 600 Feuerwehrleute waren im Einsatz, mehrere Dutzend Dörfer wurden evakuiert, mehr als 2000 Inselbewohner mit Fähren in Sicherheit gebracht.
Die Verbitterung auf Euböa ist gross, weil die Löscharbeiten aus der Luft sich bisher auf den Norden Athens konzentriert hatten. «Man hat uns brennen lassen», sagte ein Mann dem TV-Sender Skai. Man habe keine Wahl gehabt, hiess es bei den Rettungskräften. Ein Übergreifen des Feuers auf die Hauptstadt hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Premier Kyriakos Mitsotakis hatte betont, Menschenleben hätten Priorität vor Besitz und Wald. Im Grossraum Athen leben vier Millionen Menschen – Euböa hat 220’000 Einwohner, und dort brennen vor allem Wälder.
Beruhigung dank starker Regenfälle
Unverändert kritisch war die Lage in der Südtürkei, wo es seit inzwischen fast zwei Wochen an der Ägäis- und der Mittelmeerküste brennt. In der Türkei starben mindestens acht Menschen. In der Urlaubsregion Antalya beruhigte sich die Lage aber dank sehr starker Regenfälle.
Immer wieder wird Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut. Die Opposition wirft ihr vor, dass keine eigenen einsatzfähigen Löschflugzeuge zur Verfügung standen, weil diese nicht mehr gewartet wurden. Stattdessen habe man sich auf Leihmaschinen aus dem Ausland verlassen. Einige von der Oppositionspartei CHP regierte Grossstädte boten an, die Finanzierung des Betriebs der türkischen Löschmaschinen zu übernehmen.
Die Regierung reagiert erbittert. Der Opposition rund um die CHP, die in vielen Städten der Südtürkei regiert, wird von Ankara vorgeworfen, die Naturkatastrophe zu missbrauchen: Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von «Lügenterror», und Landwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli meinte: «Wer hier Politik machen will, soll sich ein anderes Spielfeld suchen.»
Unbelegte Anschuldigungen
Doch auch die Regierung manipuliert politisch. Die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete staatliche Rundfunkaufsicht Rtük warnte Sender davor, Angst und Panik zu verbreiten. Kritische Berichte gibt es daher kaum. Staatschef Erdogan beschuldigte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK der Brandstiftung. Belege dafür fehlen. Zur Brandursache selbst wird weiter ermittelt. Ein Feuer in Marmaris sollen Kinder ausgelöst haben. In Bodrum wurden am Donnerstag Medienberichten zufolge drei Menschen festgenommen unter dem Verdacht, Zigarettenstummel aus dem Auto geworfen zu haben.
Mitarbeit: Maya Filippopoulou
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