Mikaela Shiffrin unter DruckSie leidet darunter, nicht mehr perfekt zu sein
Nach dem Olympiadesaster droht der Amerikanerin auch im Weltcup eine Enttäuschung. Vor den Rennen in Lenzerheide sagt sie: «Man kann scheitern, ohne eine Versagerin zu sein.»
Was in China passierte, kam Mikaela Shiffrin spanisch vor.
Seltsam sei das Geschehene gewesen, schwer zu glauben, sagte die Amerikanerin. Dreimal schied sie an den Olympischen Spielen als Favoritin aus, im Riesenslalom, im Slalom, in der Kombination, in all ihren sechs Rennen blieb sie ohne Medaille.
Nie habe sie wegen des Sports so viel geweint wie in den zwei Wochen in Yanqing, sagte Shiffrin, wobei sie mit etwas Abstand ergänzte: «Es fühlt sich an, als müsste man darüber lachen. Ich bin so krass unter meinen Möglichkeiten geblieben. Ich hatte sechs Rennen – wer bitte hatte je sechs Einsätze bei Olympia? Und blieb ohne Medaille? Ich breche also noch immer Rekorde. Nur nicht jene, welche die Leute erwarten.»
«Ich werde wieder gewinnen»
Shiffrin hat Zeit gebraucht, um ihr Debakel, wie sie es umschreibt, zu akzeptieren. Sie gab in der Heimat mehrere Interviews, es waren ausführliche Gespräche, und es wirkte, als handelte es sich dabei um einen ersten Schritt im Verarbeitungsprozess. Sie gewährte Einblick in ihre Gefühlswelt, es wurde offensichtlich, wie nahe ihr das Erlebte ging.
Gegenüber dem TV-Sender CNN sagte Shiffrin: «Vielleicht waren das vier Jahre Arbeit für nichts. Ich bin gescheitert. Aber man kann auch scheitern, ohne eine Versagerin zu sein.» Sie habe in Peking zu viel gewollt, hätte es viel besser machen müssen. Und für ihre Verhältnisse erstaunlich forsch fügte sie an: «Ich weiss, dass ich wieder gewinnen werde.»
Genau das tut Shiffrin, seit sie mit 16 im Weltcup aufgetaucht ist. 73-mal hat sie gewonnen, im Slalom entschied sie im Winter 2018/19 acht Rennen für sich, einmal siegte sie mit irrwitzigen 3,07 Sekunden Vorsprung. Doch die Selbstverständlichkeit ist ihr abhandengekommen, was viel mit Petra Vlhova zu tun hat. Die Slowakin ist die neue Nummer 1 unter den Stangenkünstlerinnen, sie macht Shiffrin das Leben oder zumindest das Siegen schwerer.
Es ist die Ironie des Schicksals, dass Shiffrin den Lauf ihrer ärgsten Konkurrentin indirekt erst ermöglicht hat. Vlhova jedenfalls sagte im Dezember: «Mikaela war derart dominant, dass mir klar wurde: Wenn ich nichts ändere, werde ich chancenlos bleiben. Also begann ich, überall noch mehr zu machen. Mikaela hat mich auf ein höheres Level gehievt.»
In diesen Tagen heisst es mehr denn je: Shiffrin gegen Vlhova. Im Gesamtweltcup liegen beide mit 1026 Punkten an der Spitze – mehr Spannung geht nicht. Acht Rennen stehen aus, zumindest in mentaler Hinsicht scheint Titelverteidigerin Vlhova im Vorteil zu sein: Schon Anfang Winter sagte sie, der Gesamtsieg sei nicht das Ziel, sie fokussiere sich auf Olympia. Mit Slalom-Gold hat sie geliefert, während Shiffrin ein dritter Winter in Folge ohne Gewinn einer Kristallkugel droht. Was so gar nicht zu ihrem Selbstverständnis passen würde.
«Fragen Sie das einen Psychologen»
Viele Stars sind an Olympischen Spielen gescheitert, Erika Hess beispielsweise und Pirmin Zurbriggen 1984 in Sarajevo, Vreni Schneider 1992 in Albertville, Aksel Svindal 2014 in Sotschi. Shiffrin betonte dies zuletzt mehrmals, aber sie vermag nicht zu kaschieren, dass es ihr zusetzt, nicht mehr fehlerlos zu sein, dass ihr nicht mehr alles zufällt. Auf Perfektion getrimmt ist sie seit jeher, als Kind etwa durfte sie nicht im Tiefschnee fahren, weil es sie als Rennfahrerin nicht weitergebracht hätte und daher vergeudete Zeit gewesen wäre.
Am Wochenende stehen in Lenzerheide ein Super-G und ein Riesenslalom auf dem Programm, für Shiffrin geht es nicht zuletzt um die Versöhnung mit sich selbst. Druck spüre sie immer, sagt sie. War das der Grund für ihr monumentales Scheitern in China? Wollte sie eine noch grössere Heldin werden? Ihre Karriere unbedingt mit noch mehr Superlativen schmücken? «Fragen Sie das einen Psychologen», sagte sie im erwähnten Interview nur.
Shiffrin überdenke vieles, so verraten es Quellen aus dem amerikanischen Team. Unmittelbar nach der Abreise aus Peking fragte sich die 26-Jährige, ob es nicht besser sei, aufzuhören. Die Gedanken haben sich verflüchtigt. Shiffrin wird weiterfahren. Mindestens bis 2026 und den nächsten Spielen.
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