So sieht es die Bevölkerung In Taiwan gehört die ständige Bedrohung zum Alltag
In der Hauptstadt Taipeh ist von den militärischen Muskelspielen Pekings nichts zu spüren. Die Bevölkerung fühlt sich auf eine mögliche Eskalation vorbereitet.
Der Himmel ist blau über Taipeh, es fliegen keine Helikopter, die Luftschutzsirenen sind stumm – und das, obwohl nur wenige Kilometer entfernt vor der taiwanischen Küste gerade chinesische Raketen niedergehen. Anna Marti, die für die deutsche Friedrich-Naumann-Stiftung in Taiwan arbeitet, wirkt am Telefon sehr entspannt. «Von Panik bekomme ich hier nichts mit», sagt sie. Bei Lin Fei-fan ist es hingegen laut im Hintergrund. Es sei gerade chinesischer Valentinstag, erzählt der stellvertretende Generalsekretär der taiwanischen Regierungspartei DPP. «Die Menschen gehen in die Restaurants und feiern mit ihren Partnern.» Auch er sei in einem Restaurant – allerdings mit Kollegen.
Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Insel ist die ständige Bedrohung durch China Alltag. Die Menschen in Taipeh üben jedes Jahr den Ernstfall, erst vergangene Woche hielten sie die sogenannten Wan-An-Drills ab. «Dieses Jahr war es wegen des Ukraine-Kriegs vermutlich besonders intensiv», sagt Marti. Die Sirenen heulten, die Menschen mussten in die Luftschutzbunker, die Feuerwehr übte das Löschen nach Raketeneinschlägen. Bunkerkapazitäten gebe es genug, sagt Marti. Der nächste Luftschutzraum von ihrem Büro aus ist das vierte Untergeschoss eines Parkhauses. Eine App der Regierung zeigt den Weg an, richtig ausgeschildert ist er laut ihr allerdings nicht.
Die Präsidentin wollte Peking nicht zusätzlich provozieren
Obwohl Pekings Reaktion auf den Besuch von US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi absehbar war, hatte Präsidentin Tsai Ing-wen der protokollarischen Nummer drei der amerikanischen Politik den roten Teppich ausgerollt. Über den berühmten Wolkenkratzer Taipei 101 liefen Grussbotschaften für die 82-Jährige, die den höchsten zivilen Orden erhielt. Allerdings ist die Regierung laut Marti «nicht in Triumphgeheul ausgebrochen». Tsai wolle Peking, das die demokratisch regierte Insel als abtrünnige Provinz ansieht, nicht zusätzlich provozieren.
«Die chinesische Reaktion auf den Besuch von Pelosi hat gezeigt, warum der Besuch von Pelosi richtig war», sagt Tsai-Verbündeter Lin. «Sie ist mit uns solidarisch. Mehr Politiker sollten kommen.» Chinesische Drohgebärden wie die gerade begonnenen Militärmanöver, die grössten seit Jahrzehnten, seien vor allem dazu da, die Taiwaner einzuschüchtern, damit sie es ja nicht wagen, die formale Eigenständigkeit zu fordern. Doch Lin gibt sich unbeeindruckt. «Sie können uns keinen Schaden zufügen, mit dem wir nicht umgehen könnten», sagt er.
«Je aggressiver China vorgeht, desto weniger vertrauen die Taiwaner Peking.»
Obwohl im Dauerclinch, waren die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen Taiwan und dem autokratisch regierten Festland in den vergangenen Jahrzehnten enger geworden. Taiwanische Firmen investierten massiv in Fabriken auf dem Festland, chinesische Touristinnen und Touristen kamen auf die Insel. Seit der Wahl von Tsai Ing-wen, einer Befürworterin der Eigenständigkeit, im Jahr 2016 haben sich die Beziehungen allerdings wieder deutlich verschlechtert.
Die jüngsten chinesischen Wirtschaftssanktionen gegen Taiwan richten sich laut Marti vor allem gegen Unternehmen im Süden der Insel. Dort hat Tsais DPP ihre Wählerhochburgen. Laut Lin nutzen die Vergeltungsmassnahmen der Präsidentin jedoch: «Je aggressiver China vorgeht, desto mehr schiebt es Taiwan weg, und desto weniger vertrauen die Taiwaner Peking.»
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