Analyse zu MilitärmanöverChina will Taiwan langsam die Luft abwürgen
Militärmanöver, Cyberattacken, Desinformationskampagnen: Kaum hatte Nancy Pelosi Taiwan wieder verlassen, folgte Chinas Machtdemonstration. Ziel Pekings dürfte nun sein, die Insel jetzt maximal unter Druck zu setzen.
Genau vier grosse «Fantasien» zählt der chinesische Aussenminister Wang Yi, wenn es um die amerikanische Chinapolitik geht. Nummer eins, dass sich die USA erfolgreich in den Wiedervereinigungsprozess mit Taiwan einmischen könnten. Nummer zwei und drei, dass es ihnen gelingt, Chinas Aufstieg zu sabotieren und die geopolitische Realität «zu manipulieren». Und Nummer vier, dass die Amerikaner «richtig und falsch» nicht korrekt voneinander trennen können – und damit ungestraft davonkämen. Denn wer sich in den Weg von Chinas friedlichem Aufstieg stelle, warnte Wang Yi in einem Statement am Mittwoch, werde nur eines erleben: «ein Blutvergiessen».
Peking steht unter Druck. Das zeigten Zahl und Heftigkeit der verbalen Angriffe, die Peking seit dem Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Richtung der Vereinigten Staaten schleuderte. Pelosis Besuch, der ranghöchste aus den USA seit einem Vierteljahrhundert, war unter Chinesen mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit aufgenommen worden. In den Tagen zuvor hatte die Staatspresse den Eindruck erweckt, die Visite im Zweifel auch mit kriegerischen Mitteln zu unterbinden.
Entsprechend heftig sind nun die Manöver, die das chinesische Militär am Donnerstag startete. In der Taiwanstrasse, der Meerenge zwischen China und der Inselrepublik, sowie östlich der Insel wurden weit reichende Geschosse abgefeuert. Das chinesische Staatsfernsehen meldete, im Osten habe es zur Übung auch «Präzisionsschläge» gegeben.
Das Ziel wird es sein, maximalen Druck auszuüben
Das Ziel Pekings dürfte in den kommenden Tagen sein, maximalen Druck auf die Insel auszuüben, militärisch, sicherheitspolitisch, aber auch wirtschaftlich. Bereits am Mittwoch verhängte China Importverbote gegen taiwanische Waren wie Zitrusfrüchte und bestimmte Fischarten.
Wenn auch schmerzhaft für einzelne Unternehmen, dürfte sich der wirtschaftliche Schaden der Import- und Exportverbote in Grenzen halten. In den letzten Jahren hat China immer wieder kurzfristig den Einkauf verschiedener Produkte verboten. Taiwan reagierte in der Regel zügig, setzte auf neue Märkte und andere Abnehmer.
Grösser ist die Sorge vor einer dauerhaften Blockade der Taiwanstrasse, die China mit seinen Militärübungen rund um die Insel simuliert. Allein der taiwanische Chipkonzern TSMC steht für mehr als die Hälfte der weltweiten Auftragsproduktion an Halbleitern. Die meisten Fabriken stehen in Taiwan und China. Sollte China die Blockade nicht aufheben, hätte das fatale Folgen für den globalen Nachschub an Chips – und damit auf die Weltwirtschaft überhaupt.
Eine Eskalation, die sich allerdings auch China kaum leisten könnte. Seit Ausbruch der Corona-Krise ist das Land faktisch vom Ausland isoliert. Eine Immobilien- und drohende Finanzkrise setzt die chinesische Führung weiter unter Druck.
Das dürfte auch der Grund sein, warum die chinesische Regierung die Vereinigten Staaten zwar für die Spannungen verantwortlich macht, die Massnahmen sich jedoch bisher ausschliesslich gegen das kleine Taiwan richten: Für einen grösseren Konflikt mit den USA sieht sich Peking – noch – nicht bereit. Im Herbst kommt die KP-Spitze zum 20. Parteitag zusammen, bis dahin dürfte für Staats- und Parteichef Xi Jinping vor allem Stabilität an erster Stelle stehen.
Die chinesische Führung hat insgesamt sechs Gebiete rund um Taiwan zu möglichen Manöverzonen erklärt, die sich zum Teil mit taiwanischen Hoheitsgewässern überschneiden. Laut Chinaexpertin Valarie Tan vom Merics-Institut handelt es sich um Manöver in einem Umfang, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. «Taiwan soll maximalen Druck spüren, die Menschen sollen Angst haben und sich letztlich ergeben, weil sie keinen Ausweg sehen», so die Expertin.
Taiwan werde die territoriale Integrität verteidigen
Das Verteidigungsministerium in Taipeh kritisierte die Manöver am Donnerstag. Die Streitkräfte seien in Kampfbereitschaft versetzt, bisher verzichtet man aber auf Gegenmassnahmen. Taiwan suche keinen Konflikt hiess es, werde aber die nationale Souveränität und territoriale Integrität verteidigen. Die Streitkräfte handelten nach dem Prinzip «Einen Krieg vorbereiten, ohne einen Krieg zu wollen».
Das grösste Schreckensszenario, eine Invasion Taiwans, gilt allerdings als höchst unwahrscheinlich. Anders als beispielsweise der Überfall auf die Ukraine macht die Geografie Taiwans, steile Felsküsten und flache Strände, eine Einnahme extrem schwierig. Militärisch ist die Volksarmee nicht so weit, die Schwierigkeiten der sehr viel erfahreneren russischen Streitkräfte dürfte Peking dies noch einmal verdeutlicht haben. Zudem war man wohl in Peking sehr überrascht, wie geschlossen Europa und die USA auf den Angriff in der Ukraine reagierten.
Der Chinaexpertin Tan zufolge ist eine Invasion aber auch gar nicht nötig. Wahrscheinlicher sei, dass Peking seine bisherigen Massnahmen noch verstärke, die Experten als «graue Kriegsführung» bezeichnen. Dazu gehören neben den Militärmanövern auch Desinformationskampagnen, Cyberangriffe und die diplomatische Isolation der Insel.
Die staatliche «China Daily» zitierte am Donnerstag einen oft geteilten Beitrag auf der Plattform Weibo, der hunderttausendfach geklickt worden war. Demnach hätten die Demonstranten in Hongkong 2019 die grösste Angst vor einem Eingreifen des chinesischen Militärs gehabt. «Ein halbes Jahr später hat China die Welt mit der Einführung des Sicherheitsgesetzes überrascht», schrieb der Nutzer. Diese habe das Problem schnell und mit minimalen Kosten erledigt, zitierte die Staatszeitung ihn weiter. Niemand solle jetzt enttäuscht sein. «Wir werden als Letzte lachen.»
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