Schweizer in Taiwan«China könnte durch eine Eroberung Taiwans gar nichts gewinnen»
Josef Eugster ist einer von rund 350 Schweizern, die in Taiwan leben. Er hat keine Angst vor einem Krieg – aus einem bestimmten Grund.
Die Telefonverbindung nach Ch’ang-pin an der taiwanischen Ostküste kommt auf Anhieb zustande. Am anderen Ende: Josef Eugster, Pater der Missionsgesellschaft Bethlehem aus Immensee SZ.
«Die spinnen, die Chinesen», sagt Eugster spontan, als wir ihn darauf ansprechen, wie gereizt Peking auf den Besuch von US-Senatorin Nancy Pelosi in Taipeh reagiert. Auch nach über fünf Jahrzehnten in Taiwan spricht Pater Josef akzentfreies Schweizerdeutsch mit Ostschweizer Einschlag.
«China könnte ja durch eine Eroberung Taiwans gar nichts gewinnen», sagt Eugster und schüttelt fast hörbar den Kopf. Das Säbelrasseln Pekings hält er für ein Ablenkungsmanöver: «Die Volksrepublik hat genug eigene Probleme, die sie lösen muss.»
«Drohungen sind weit weg»
Das Dorf Ch’ang-pin liegt im ländlichen Südosten Taiwans, drei Autostunden von der Hauptstadt Taipeh entfernt. «Die einfachen Leute hier beschäftigen sich nicht mit Politik. Für sie sind die chinesischen Drohungen weit weg», sagt Eugster. «Von einer konkreten Kriegsangst ist hier nichts zu spüren.» Man habe aber wahrgenommen, dass sich die USA jetzt sehr deutlich geäussert hätten. «Alle hier wissen: Wir sind angewiesen auf die Hilfe aus Amerika, aus Japan und allen westlichen Staaten.»
Josef Eugster ist einer von nur noch zwei Vertretern der Bethlehem-Mission in Taiwan. Die Gemeinschaft wurde in den 1950er-Jahren gegründet, als nach der Machtergreifung der Kommunisten 36 katholische Missionare aus China ausgewiesen wurden und auf der damaligen Insel Formosa Zuflucht fanden. Die Mission baute ein Spital und richtete Schulen ein. Sie nimmt für sich in Anspruch, das Schweizer System der Berufslehre erfolgreich in Taiwan eingeführt zu haben.
Josef Eugster ist Pfarrer einer Kirchgemeinde mit sieben kleinen Dörfern in der Küstenprovinz Taitung. Rund 2 Prozent der rund 24 Millionen Inseleinwohner sind katholisch. Zudem arbeitet Eugster als Massagetherapeut und empfängt fast täglich 40 bis 50 «Gäste», wie er sagt: Leute, die Hilfe gegen chronische Schmerzen suchen.
Schweiz verfolgt «Ein-China-Politik»
Die Schweiz unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Seit sie am 17. Januar 1950 – als eines der ersten westlichen Länder – die Volksrepublik China offiziell anerkannte, verfolgt sie eine «Ein-China-Politik». Danach gilt das antikommunistische Taiwan nicht als eigener Staat, sondern als Teil Chinas.
Die Beziehungen laufen über zwei private Organisationen: das «Trade Office of Swiss Industries» in Taipeh und das «Taipei Kultur- und Handelsbüro» in Bern und Genf. Denn: Wirtschaftlich gibt es zahlreiche Verflechtungen.
Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist Taiwan trotz seiner diplomatischen Isolation «fest in der globalen Wertschöpfungskette verankert». Die Schweiz und Taiwan kooperieren bei der Investitionsförderung und bei der Anerkennung von Medizinprodukten.
Velos und Computer aus Taiwan
Die Schweiz exportierte 2020 laut Seco Waren im Wert von 2,3 Milliarden Franken nach Taiwan, hauptsächlich chemische und pharmazeutische Produkte, Maschinen und Uhren. Aus Taiwan gelangen Güter für 1,2 Milliarden Franken in die Schweiz, primär Computer, Computerchips und Velos. Tendenz in beide Richtungen leicht steigend. Die Schweizer Industrie beschäftigt 1700 Personen in Taiwan, rund 350 Schweizerinnen und Schweizer leben auf der Insel.
Zu ihnen zählt seit 52 Jahren auch Josef Eugster. Er spricht Mandarin, die in China und weltweit verbreitetste chinesische Sprache, zudem Taiwanisch und eine der Sprachen der Urbevölkerung der Insel. «Es sind alles fröhliche, ausserordentlich gastfreundliche Leute», sagt er, «hier zu leben, ist sehr angenehm.»
Zusätzlich zum Schweizer Pass hat Eugster jetzt auch die taiwanische Staatsbürgerschaft. Er nimmt regelmässig an den Wahlen teil. Taiwan ist im Unterschied zur Volksrepublik eine funktionierende Demokratie.
Nun wegen der Kriegsgefahr von der Insel zu flüchten, kommt für Pater Josef nicht infrage: «Ich bin jetzt 82 Jahre alt, ich ziehe hier nicht mehr weg.»
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