Titanic-Tauchboot «Sie kauern aneinander und versuchen, Körperwärme zu bewahren»
Eine Nadel im Heuhaufen zu finden, sei leichter, sagen Experten. Die Zustände an Bord könnten dramatisch sein. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt droht nun der Sauerstoff auszugehen.
Diese hämmernden Geräusche aus dem Meer – waren das wirklich Lebenszeichen? Am Dienstag sollen die Signale im Umkreis der vor mehr als einem Jahrhundert gesunkenen Titanic zunächst von einem kanadischen Flugzeug empfangen worden sein, und zwar ungefähr alle 30 Minuten. Dann vier Stunden später erneut und auch wieder am ostamerikanischen Mittwoch, als es in Europa schon Donnerstag wurde. Aber was hatten die Signale zu bedeuten?
Kamen sie tatsächlich von der Titan, in der fünf Menschen am Sonntag im Nordatlantik verschwunden und bis zuletzt nicht mehr aufgetaucht waren? Und wenn ja: Wo ist dieses Tauchfahrzeug? (Mehr dazu: Warum ist das U-Boot so schwer zu finden?)
Mit immer mehr Schiffen, Flugzeugen und Geräten wird nach dem Havaristen gefahndet, und das auf einem Stück Meer, das circa doppelt so gross ist wie der US-Bundesstaat Connecticut und mindestens 4 Kilometer tief. Die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen sei dagegen ein Kinderspiel, hiess es. Spezialisten analysieren den Ursprung der mysteriösen Töne.
Frost und Dunkelheit
Bisher seien die Ergebnisse «nicht schlüssig», informierte laut «New York Times» Jamie Frederick, ein Kapitän der US-Küstenwache, aber man müsse Hoffnung haben. Es sei nach wie vor zu 100 Prozent eine Rettungsaktion. Er wolle sich auch nicht auf eine Diskussion darüber einlassen, wann diese vorbei sei.
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Die Hoffnung stirbt als Letztes, doch die Chancen auf ein Überleben in dieser Kapsel schwinden stetig. Mit einem Sauerstoffvorrat von 96 Stunden soll der offenbar tragisch verunglückte Tauchgang hinab zum berühmtesten Wrack der Welt begonnen haben. An diesem Donnerstag wären diese 96 Stunden, also vier Tage, abgelaufen. Wobei ein Lungenspezialist mit den Worten zitiert wird, dass die Luft zehn Prozent länger reichen könnte, wenn weniger oft und tief eingeatmet werde – also plus neun Stunden.
Was diese Berechnung für die Betroffenen bedeutet, mag man sich kaum vorstellen. Dazu kommt je nach Wassertiefe die Kälte, auch ist unklar, ob in dem engen Gefährt überhaupt noch Strom übrig ist oder die Passagiere in der Dunkelheit sitzen. «Sie sind eiskalt», vermutet der frühere U-Boot-Kapitän David Marquet im Interview mit CNN. «Das Wasser, das das Schiff vollständig umgibt, liegt bei Temperaturen um den Gefrierpunkt oder leicht darunter. Wenn sie ausatmen, kondensiert ihr Atem. Auf der Innenseite der U-Boot-Teile sollte Frost zu sehen sein.»
«Der Sauerstoff wird knapp, und sie atmen Kohlendioxid aus.»
Marquet liefert eine dramatische, ja gruselige Einschätzung der Zustände an Bord. «Sie kauern alle aneinander und versuchen, ihre Körperwärme zu bewahren. Der Sauerstoff wird knapp, und sie atmen Kohlendioxid aus.» Dieses Kohlendioxid könne in der Titan nur begrenzt kompensiert werden und Kopfschmerzen, Verwirrung und Übelkeit auslösen.
Die Gegend, in der seit Tagen gesucht wird, während die Zeit verrinnt, gilt auch wegen des schnell wechselnden Wetters mit Wind und Wellen als tückisch. Das erschwert die Mission der Einsatzkräfte, auch war natürlich nicht jeder darauf vorbereitet. Ein französisches Schiff mit einem Tauchroboter für Tiefseemissionen wurde am Mittwochabend erwartet – es hatte sich 48 Stunden entfernt befunden, als angesichts der Notlage der Kurs geändert wurde.
Der Kampf mit der Uhr erinnert ein wenig an Dramen wie den gewonnenen Kampf um die verschütteten Minenarbeiter 2010 in der chilenischen Wüste oder die ebenfalls erfolgreiche Bergung der abgestürzten Kinder im Dschungel Kolumbiens.
Dennoch liegt dieser Fall natürlich anders. Nach Ansicht von Kritikern wurde auf dem Weg zur Titanic für viel Geld ein unkalkulierbares und unnötiges Risiko eingegangen, gefährlich wie eine schlecht vorbereitete Tour auf den Mount Everest. Auch stören sich zum Beispiel Angehörige der Toten des 1912 versunkenen Ozeandampfers grundsätzlich an touristischen Besuchen an dieser Grabstätte auf dem Meeresboden.
In US-Medien wird viel debattiert über den Sinn des Unternehmens und die Ursachen des möglichen Desasters. In sozialen Netzwerken klagen ausserdem zahlreiche Nutzer darüber, dass die massive Berichterstattung in keinem Verhältnis zum noch schlimmeren und ohnehin nicht zu vergleichenden kürzlichen Unglück von Geflüchteten im Mittelmeer stehe. (Lesen Sie unseren Kommentar dazu: Die toten Migranten haben mehr Anteilnahme verdient)
«Geht etwas schief, kommst du nicht zurück»
Und trotzdem ist dies ein Thriller, dem jeder vernünftige Mensch ein gutes Ende wünscht. Vor den Tücken einer Reise in der Titan warnen Fachleute seit Jahren. Es wird immer offensichtlicher, dass das Unternehmen Ocean Gate Expeditions sein rudimentäres Unterwasserfahrzeug für viel Geld viel zu leichtfertig auf Reisen geschickt hat.
Gesteuert wurde es diesmal laut der Firma von Stockton Rush, dem CEO von Ocean Gate. Begleiten sollen ihn der britisch-pakistanische Unternehmer Shahzada Dawood und sein Sohn Suleman, der englische Geschäftsmann und Entdecker Hamish Harding und der Franzose Paul-Henri Nargeolet, der die Titanic offenbar bereits mehr als 35-mal durch das Bullauge besichtigt hat.
Auf den Profi Nargeolet vertrauen Optimisten. Niemand sei besser und erfahrener als er, sagte Michael Findlay, früher Präsident der Titanic International Society, der «Washington Post». «Wenn man sich in dieser Situation befindet, ist er der richtige Ansprechpartner.» Der Mitreisende Hamish Harding hatte es gemeinsam mit dem Amerikaner Victor Vescovo 2021 in die Guinness World Records geschafft, Kategorie «Längste Aufenthaltsdauer eines Schiffs mit Besatzung in voller Meerestiefe». Die beiden waren westlich von Guam 4.15 Stunden lang und 4,6 Kilometer weit, fast 11'000 Meter unter der Meeresoberfläche unterwegs. «Wenn etwas schiefgeht», sagte er damals, «dann kommst du nicht zurück.»
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