Vergleich der Stars & LegendenShiffrin, Gut-Behrami, Vreni Schneider: Wer ist die beste Skifahrerin der Geschichte?
Mikaela Shiffrin steht kurz vor der magischen Marke von 100 Weltcupsiegen. Welche Rekorde sie noch knacken könnte – und wie die Schweizerinnen im Vergleich abschneiden. Eine Datenanalyse.
Diesen Samstag beim Riesenslalom vor heimischem Publikum in Killington, Vermont, könnte es bereits so weit sein: Mikaela Shiffrin braucht nur noch einen Triumph, um die magische Marke von 100 Weltcupsiegen zu knacken. Nie zuvor kam eine Skirennfahrerin oder ein Skirennfahrer in die Nähe dieses Fabelrekords. Avanciert die US-Amerikanerin damit endgültig zur Besten der Geschichte?
Dieser Frage sind wir nachgegangen und haben Daten zu allen wichtigen Rennen analysiert: im Weltcup, bei Olympia und Weltmeisterschaften. Am aussagekräftigsten ist für unseren grossen Vergleich der Weltcup. Denn hier zählen die Leistungen während eines ganzen Winters, nicht nur die eines einzelnen Tages. Und so viel vorweg: Shiffrin ist in vielen Rankings ganz vorne zu finden – aber nicht überall.
Was zählt am meisten? Die Anzahl Siege in einzelnen Rennen, in verschiedenen Disziplinenwertungen (Slalom, Riesenslalom, Super-G und Abfahrt) oder im Gesamtweltcup? Aus unserer Sicht ist es Letzteres. Deshalb vergeben wir für den Gewinn von grossen Kristallkugeln 15 Punkte, für kleine Disziplinenkugeln 5 Punkte und für Weltcupsiege 1 Punkt. Mikaela Shiffrin kommt so auf ein Total von 229 und lässt ihre Landsfrau Lindsey Vonn, die in diesem Winter ein Sensations-Comeback feiert, und die österreichische Legende Annemarie Moser-Pröll hinter sich.
Und Lara Gut-Behrami? Sie hat bis jetzt 105 Punkte gesammelt und liegt auf dem achten Rang unserer Bestenliste. Nur eine Landsfrau ist erfolgreicher: Vreni Schneider, die in den 1980er- und 90er-Jahren etliche Siege feierte und dreimal den Gesamtweltcup gewann. Die Glarnerin avancierte so nicht nur zu einer Skilegende, sondern vielleicht auch zur beliebtesten Schweizer Sportlerin überhaupt.
Anders als Shiffrin und Schneider, die einen Grossteil ihrer Siege in den technischen Disziplinen herausfuhren, feierte Gut-Behrami vor allem im Super-G viele Erfolge. Fünf ihrer sechs kleinen Kugeln holte sie in ihrer Paradedisziplin. Damit hält sie zusammen mit Lindsey Vonn und der Deutschen Katja Seizinger den Rekord für die meisten Gesamtsiege im Super-G. Hier dürfte ihr Shiffrin, die sich erst einmal diese kleine Kugel geholt hat, kaum noch gefährlich werden.
Zwei weitere Bestmarken gehören Gut-Behrami ganz allein: Sie war in der vergangenen Saison mit 32 Jahren und 11 Monaten die älteste Gesamtweltcupsiegerin der Geschichte. Und die Anzahl Tage zwischen ihrem ersten und dem bisher letzten Weltcupsieg beträgt 15 Jahre, 2 Monate und 13 Tage. Damit übertrifft sie sogar die schwedische Legende Ingemar Stenmark, der diesen Vergleich bei den Männern anführt. Es zeigt, dass Gut-Behrami schon länger als jede andere an der Weltspitze mithält.
Trotzdem kann sie Shiffrins Jagd nach dem 100. Weltcupsieg nur aus der Ferne bestaunen. Die US-Amerikanerin ist diesbezüglich schon seit dem Januar 2023 alleinige Rekordhalterin vor ihrer Landsfrau Lindsey Vonn und hat ihren Vorsprung seither stark ausgebaut. Wenn sie verletzungsfrei bleibt, hat Shiffrin noch einige Saisons vor sich und kann diese Zahl weiter nach oben schrauben.
Gut-Behrami liegt mit 45 Weltcupsiegen auf dem sechsten Rang. Ein paar Plätze könnte sie im weiteren Verlauf ihrer Karriere noch gutmachen. Auf Schneider fehlen ihr noch 10 Siege – alleine in der letzten Saison triumphierte sie achtmal. Doch auf das Podest im Generationenvergleich wird es die Tessinerin kaum mehr schaffen. Bei Gut-Behramis Marke von 45 Siegen war Vonn schon im Alter von 27 Jahren angelangt, Moser-Pröll und Shiffrin erreichten das sogar schon mit 23 Jahren.
Diese Saison hat Shiffrin schon wieder zweimal gewonnen. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber ihr Rekord könnte tatsächlich einer für die Ewigkeit sein – zumal sie ihn weiter ausbauen wird.
Grossanlässe sind etwas ganz anderes als der Weltcup. Die Olympischen Winterspiele etwa finden nur alle vier Jahre statt, und die Fahrerinnen müssen am Tag X ihre Leistung abrufen. Ein einziges Rennen entscheidet. Und das scheint Lara Gut-Behrami nicht so zu liegen. Sie schafft es mit drei Medaillen an drei Spielen, zwei davon bronzen, nur auf Rang 23 der Bestenliste. Dafür ist mit Vreni Schneider eine andere Schweizerin auf dem Olympia-Podest.
Die noch aktive Wendy Holdener ist ebenfalls weit vorne zu finden. Sie hat wie Schneider insgesamt fünf Medaillen gewonnen, aber weniger oft Gold. Mit Michelle Gisin und Marie-Theres Nadig sind zwei weitere Schweizerinnen vor Gut-Behrami platziert. Gleiches gilt für Mikaela Shiffrin, die aber ausnahmsweise mal nicht auf den vorderen Rängen zu finden ist. Auf die Kroatin Janica Kostelić und die Schwedin Anja Pärson fehlen ihr noch drei Medaillen.
Wir freuen uns an Olympia auch über Silber- und Bronzemedaillen von Schweizerinnen. Für manche zählt aber nur der Sieg. So gesehen wären etliche Fahrerinnen mit zwei oder drei Goldmedaillen noch vor Pärson, darunter Vreni Schneider und Shiffrin. Gut-Behrami nicht. Sie holte erst einmal Gold, im Super-G von Peking 2022.
Ob die Tessinerin bei den Winterspielen 2026 in Cortina d’Ampezzo starten will, ist ungewiss. Und selbst wenn, ist nicht sicher, ob sie zum Zeitpunkt der Wettkämpfe verletzungsfrei und gesund sein wird. Es ist also fraglich, ob sie ihre Olympia-Bilanz noch aufbessern kann. Bei der vier Jahre jüngeren Shiffrin hingegen ist das durchaus möglich.
An alpinen Skiweltermeisterschaften, die alle zwei Jahre stattfinden, weisen sowohl Gut-Behrami als auch Shiffrin eine deutlich bessere Bilanz auf als bei Olympia. Die Schweizerin liegt auf Platz acht im historischen Vergleich – keine Landsfrau ist oder war besser. Shiffrin ist gar auf dem Podest, knapp hinter Rekordhalterin Christl Cranz, die in den 1930er-Jahren für das Deutsche Reich startete. Sie holte 15 Medaillen, 12 davon golden.
Zwei Titel werden Cranz nicht einmal angerechnet. Sie errang die beiden Goldmedaillen bei der international nicht anerkannten WM 1941, an der viele Nationen aufgrund der politischen Umstände gar nicht teilnehmen konnten. Die Erfolge von Cranz werden aufgrund ihrer umstrittenen Beziehung zu den Nationalsozialisten, von deren Förderung sie profitierte, denn auch kritisch beäugt. Es ist aber gut möglich, dass die Deutsche ohnehin bald nicht mehr zuoberst auf dem Podest stehen wird. Denn Shiffrin braucht nur noch eine weitere Medaille, um zu ihr aufzuschliessen, und zwei, um sie zu überholen. Das ist realistisch.
Gut-Behrami könnte ebenfalls noch einige Fahrerinnen überholen, ganz nach vorne wird es ihr aber wohl nicht mehr reichen. Das ist vielleicht bedauerlich für sie, sagt aber nicht viel darüber aus, wer die Beste der Geschichte ist. Christl Cranz oder Janica Kostelić würden die wenigsten als solche bezeichnen, obwohl sie an Weltmeisterschaften und bei Olympia am erfolgreichsten waren. Kostelić gewann zudem noch dreimal den Gesamtweltcup, fünf Weltmeistertitel und konnte als eine von nur sieben Athletinnen in allen Disziplinen Weltcupsiege erringen.
Shiffrin und Vonn gehören ebenfalls zu diesem erlauchten Kreis. Macht sie das zu den Besten der Geschichte? Oder kann doch die Schweizer Legende Vreni Schneider diese Bezeichnung für sich beanspruchen, weil sie ihre Erfolge in kürzerer Zeit herausfuhr als die beiden Amerikanerinnen? Oder Lara Gut-Behrami, weil sie schon länger als jede andere in der Weltspitze mitfährt?
Im Dezember 2023 erhielt Gut-Behrami zum zweiten Mal die Auszeichnung als Schweizer Sportlerin des Jahres. Das war noch vor ihrem grossen Triumph im Weltcup letzte Saison. Seither hat sie weiter Sympathien gesammelt – nicht nur dank ihrer Erfolge, sondern auch, weil sich ihr Image gewandelt hat. Einst wurde sie als «Zicke Nummer 1 im Skizirkus» verunglimpft. Doch Gut-Behrami hat sich trotz aller Widerstände immer wieder zurückgekämpft und ihre unkonventionelle Karriere im vergangenen Winter mit drei Kugeln gekrönt.
Wenn man sie nur an den Zahlen misst, ist sie nach Vreni Schneider klar die beste Schweizer Skifahrerin der Geschichte. Und wenn Gut-Behrami die Form der letzten Saison wiederfindet, kann sie der Legende bei der ein oder anderen Bestmarke noch gefährlich werden. Ausser Reichweite wird hingegen Shiffrin bleiben, die – wenn sie so weitermacht – zur unumstrittenen «Greatest of All Time» avancieren wird.
Fehler gefunden?Jetzt melden.