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Zwölf Stunden schuften pro Tag
Shein gerät weiter unter Druck

Workers make clothes at a garment factory that supplies SHEIN, a cross-border fast fashion e-commerce company in Guangzhou, in China’s southern Guangdong province on July 18, 2022. (Photo by Jade Gao / AFP)
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Eine Riesenauswahl an Mode zu Billigpreisen bietet Shein. Die chinesische Onlineplattform ist seit ihrer Gründung 2012 mit einer täglich wechselnden Auswahl an Kleidern, Shirts, Hosen und Schuhen enorm gewachsen. Geblümte Sommerkleider gibts für um die 15 Franken, das bauchfreie Top für 5.99 oder Damen-Slipper für 12 Franken. Zusätzlich locken regelmässig Rabatte von 50 Prozent und mehr.

6000 neue Produkte stehen pro Tag zum Verkauf, der Umsatz, den der Moderiese mit Ultra-Fast-Fashion-Artikeln erwirtschaftet, hat sich zwischen 2019 und 2022 verzehnfacht – von 3,2 Milliarden Dollar auf 30 Milliarden. Die E-Commerce-Beratung Carpathia schätzt den Umsatz in der Schweiz im vergangenen Jahr auf etwas mehr als 150 Millionen Franken – dreimal so viel wie 2022.

Laut Bloomberg ist Shein mittlerweile 45 Milliarden Dollar wert. Noch in diesem Jahr könnte ein Börsengang erfolgen – entweder in den USA oder in London.

Erste Recherche deckte grobe Mängel auf

Mit dem rasanten Wachstum der Billigplattform rücken auch die Arbeitsbedingungen in den Fokus, unter denen die Näherinnen und Näher in chinesischen Produktionsstätten für die Herstellung der Ware schuften müssen. Laut Abgaben von Shein arbeiten weltweit fast 10’000 Personen für das Unternehmen. Mit mehr als 5000 Lieferanten bestehen Kooperationen.

Shein ist eigentlich nur die Plattform, auf der Händler ihre Ware verkaufen. Dementsprechend arbeiten die Angestellten für die Zulieferer und nicht für Shein direkt. Was das Unternehmen jedoch auch als Plattform nicht davon entbindet, eine gewisse Verantwortung zu übernehmen.

So gibt es beispielsweise einen Verhaltenskodex für Zuliefererbetriebe. Und Shein schreibt sich Nachhaltigkeit in allen Belangen gross auf die Fahne, wie auf der Firmenwebseite zu lesen ist. Unter anderem wolle man «das Leben der Menschen in den Gemeinden, die wir erreichen und in denen wir tätig sind», verbessern.

Ob die Arbeitsbedingungen in China legal sind, recherchierte die Nichtregierungsorganisation (NGO) Public Eye bereits 2021 durch eine Befragung unter den Arbeiterinnen und Arbeitern. Und deckte grobe Missstände unter anderem beim Lohn und den Arbeitszeiten auf.

Überstunden und tiefe Löhne

Damals gab Shein an, die «erschreckenden Befunde» ernst zu nehmen. Und veröffentlichte die Zusammenfassung eines Berichts auf seiner Website. Darin gab das Unternehmen an, sich für ein «sicheres und faires Arbeitsumfeld für alle Mitarbeiter unserer Zulieferer» einzusetzen. Man zahle den Zulieferern «wettbewerbsfähige Preise», damit sie ihre Mitarbeiter unterstützen könnten. Auch die Gehälter seien überprüft worden.

Nun zeigt eine zweite Untersuchung von Public Eye aus dem Spätsommer 2023, die dieser Redaktion vorliegt: Überstunden und tiefe Löhne prägten weiter den Alltag der befragten Arbeiterinnen und Arbeiter. Insgesamt wurden Angestellte in sechs verschiedenen Betrieben in der südchinesischen Provinz Guangdong befragt.

Durchschnittlich arbeiteten diese Personen 12 Stunden am Tag und das mindestens an sechs, meist an sieben Tagen in der Woche, bei einem Monatslohn von durchschnittlich 2400 Yuan, was rund 300 Franken entspricht. Laut Public Eye liegt ein Lohn, um eine Familie in China zu ernähren, bei rund 830 Franken im Monat.

Shein nahm dazu gegenüber dieser Redaktion bis Redaktionsschluss keine Stellung. Auf der Website steht jedoch, Shein setze sich für die «Einhaltung hoher Arbeitsstandards in seiner gesamten Lieferkette» ein. Man setze einen «strengen Verhaltenskodex» für alle Zulieferer durch, der mit den «örtlichen Arbeitsgesetzen» in Einklang stehe.

Neue Auflagen für Shein in der Schweiz

Mit dem rasanten Aufstieg wächst die Kritik am chinesischen Unternehmen. Nicht nur vonseiten der NGOs. Denn im Vergleich zu Produkten aus der EU sind jene aus China nicht nach EU-Richtlinien zertifiziert. Das heisst, sie erfüllen die Sicherheitsstandards und gesetzlichen Anforderungen der EU und der Schweiz vielfach nicht. Und können womöglich Giftstoffe enthalten oder leicht entflammbar sein. Verschiedene Länder diskutieren Massnahmen, um Shein in die Schranken zu weisen.

In der Schweiz fordern Politikerinnen und Politiker und der Detailhandelsverband Swiss Retail Federation gleich lange Spiesse für den Handel und ein Einfuhrverbot für Billigartikel, die den Schweizer Vorschriften nicht entsprechen. Auch ein Werbeverbot, wie Frankreich es plant, wird verlangt.

Eine erste Massnahme gilt ab dem 1. Januar 2025 für ausländische Onlinehandelsplattformen wie Temu und Shein: Dann tritt die Plattformbesteuerung im Zuge der Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes in Kraft. Für Händler wie Shein bedeutet das: Sie müssen sich in der Schweiz registrieren und regelmässig Auskunft über den im Land erwirtschafteten Umsatz geben. Auf diesen Umsatz muss dann die Mehrwertsteuer von 8,1 Prozent gezahlt werden.

Wer sich nicht registriert, muss mit Konsequenzen rechnen: Die Schweiz kann ein Einfuhrverbot verhängen oder sogar die Ware vernichten lassen. Die Namen der Unternehmen, die von diesen Massnahmen betroffen sind, können öffentlich gemacht werden.

«Das erste Mal hat die Schweiz die Möglichkeit, ausländische Firmen abzustrafen», sagt Bernhard Egger vom Verband der Schweizer Filialunternehmen und Versandhändler, Handelsverband.swiss. Der Geschäftsführer erwartet nicht, dass Shein sich den neuen Regeln widersetzen wird.

Allerdings lasse sich nur schwer kontrollieren, ob die für die Schweiz angegebenen Umsatzzahlen auch der Realität entsprächen, sagt Egger. Man müsse sich nach Schätzung anhand von Hochrechnungen der Paketmengen richten, die durch die Schweizerische Post, DPD oder Planzer erhoben werden.

Für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten könnten die Produkte von Shein auf Dauer teurer werden. Denn: «Die Produkte werden für ausländische Plattformen um diese 8,1 Prozent teurer», sagt Egger. Und es sei durchaus denkbar, dass Shein diesen Mehrbetrag auf die Produkte aufschlagen werde.

Fraglich bleibt, wie sich die Mehrkosten für Shein auf die Löhne der Näherinnen und Näher in Guangdong auswirken werden.