Auf Netflix und Disney+ Die intelligente Eventserie ist zurück – mit diesen beiden Epen
«Game of Thrones» war das letzte Fernseh-Epos. Jetzt laufen gleich zwei Serien, die mit dem Fantasy-Meisterstück verglichen werden: «3 Body Problem» und «Shōgun».
Die zwei Serien könnten unterschiedlicher nicht sein. «3 Body Problem» (Netflix) ist die Umsetzung der preisgekrönten Science-Fiction-Trilogie von Cixin Liu, auf Deutsch unter dem Titel «Die drei Sonnen» erschienen. «Shōgun» (Disney+) adaptiert den gleichnamigen einflussreichen Roman von James Clavell über die Samurai um 1600.
Trotzdem haben sie Ähnlichkeiten: Beide Serien beruhen auf dicken Vorlagen, spielen an Schauplätzen in Asien, leben von einem verwickelten Plot und verwirren das Publikum.
Gerade weil sie niemanden für dumm verkaufen, werden beide Geschichten als Serienereignis gefeiert. Gleich zwei intelligente Epen aufs Mal, die beide an «Game of Thrones» herankommen.
Ohne diesen Vergleich kommt kaum ein Bericht aus, auch wenn er leicht übertrieben ist. Im Fall von «3 Body Problem» liegt es an den Schöpfern selbst: David Benioff und D. B. Weiss verbrachten ein Jahrzehnt ihres Lebens als «Game of Thrones»-Showrunner. Die 1000 Seiten von den «Drei Sonnen» lasen sie auf einem Langstreckenflug. Sie waren praktisch gleichzeitig fertig und sagten sich: Das müssen wir machen.
Wer die Trilogie gelesen hat, kann sich kaum vorstellen, wie das auf einem Fernsehschirm funktionieren soll. Der chinesische Autor Cixin Liu denkt sich genialische Szenarien aus, ohne dafür gleich eine ganz Raumschiffflotte aufzufahren.
Die Trilogie (und die Serie) setzen zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution ein. Die Forscherin Ye Wenjie muss miterleben, wie ihr Vater exekutiert wird. Sein Vergehen: der Gebrauch von westlicher Naturwissenschaft. Sie selbst wird für die Arbeit in einer Einrichtung rekrutiert, in der irgendwann ein ausserirdisches Signal ankommt. Aliens klopfen an und bitten Ye Wenjie, nicht zu antworten, da sie sonst eine Invasion vorbereiten würden. Die Forscherin aber, zutiefst enttäuscht über die Menschengattung, sendet ein Zeichen.
Was darauf folgt, hat auch die Showrunner von «Game of Thrones» vor grössere Herausforderungen gestellt. Wie zeigt man ein fünfdimensionales Objekt, das sich durch einen dreidimensionalen Raum bewegt? Wie um Himmels willen erklärt man dem Netflix-Publikum, was es mit dem Dreikörperproblem auf sich hat?
Die Antwort fällt amerikanisch-pragmatisch aus. Die Serie lässt weg, dichtet hinzu, sortiert neu. Die Serienmacher trafen sich mit Cixin Liu, er war mit den Änderungen einverstanden. Die Ideen seien ihm wichtig gewesen, heisst es, aber die Figuren dürfe man aus seiner Sicht schon noch entwickeln.
«3 Body Problem» tut genau das und erfindet ein Team von brillanten jungen Forschenden in Oxford. Sie sehen aus, als könnten sie auch in einer Seifenoper über ein Start-up mitspielen. Zum Glück kommt noch ein unansehnlicher Ermittler vor, der Kette raucht.
Cixin Lius Einfälle aber haben überlebt: «3 Body Problem» bleibt auch als Serie spekulatives Erzählen, das unsere Vorstellungskraft in neue Dimensionen faltet und Ideen vorschlägt, die wie ein Mix aus Zaubertrick und Denksportaufgabe wirken. Gleichzeitig zeigt die Serie eine Menschheit, die sich angesichts einer bevorstehenden Bedrohung zusammenraufen muss. Lies: Klimakatastrophe.
Barack Obama, Elon Musk und Mark Zuckerberg sind erklärte Fans der Romantrilogie. Auch ein gewisser George R. R. Martin, Erfinder von «Game of Thrones», gehört dazu. Netflix hat bereits eine zweite Staffel in Planung, selbst wenn die Reaktionen nach den ersten Vorführungen teils zurückhaltend waren. Die Urteile reichten von «verwirrend» bis «langsam».
Kritik haben auch die Macher von «Shōgun» zu hören bekommen. In der Serienumsetzung von James Clavells Samurairoman von 1975 höre man so viel Japanisch und lese so viele Untertitel, dass man genauso gut die Vorlage lesen könne.
In «Shōgun» wird das Machtvakuum im japanischen Kriegeradel um 1600 dadurch kompliziert, dass sich katholische und protestantische Seefahrer gegenseitig bekämpfen. Der englische Navigator John Blackthorne soll in Japan die portugiesischen Handelsrouten unterbrechen. Erst muss er sich aber mit den Samurai herumschlagen, die ihn den «Barbaren» nennen.
In den USA prägte der Roman das Japanbild von Generationen. 1980 wurde eine Fernsehserie mit Richard Chamberlain produziert, die nicht einmal die japanischen Dialoge untertitelte. Das geht heute natürlich nicht mehr: Die Serienschöpfer ernannten den Schauspielveteranen Hiroyuki Sanada, der den Feudalherrscher Yoshii Toranaga spielt, auch gleich zum kulturellen Berater.
Nun werden in «Shōgun» die Kimonos korrekt getragen und verschiebt sich der Blick weg vom westlichen Orientalismus: Anstatt mitzuerleben, wie ein Weisser ein exotisches Land erzieht, beobachten wir, wie die Japaner auf den ungehobelten Engländer reagieren. Disney+ hat mit «Shōgun» einen Hit, die erste Folge wurde beim Start 9 Millionen Mal geschaut.
«3 Body Problem» und «Shōgun» bringen die intelligente Eventserie zurück. Beide Titel ragen als Ereignisse aus der Masse heraus und nehmen ihre komplexen Vorlagen ernst.
Wo hat man zuletzt eine Szene gesehen wie in «3 Body Problem», in der wir in einer virtuellen Umgebung ein Millionenheer dabei beobachten, wie es ein gigantisches Logikgatter simuliert, also quasi einen Computer aus Menschenkörpern?
Die «Shōgun»-Macher ihrerseits liessen die Dialoge im Englisch verfassten Roman ins Japanische übersetzen und von einem Dramatiker in die richtige historische Form bringen. Diese Szenen wiederum wurden in Kleinstarbeit mit englischen Untertiteln versehen. Auch «Shōgun» hält uns für klug genug.
Was die beiden Serienereignisse übrigens am stärksten mit «Game of Thrones» verbindet: Hier wie dort kommen Figuren auf äusserst gewaltsame Weise zu Tode.
«3 Body Problem», auf Netflix. «Shōgun» auf Disney+.
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