«The Zone of Interest»-Regisseur im Interview«Für sie war Auschwitz ihr behagliches Heim»
Jonathan Glazer drehte einen bahnbrechenden Film über die ordinäre Spiessigkeit der KZ-Massenmörder. «The Zone of Interest» ist nun für den Oscar nominiert.
Das Interview findet kurz vor der Verleihung des Europäischen Filmpreises in Berlin statt, bei dem Jonathan Glazers Film «The Zone of Interest» sechsmal nominiert war und unerklärlicherweise nur einen einzigen Preis gewonnen hat, und zwar für den besten Ton. Dafür hat er mit seinem Werk, das nun im Kino ist, bald Chancen bei den Oscars, es ist fünfmal nominiert.
«The Zone of Interest» ist ein sehr stylisher Film, der in grausam schönen Bildern vom Alltag des Ehepaars Höss erzählt, des Kommandanten von Auschwitz und von dessen Frau, die mit ihren Kindern in einer Villa wohnen, die direkt ans Konzentrationslager grenzt. Der Film zeigt keine Gewalt und kein Opfer und macht dem Zuschauer das, was an diesem Ort geschehen ist, dennoch so präsent, dass er sich schon jetzt in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Als Auftrag, niemals zu vergessen. (Lesen Sie unsere Filmkritik: Kinder spielen im Garten, dahinter steigt Rauch aus Auschwitz’ Kaminen)
Jonathan Glazer, wann immer Sie während der Finanzierungsphase irgendjemandem Ihren Film erklären sollten, zeigten Sie ein Foto und sagten: Das wird der Film. Was war auf diesem Foto zu sehen?
Es war ein Schnappschuss von Hedwig Höss mit vier ihrer fünf Kinder, aufgenommen von ihrem Mann Rudolf Höss. Auf der Filmrolle waren insgesamt 26 Aufnahmen, die alle die glückliche, gesunde Familie Höss in ihrem hübschen Garten zeigen.
Rudolf Höss war der Lagerkommandant von Auschwitz. Mit seiner Familie bewohnte er eine Villa direkt neben dem Konzentrationslager. Der Gartenzaun der Familie Höss war zugleich die Gefängnismauer.
Interessanterweise ist auf dieser Filmrolle kein einziges Mal die Mauer zu sehen. Sie blickten direkt auf Auschwitz, aus ihren Fenstern im zweiten Stock sah man das Krematorium und die Baracken, aber auf ihren Fotos wollten sie die mit Stacheldraht versehene Mauer nicht haben. Das finde ich psychologisch faszinierend. Auf dem einen Foto lächelt Hedwig Höss, mit geschlossenen Lippen. Im Hintergrund tollen die Kinder um den Gartenpool. Das ist der Film, sagte ich, aber wir werden auch die Mauer zeigen.
Ihr Film nähert sich dem Holocaust aus einer ungewohnten Perspektive. Zu sehen sind ausschliesslich die Täter, die Hauptrolle hat das Ehepaar Höss. Warum haben Sie sich für diese Erzählweise entschieden?
Üblicherweise erzählen Filme von den Opfern. Wir sollen uns mit ihnen identifizieren, und das ist auch wichtig. Aber wir sollten auch die Täter im Blick haben, sonst machen wir es uns zu leicht. Man vermeidet das gern, wohl aus Angst, was wir entdecken könnten. Wir fürchten uns davor, in den Tätern ganz normale Menschen zu sehen. Menschen wie uns. Aber das waren sie. Und genau das ist das Monströse. Dass ganz normale Menschen zu so etwas fähig sind. Wir lullen uns gern damit ein, dass wir damit nichts zu tun haben. Wir dämonisieren die Täter als böse, als Monster, und halten sie uns so vom Leib. Es ist eine schwierige Erkenntnis, dass ganz normale Leute zu den grausamsten Dingen fähig sein können.
Welche Fallen gibt es, wenn man vom Holocaust erzählt?
Ich wollte auf keinen Fall die Gräueltaten nachstellen, die Gewalt zeigen. Weder nachgespielt noch als Archivmaterial. Ich teile Claude Lanzmanns Standpunkt, dass dieser Horror nicht dargestellt werden kann. Ich glaube aber nicht, dass wir den Holocaust als etwas Monolithisches, Unantastbares betrachten sollten, über das man nicht sprechen kann. Ich glaube, wir müssen darüber reden und uns der Tatsache stellen, dass so etwas wieder geschehen kann, da wir als Menschen zu solchen Verbrechen fähig sind. Man muss daher versuchen, etwas über das Wesen des Menschen zu verstehen.
Sie haben die Familie Höss gründlich studiert. Was waren das für Menschen?
Wir haben wirklich alles gelesen, was sich in Archiven über sie fand, jede Zeugenaussage, jede Erwähnung. Das Erschütternde war, wie grotesk normal diese Leute waren. Sie waren spiessig auf eine moderne Weise, strebten nach den gleichen Sachen wie wir heute. Ein Haus mit Garten, ein Mann, der Karriere macht, schicke Anziehsachen … Die Dissoziation von den Verbrechen, die sie begehen, ist schwindelerregend.
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Ihr Film erzählt vom Holocaust eigentlich nur über den Sound. Während man die Familie Höss bei ihrem recht ereignislosen Alltag sieht, sind von nebenan Hundegebell, Schreie, Schüsse zu hören. Es sind nur Geräusche – und der ganze Schrecken, den sie repräsentieren, ist extrem präsent.
Es sind eigentlich zwei Filme. Einer, den man hört. Und einer, den man sieht. Die Erfahrung beim Zuschauen ist die Überschneidung dieser beiden Filme. Das war das Projekt. Beim Drehen mussten wir uns Film zwei, also den Sound aus dem Lager, vorstellen. Für die Schauspieler war das bestimmt von Vorteil. Sie sollten ja agieren, als blendeten sie die grausame Realität völlig aus.
Wie wirklichkeitsnah sind die Geräusche? Weiss man, wie Auschwitz klang?
Es gibt natürlich keine Tonaufzeichnungen, aber es gibt Aussagen von Überlebenden, Bücher, historisches Wissen. Wir haben ein Tonarchiv angefertigt, mit allen Geräuschen, die es damals dort realistischerweise gab. Auch das unaufhörliche, monströse Maschinengeräusch der Öfen. Es hat ein Jahr gedauert, den Ton zu erschaffen. Es war eine gewaltige Anstrengung.
«Sie haben Unvorstellbares ignoriert, um ihren kleinen idyllischen Alltag zu geniessen.»
Manchmal hustet jemand, und man weiss, was in der Luft liegt. Es muss auch gestunken haben. Rudolf Höss hat während der Nürnberger Prozesse selbst ausgesagt, wegen der ununterbrochenen Körperverbrennungen habe ein «fauler und Übelkeit erregender Gestank» die ganze Gegend durchdrungen.
Und doch war die Villa mit ihrem schönen Garten für die Familie Höss ein Paradies. Sie haben Unvorstellbares ignoriert, um ihren kleinen idyllischen Alltag zu geniessen.
Sie haben in Oświęcim gedreht, also am Originalschauplatz, in unmittelbarer Nachbarschaft zur ehemaligen Höss-Villa. Warum war es Ihnen wichtig, an diesem Ort zu sein?
Weil es dort geschehen ist. Und das weiss man in jedem Moment. Dadurch ist alles aufgeladen. Das war auch für die Schauspieler wichtig. Ein paar Szenen haben wir in der echten Höss-Villa gedreht, ansonsten in einem originalgetreuen Nachbau ganz in der Nähe. Hinzu kam diese besondere Art, wie wir drehten. Auch das trug zur Spannung bei.
In den Räumen der Villa waren unbewegliche Kameras installiert. Bis zu zehn Kameras zeichneten parallel auf, was im Haus vor sich ging, so konnten Szenen, die gleichzeitig in verschiedenen Zimmern stattfanden, synchron gedreht werden. Als «Big Brother im Nazi-Haus» haben Sie die Methode beschrieben. Was war der Zweck?
Ich wollte diese Figuren nicht fetischisieren. Kino tut das. In vielen Filmen, die vom Dritten Reich erzählen, werden die Nazis heroisiert, auch wenn das bestimmt unbeabsichtigt ist. Aber sie sehen elegant und schneidig aus, man filmt sie von unten, schaut zu ihnen auf. Man macht Filmbösewichter aus ihnen und verwandelt den wahren Horror in ein blosses Genre. Ich wollte auf keinen Fall dazu beitragen, diese Menschen in irgendeiner Form aufzuwerten. Ich wollte sie beobachten, wie mit Überwachungskameras. Ausserdem wollte ich nicht, dass die Geschichte museal wirkt. Sie musste mit einem gewissen Mass an Dringlichkeit und Alarm erzählt werden. Es sollte sich gegenwärtig anfühlen, weil das Thema gegenwärtig ist.
Die Kostüme wirken neu, das Haus ist frisch gestrichen, der Garten sorgfältig gepflegt.
Das Problem vieler Filme, die von dieser Zeit erzählen, ist, dass sie in ihrer ganzen Anmutung historisch wirken. Kostüme wirken verstaubt, alles hat etwas Ältliches. Auch das hilft natürlich, sich diese Geschichte vom Leib zu halten. Ist lang her. Es war mir sehr wichtig, dass das alles modern aussieht. Denn das tat es ja damals. Das Haus war erst wenige Jahre zuvor erbaut worden, der Garten frisch angelegt, die Kleidung, die Uniformen ganz neu.
Während Ihrer Recherche fanden Sie irgendwo die Beschreibung, Rudolf Höss sei wie ein «Lehrer gewesen, der Blumen pflückt». Was hat Ihnen dieses Detail erzählt?
Das stammt von einem amerikanischen Militärpsychologen, der ihn untersuchte. Er nannte Höss auch einen «durch und durch unscheinbaren Mann». Anderswo wurde er als «undynamisch» beschrieben. Und vom Typ her «wie ein Lebensmittelverkäufer». Und für Primo Levi war er ein stiller und eifriger Narr. Auf solchen Aussagen basiert der Film. Auch einige Dialoge beruhen auf Zeugenaussagen. Einmal sagt Hedwig Höss zu einer Bediensteten, wenn sie, Hedwig Höss, es wolle, würde ihr Mann die Asche dieser Frau über den Feldern von Babice verstreuen. Das ist verbürgt. Und ein Gärtner hörte eine Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar Höss mit, die für den Film zentral ist. Da teilte Rudolf Höss seiner Frau mit, dass er versetzt werden sollte, und sie war darüber schrecklich aufgebracht.
«Man muss mich schon hier heraustragen», sagt sie im Film.
Dieser Satz fand sich in der Zeugenaussage. Darin steckt der ganze Horror dessen, wer diese Menschen waren. Für sie war Auschwitz ihr behagliches Heim. Hedwig Höss hat ihren Garten geliebt, der nach ihren Entwürfen gestaltet wurde. Man weiss, dass die Beete mit der Asche ermordeter Häftlinge gedüngt wurden. Und sie wusste es auch. Sie sollten die Erdbeeren vor dem Verzehr immer gut waschen, wegen der Asche, soll sie zu ihren Kindern gesagt haben. Als ich solche Zeugenaussagen las, wusste ich, dass ich mir für meinen Film nicht noch zusätzlich irgendeine dramatische Handlung ausdenken muss. Ich habe sogar die wenigen dramatischen Szenen, die ich im Drehbuch hatte, alle wieder gestrichen.
Sandra Hüller spielt Hedwig Höss sehr physisch. Ihre Körpersprache hat etwas Bäurisches, Erdiges. Wie hat sie sich dieser Figur angenähert?
Sie hat es ganz bewusst ohne Empathie getan. Sie wollte sich dieser Figur nicht nahe fühlen, und das ist anders, als sie sonst arbeitet. Von Hannah Arendt stammt der Satz: «Alles Denken verlangt ein Innehalten.» In Sandras Performance gibt es kein Innehalten. Sie bewegt sich unaufhörlich in dieser Rolle, immer tut sie etwas, hält sich auf diese Weise das Denken vom Leib.
Als Zuschauer fühlt man nicht mit den Charakteren. Es gibt keine Identifikationsfigur, man beobachtet nur.
Distanz war ganz elementar. Man soll sich nicht einfühlen, sondern sich selbst auf die Figuren projizieren, sich selbst in ihnen sehen. Sich wiedererkennen in ihrer banalen Normalität. Der Film fordert dazu auf, sich selbst gegenüber wachsam zu sein. Wir haben es in uns, uns für die falsche Seite zu entscheiden.
Es gibt eine Erzählebene, die wie ein Fremdkörper aus dem übrigen Film hervorsticht. Ein junges Mädchen legt nachts, von einer Wärmebildkamera gefilmt, Äpfel für die Gefangenen aus. Warum gibt es diese Ebene?
Für mich ist sie in diesem Film eine Art von Energie. Das Mädchen basiert auf einer wahren Person. Eine Polin, die ich kennen gelernt habe, als sie 90 Jahre alt war. Es ist ihre Geschichte. Sie wuchs in Auschwitz auf und fuhr nachts heimlich mit dem Fahrrad durch die Umgebung und legte für Häftlinge, für Zwangsarbeiter Äpfel und Birnen aus. Sie starb, ein paar Wochen nachdem sie mir ihre Geschichte erzählt hatte. Ihr Erzählstrang symbolisiert die andere Seite von uns. Denn selbst in diesen Zeiten gab es gute Menschen.
«Man muss alles daransetzen, diesen Krieg nicht gegen die Leugner und Lügner zu verlieren.»
Sie haben in der Entstehung dieses Films eng mit der Gedenkstätte Auschwitz zusammengearbeitet. Halten Sie es für wichtig, dass es solche Orte für die Erinnerung gibt?
Es ist meines Erachtens von entscheidender Bedeutung, dass solche Orte existieren. Die Tatsache, dass es sie gibt, dass man dort hinkann, dass es konkret ist, dass man dieselben Steine anfassen kann, macht es real. Wenn man dort ist, kann man nicht leugnen, dass es geschehen ist. Jede Anstrengung, diese Orte zu erhalten, muss hart erkämpft und gewonnen werden. Der Film möchte dazu beitragen.
Haben Sie den Film auch gemacht, weil die letzten Zeitzeugen sterben?
Es war keine bewusste Entscheidung, aber das Bewusstsein dafür hat bestimmt eine Rolle gespielt. Auch Holocaustleugnung, Geschichtsrevisionismus, all diese Bestrebungen im öffentlichen Raum, die Tatsachen zu verdrehen. Es herrscht ein Krieg über die Wahrheit. Man muss alles daransetzen, diesen Krieg nicht gegen die Leugner und Lügner zu verlieren.
Haben Sie selbst Holocaustüberlebende oder Opfer in der Familie?
Nicht im engeren Kreis. Meine Familie stammt aus Russland. Sie flohen noch zu Zeiten des Zaren vor dortigen Pogromen. Es gibt entferntere Verwandte, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Aber meine Grosseltern kamen lange vor Hitlers Machtergreifung als kleine Kinder nach England. Sie sprachen Jiddisch.
Als Sie Ihrem Vater, der inzwischen nicht mehr lebt, erzählten, Sie wollten einen Film machen, der den Holocaust zum Thema hat, sagte der: «Let it rot.» Lass es bleiben, lass es verrotten. Konnten Sie das verstehen?
Er fand, warum daran rühren, warum das ausgraben? Warum nicht besser etwas anderes machen? Ich habe ihn verstanden. Er meinte es liebevoll. Er wollte mir helfen. Und ich wünschte, man könnte das Thema einfach ruhen und verrotten lassen, aber es ist in der Welt. Es geschieht. Menschen tun anderen Menschen grausame Dinge an. Das ist das Verbrechen und die Tragödie. Wir machen es uns zu bequem, wenn wir glauben, das hätte nichts mit uns zu tun. Wir sollten uns da nicht so sicher sein.
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