Selenski trifft BidenDie Ukraine bekommt Beistand, aber keine ATACMS
US-Präsident Biden sichert seinem Gast im Weissen Haus weitere Hilfe zu. Doch etliche Republikaner stemmen sich dagegen, noch mehr Milliarden auszugeben. Trotzdem gibt es von Selenski ein «Danke, Amerika».
Der South Lawn am Weissen Haus ist sehr grün und gepflegt, es gibt in einer Ecke dieses gut bewachten Rasens sogar einen Kinderspielplatz. Und ein kleines Putting Green für präsidiale Golfer. Gleich vor dem Oval Office, in dem Joe Biden an diesem Donnerstag Wolodimir Selenski empfing. Die Sonne schien auf die amerikanische und die ukrainische Flagge, als der Ukrainer und seine Frau Olena Selenska mit ihrem schwarzen SUV feierlich und leicht verspätet vor dem Südportal an diesem Garten eintrafen. Es sah alles so friedlich aus mitten in Washington, D.C., aber natürlich ging es hier wieder um den Krieg.
Seit Russland sein Land überfallen hat, hat sich Selenski mehrfach mit Biden getroffen, nun zum zweiten Mal in dessen Zentrale. An diesem Nachmittag kam er direkt aus dem Capitol, drunten am Ende der National Mall. Die beiden Tage zuvor waren die Präsidenten bei den Vereinten Nationen in New York gewesen, und anders als der Anzugträger Biden trug der Kollege aus Kiew selbstverständlich wie gewohnt die khakifarbene Kluft des Staatschefs in kriegerischen Zeiten.
Hilfspaket für 325 Millionen Dollar
Was Selenski will, ist klar. Er will weiteren und möglichst noch stärkeren Beistand der USA, seines wichtigsten Helfers. Vor dem UNO-Sicherheitsrat hatte er die «kriminelle und unprovozierte Aggression» gegen die Ukraine angeklagt. Nun versuchte er erst, amerikanische Senatoren zu überzeugen. «Wenn wir die Hilfe nicht bekommen, werden wir den Krieg verlieren», soll er auf dem Capitol Hill gewarnt haben. Der demokratische Mehrheitsführer im Senat berichtete davon, Chuck Schumer.
Vor allem der eine oder andere Republikaner hält wenig davon, dieses für die USA ferne Land in Osteuropa mit immer mehr Milliarden Dollar und schweren Waffen zu versorgen. Der Wahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen im November 2024 hat begonnen, da wird es nicht zuletzt um innenpolitische Aufreger wie Inflation und Migration gehen sowie besonders ganz rechts um populistisch-nationalistische Parolen. Auch loben sich der Kandidat Donald Trump und der Aggressor Wladimir Putin ja derzeit gegenseitig, denn aus Trumps Sicht liesse sich der Krieg spielend beenden. Dann fuhr Selenski also wieder bei dem Mann vor, der trotz Trump bis 2029 Präsident bleiben will.
Biden lobte die «enorme Tapferkeit» der Ukrainer, Selenski hatte seine Wünsche dabei. Er sei in Washington, um «unsere Koalition zu stärken, um ukrainische Kinder, Familien, unsere Heimat, Freiheit und Demokratie in der Welt zu verteidigen». Laut Jack Sullivan, dem Nationalen Sicherheitsberater, soll die Ukraine mit «bedeutsamen» Mitteln zur Luftverteidigung ausgestattet werden. Das neue Hilfspaket hat einen Umfang von 325 Millionen Dollar. Waffen und Ausrüstung aus Beständen des US-Militärs sind darin enthalten. Das ukrainische Militär hätte auch gerne das ATACMS-System, dessen Raketen 300 Kilometer weit fliegen und gut 170 Kilogramm Sprengköpfe transportieren können.
Die Ukrainer wollen ATACMS, um die seit 2014 von den Russen besetzte Krim zurückzuerobern.
Bisher lehnen die USA diesen nächsten grossen Schritt ab. Bisher feuern ihre mobilen Himars-Raketenwerfer Flugkörper mit geringerer Reichweite ab, sie wären aber auch für diese ATACMS geeignet. Die Ukrainer wollen sie unter anderem deshalb, um die seit 2014 von den Russen besetzte Krim zurückzuerobern. Allerdings erinnert das Pentagon, in dem Selenski auch vorstellig wurde, laut «New York Times» daran, dass der Ukraine bereits das Guided Multiple Launch Rocket System geschickt wurde, kurz GMLRS.
Die US-Regierung hat schlicht Sorge, dass Raketen mit grösserem Radius russisches Territorium treffen und die Schlacht irgendwann Richtung Nato eskaliert. Man wolle den Dritten Weltkrieg vermeiden, hatte Biden schon vor einem Jahr gesagt, als es ebenfalls um immer mächtigere Waffen ging. Gleichzeitig betont er stets, dass die USA der Ukraine so lange wie nötig beistehen werden.
«Kein guter Zeitpunkt für Selenski»
Etliche Republikaner auf dem Capitol Hill stemmen sich dennoch gegen den neuesten Antrag der Biden-Administration, weitere 24 Milliarden Dollar freizugeben. Im Kongress haben sich die Verhältnisse geändert, seit Selenski vor neun Monaten das erste Mal als Präsident einer angegriffenen Nation nach Washington kam. Damals, als er vor den Mandatsträgern sprach und eine von ukrainischen Frontsoldaten unterschriebene Flagge schwenkte, bestimmten im Repräsentantenhaus noch die Demokraten.
Er bekam Standing Ovations. Jetzt verkündete der republikanische Abgeordnete und Trump-Verehrer Byron Donalds, dass für die Ukraine gerade kein Geld da sei. «Ehrlich gesagt, ist es kein guter Zeitpunkt für ihn, hier zu sein.» Der radikale Flügel versucht, von Ende September an die Finanzierung der Regierung für das kommende Haushaltsjahr zu kippen und einen «Shutdown» zu provozieren. Sprecher ist mittlerweile der Republikaner Kevin McCarthy, der unter dem Druck des reaktionären Lagers steht.
Aber anders als Ende vergangenen Jahres war dies kein Überraschungsbesuch Selenskis, sondern ein geplanter Terminmarathon mit Abstechern auch ins Verteidigungsministerium. «Mr. President», begrüsste ihn schliesslich Joe Biden. «575 Tage. 575 Tage ist es her, seit Putin seinen brutalen Eroberungskrieg gegen die Ukraine begonnen hat.» Putin habe gedacht, er könne die Ukraine brechen, aber er habe die Ukrainer unterschätzt. «Es ist wirklich erstaunlich.» Und er habe auch gedacht, das westliche Bündnis zu brechen. «Nun, er hat sich geirrt.»
«Ich zähle auf das gute Urteilsvermögen des Kongresses der Vereinigten Staaten. Es gibt keine Alternative.»
Es sei ziemlich einfach, sagte Biden. «Freiheit, Freiheit und Souveränität.» Die Amerikaner würden diese Werte nie aufgeben. Nur Russland stehe dem Weg zum Frieden im Weg und suche mehr Waffen im Iran und in Nordkorea. Er habe soeben die nächste Tranche für die Ukraine bewilligt. Abrams-Panzer würden kommende Woche geliefert, er sprach ausserdem von einer zweiten Hawk-Flugabwehrbatterie, von mehr Raketenrampen und Gerät zum Abfangen von Geschossen.
Von einer Einigung über die ersehnten ATACMS war keine Rede. Dafür nannte Biden noch mal den Namen seiner Sonderbeauftragten, der früheren Handelsministerin Penny Pritzker. Sie soll sich um die Erholung der ukrainischen Wirtschaft kümmern, während die Zerstörung durch Russland anhält. «Vielen Dank, Mr. President», erwiderte der Gast. «Danke für diese 575 Tage. Ja, Danke, Amerika.» Selenski sprach von einem neuen Abkommen, dessen Details bald bekannt gegeben würden. Das aktuelle Verteidigungspaket sei bereits sehr stark. Auch wolle man den Export ukrainischen Getreides ausweiten.
Und der US-Kongress? Gebe es da Sicherheiten für fortgesetzte Unterstützung? «Ich zähle auf das gute Urteilsvermögen des Kongresses der Vereinigten Staaten», antwortete Joe Biden. «Es gibt keine Alternative.»
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